In jenen Tagen (1947)
Inhalt
In sieben Episoden wird die Zeit des Nationalsozialismus dargestellt. Eine Rahmenhandlung hält die Episoden zusammen: Am Beginn und am Ende des Films schlachten auf einem Rummelplatz der Nachkriegszeit zwei Männer ein altes Auto aus und unterhalten sich darüber, ob es „in jenen Tagen“ Menschen und Menschlichkeit gegeben habe. Das Auto mischt sich, nur für den Kinozuschauer hörbar, in das Gespräch und erzählt die folgenden sieben Episoden aus seiner „Lebenserfahrung“ in Form von Rückblenden, um die fragliche Menschlichkeit zu bezeugen.
Episode 1: Das junge Frau Sybille bekommt von einem Mann ein Auto geschenkt und erlebt mit ihm einen Fackelzug am 30. Januar 1933 in Berlin, ohne die Bedeutung zu kennen. Sie verlässt den Mann und ihre sichere Existenz, als sie die Gefahr für einen anderen, von Verhaftung bedrohten Freund erkennt, und folgt diesem ins Exil. | |
Episode 2: Ein junges Mädchen will aus Eifersucht die Liebesaffäre ihrer Mutter mit einem Komponisten verraten, tut dies aber nicht, als klar wird, dass dessen Musik als „entartet“ gilt und er damit bedroht ist. | |
Episode 3: Eine ältere jüdische Ehefrau will ihren Mann verlassen, um ihn nicht zu gefährden. Er lehnt die Trennung ab, und beide begehen nach der gemeinsamen Erfahrung der „Pogromnacht“ 1938 Selbstmord. | |
Episode 4: Eine Ehefrau sucht ihren Mann und erfährt dabei, dass er der Geliebte ihrer Schwester ist und dass beide zusammen im Widerstand arbeiten. Nach der Nachricht von der Ermordung des Mannes durch die Gestapo verhilft die Ehefrau ihrer Schwester zur Flucht und setzt sich so selber der Gefahr der Verhaftung aus. | |
Episode 5: Ein deutscher Offizier und sein Fahrer unterhalten sich während einer Fahrt durch Partisanengebiet an der „Ostfront“ über den „Feind“. Bei einem Überfall wird der Fahrer getötet. | |
Episode 6: Das Dienstmädchen Erna versucht, einer alten Frau, Mutter eines Attentäters vom 20. Juli 1944, beim Untertauchen zu helfen. Ohne es einander wissen zu lassen, wollen beide Frauen sich gegenseitig helfen. Die alte Frau wird verhaftet. | |
Episode 7: Ein Kradmelder verliebt sich in eine Flüchtlingsfrau und bringt diese mit ihrer kleinen Tochter – entgegen dem Dienstauftrag – in den letzten Kriegstagen nach Hamburg. Auf dem Rückweg wird der Mann als Deserteur festgenommen, doch ein Posten lässt ihn entkommen. |
Autoren/Innen
Filmanalyse: Autorengruppe Nachkriegsspielfilme (1993)
Zusammenstellung und Bearbeitung der Materialien: Autorengruppe Nachkriegsspielfilme (1993); aktualisiert: Detlef Endeward (2020)
Produktion: | Camera-Filmproduktion GmbH, Hamburg |
Drehzeit: | Juni 1946 bis März 1947 |
Erstverleih: | Erstverleihe in den einzelnen Besatzungszonen: Herzog-Film GmbH, Hamburg Atlas-Filmverleih, Hamburg Prisma-Filmverleih GmbH Sovexport-Film GmbH |
Buch: | Helmut Käutner, Ernst Schnabel nach einer Idee von Helmut Käutner |
Regie: | Helmut Käutner |
Regieassistenz: | Rudolf Jugert |
Produktionsleitung: | Helmut Beck |
Kamera: | Igor Oberberg |
Bauten: | Herbert Kirchhoff |
Schnitt: | Wolfgang Wehrum |
Ton: | Hans Wunschel |
Musik: | Bernhard Eichhorn |
Länge: | 111 Minuten |
Uraufführung: | 13.06.1947, Hamburg, Waterloo-Theater 17.06.1947 Berlin/West 17.09.1947 Berlin/Ost |
Darsteller: | |
Rahmenhandlung |
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Helmut Käutner | Sprecher |
Erich Schellow | Karl |
Gert Schaefer | Willi |
1. Geschichte |
|
Winnie Markus | Sybille |
Werner Hinz | Steffen |
Karl John | Peter Kayser |
