Medialitätsbewusstsein

Bedingung für die Entwicklung von Medienkompetenz

Ausgangspunkt der Überlegungen zur Medienbildung ist die Beschäftigung mit der Erweiterung unserer unmittelbaren Erfahrungs- und Kommunikationsmöglichkeiten durch die Medien. Unser unmittelbarer Wahrnehmungs- und Kommunikationshorizont ist räumlich und zeitlich begrenzt. Ebenso verfügen wir aufgrund unserer organischen Ausstattung nur über eine begrenzte Speicher- und Verarbeitungskapazität für Informationen. Wollen wir die durch unsere organische Ausstattung gesetzten Grenzen überschreiten, sind wir auf Medien angewiesen. Damit wird Medialität als Voraussetzung von Weltwahrnehmung und Weltaneignung zu einer anthropologischen Grundannahme.

Im Normalfall funktioniert unsere Wahrnehmung, also der Prozess, in dem aus Reizen der Umwelt Informationen gewonnen und verarbeitet werden, problemlos und zuverlässig. Es wird uns dabei nicht bewusst, dass die Sinnesorgane kein „Bild der Welt“ liefern, sondern nur bestimmte Eindrücke aufnehmen und im Abgleich mit abgespeicherten Schemata nur die Informationen verarbeiten, die der Orientierung in der Umwelt dienen. Die Welt, wie wir sie wahrnehmen, ist nicht mit der physikalischen Welt oder der „Realität“ gleichzusetzen. Dies trifft auch auf die Aspekte der „Realität“ zu, die wir uns mit Hilfe von Medien erschließen. Auszugehen ist also von der „universellen Medialität unserer Weltzugänge“ (Seel)

Bildungsrelevant werden Medien, weil sie Werkzeuge der Weltaneignung sind. Dies betrifft alle kulturellen und gesellschaftlichen Bereiche, einschließlich der Entwicklungen in Naturwissenschaften und Technik. Wir werden dabei mit „Konstruktionen von Wirklichkeit“ konfrontiert, die über unsere Wahrnehmungsmöglichkeiten hinausgehen bzw. sich grundsätzlich davon unterscheiden. Dabei geht es nicht um Abweichungen der „Medienrealität“ von der „Realität“, sondern unter „Medialität“ wird hier im Anschluss an den Gebrauch des Begriffs in den Medienwissenschaften der „konstitutive[n] Anteil der Medien an der Generierung, Speicherung und Übermittlung von Informationen und Wissen“ verstanden.

In der medienwissenschaftlichen und medienpädagogischen Diskussion besteht darüber hinaus Einigkeit darüber, dass Medien zum Gegenstand von Allgemeinbildung werden, weil sie an der Sinnproduktion beteiligt sind, also nicht – wie die ursprüngliche Wortbedeutung nahe legt – bloße „sinntransportierende“ Mittler sind. Um den Anteil der Medien an der Sinnproduktion und ihre kulturverändernde Bedeutung zu erfassen, muss man den Begriff „Medium“ als einen „Kompaktbegriff“ verstehen, der mehrere sich gegenseitig beeinflussende Aspekte umfasst:[1]

  • „der technisch-apparative Aspekt: Geräte bzw. Systeme und Trägermedien wie Kameras, Radioempfänger oder Videorecorder, Bücher, Videokassetten bzw. Schallplatten zur Aufzeichnung, Übertragung, Wiedergabe oder Speicherung von Informationen,
  • -der inhaltliche Aspekt: die Kommunikate, d.h. die Aussagen und Botschaften, die wie bei Romanen, Radiosendungen oder Videoclips über die Wechselwirkung zwischen Form und Inhalt produziert werden,
  • -der funktionale Aspekt in einem kommunikativen und gesellschaftlichen Kontext, z.B. „Massenmedien“ als gesellschaftliches Phänomen oder „Unterrichtsmedien“ in pädagogischen Zusammenhängen.“

Die Vermittlung von Medialitätsbewusstsein zielt somit auf die Einsicht, dass Medien nie Wirklichkeit, sondern nur jeweils medienspezifisch konstruierte und inszenierte Wirklichkeitsausschnitte liefern und dass es keine „Botschaften“ bzw. keinen „Sinn“ unabhängig von einer medialen Form gibt.

Gleichzeitig wird daran deutlich, dass sich Medienbildung nicht ausschließlich auf die Auseinandersetzung mit den Massenmedien und den Formen der computervermittelten Kommunikation beziehen kann. In den Bereichen von Technik, Naturwissenschaft und Medizin sowie in der Mathematik kommt Medien als Werkzeugen der Weltaneignung eine mindestens ebenso große Bedeutung zu.

Dabei sind es nicht nur die Apparate, Geräte oder technischen Systeme, die zum Gegenstand der Medienbildung werden, sondern es sind die alltäglichen Anwendungen der Medien, die sie zu Werkzeugen der Weltaneignung werden lassen. Zu den wichtigen Aktivitäten der Informationsgewinnung und -verarbeitung zählen beispielsweise Sichtbarmachen, Darstellen, Speichern, Kommunizieren, Messen, Sammeln, Klassifizieren, Analysieren, Vergleichen, Visualisieren, Modellieren und Simulieren.

Mit Blick auf die Bezugswissenschaften und die fachdidaktische Diskussion kommt der Frage, welchen elementaren Beitrag Medien zur Generierung und Vermittlung von Wissen leisten, damit ein zentraler Stellenwert zu. Somit muss der Bildungsauftrag „Medialitätsbewusstsein vermitteln“ insbesondere auch im fachdidaktischen Selbstverständnis der Fächer seine Begründung finden.

Weitere Informationen siehe:
Wolf-Rüdiger Wagner: Bildungsziel Medialitätsbewusstsein
 sowie „Orientierungsrahmen Medienbildung in der Schule“. http://www.nibis.de/nibis.php?menid=7223

 

[1] Gesellschaft für Informatik (GI) e.V. (Hrsg.): Informatische Bildung und Medienerziehung. Empfehlung der Gesellschaft für Informatik e.V. erarbeitet von einem Arbeitskreis des Fachausschusses 7.3 „Informatische Bildung in Schulen“, 1999, S. III

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