Erich Weiher | Monteur |
Elli Klippe | Frau |
2. Geschichte |
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Franz Schafheitlein | Dr. W. Buschenhagen |
Alice Treff | Elisabeth, seine Frau |
Gisela Tantau | Angela |
Hans Nielsen | Wolfgang Grunelius |
3. Geschichte |
|
Willy Maertens | Wilhelm Bienert |
Ida Ehre | Seine Frau |
Rudolf Jugert | Briefträger |
4. Geschichte |
|
Erica Balqué | Dorothea Wieland |
Eva Gotthardt | Ruth |
Hermann Schomberg | Dr. Ansbach |
Kurt Meister | Polizist |
5. Geschichte |
|
Hermann Speelmans | August Hinze |
Fritz Wagner | Leutnant |
Hans Mahncke | Niginski |
6. Geschichte |
|
Isa Vermehren | Erna |
Margarete Haagen | Baronin von Thorn |
Erwin Geschonneck | Schmitt |
Franz Weber | Polizist |
7. Geschichte |
|
Carl Raddatz | Josef |
Bettina Moissi | Marie |
Birgit Schoregge | Mariele |
Nr. |
Inhalt |
Länge |
Zeit |
1 |
Aufblende. Ein Auto fährt ins Bild auf die Kamera zu, stoppt. Ein Scheinwerfer wird eingeschaltet, und das Licht gleitet über Tafeln mit den Namen der Mitwirkenden am Film. Danach blendet die Kamera ab. |
1,36 |
0.00.00 – 0.01.36 |
2 |
Rahmenhandlung: Gespräch zwischen Willi und Karl über die Frage, ob es noch Menschen gebe. |
2,10 |
0.01.36 – 0.03.46 |
3 |
In dieses Gespräch mischt sich das Auto ein und beginnt, seine „Lebensgeschichte“ zu erzählen, als Willi und Karl die in die Windschutzscheibe eingeritzte Zahl 30133 entdecken. |
2,13 |
0.03.46 – 0.05.59 |
4 |
Erste Episode: Ein Autoanlieferer bringt den Wagen im Auftrag Peter Keysers zu Sybille Wulf. |
1,50 |
0.05.59 – 0.07.49 |
5 |
Sybille übt Fahren und bemerkt das angebrachte Schild „Peter & Sybille“. |
1,27 |
0.07.49 – 0.09.16 |
6 |
Sie will nach Berlin fahren und trifft unterwegs auf Steffen. Er erzählt, dass er am nächsten Tag nach Übersee reisen werde und versucht vergeblich, Sybille zum Mitkommen zu bewegen. |
4,49 |
0.09.16 – 0.14.05 |
7 |
Sybille und Peter fahren durch Berlin. Peter ritzt aus Freude das Datum – 30.1.33 – in die Windschutzscheibe. Sie landen im Fackelzug der Nationalsozialisten. Als Sybille die Situation erkennt, entschließt sie sich zur gemeinsamen Emigration mit Steffen und verlässt Peter. |
5,56 |
0.14.05 – 0.20.01 |
8 |
Rahmenhandlung: Willi und Karl entdecken einen Kamm im Auto. |
0,27 |
0.20.01- 0.20.28 |
9 |
Zweite Episode: Wolfgang Grunelius im Garten der Familie Buschenhagen. Beim Abschied ist die Tochter Angela traurig, dass sie Grunelius nicht auf seiner bevorstehenden Konzertreise begleiten darf. |
4,33 |
0.20.28 – 0.25.01 |
10 |
Grunelius und Angela fahren zum Bahnhof, um ihre Mutter abzuholen. Angela entdeckt Mutters Kamm in Grunelius Auto. Auf der Rückfahrt löchert Angela ihre Mutter, wo der Kamm geblieben sei. |
3,59 |
0.25.01- 0.29.00 |
11 |
Ausflug an einen See. Grunelius berichtet, er gelte aufgrund der Düsseldorfer Beschlüsse als entartet und dürfe nicht mehr komponieren. Angela legt den Kamm, den sie ursprünglich ihrem Vater zeigen wollte, wieder zurück ins Auto. |
5,49 |
0.29.00 – 0.34.49 |
12 |
Rahmenhandlung: Es wird eine Hutklammer im Wagen gezeigt, das Auto erzählt die dazugehörige Geschichte. |
0,17 |
0.34.49 – 0.35.06 |
13 |
Dritte Episode: Sally und Wilhelm Bienert beladen das Auto vor ihrem Geschäft. |
4,13 |
0.35.06 – 0.39.19 |
14 |
Abends unterhalten sie sich am Feuer ihres Gartens. Sally schlägt Wilhelm vor, sich von ihr scheiden zu lassen, um keine Probleme wegen ihrer jüdischen Abstammung zu bekommen. Wilhelm lehnt ab. |
3,52 |
0.39.19 – 0.43.11 |
15 |
Zurück in der Stadt erleben die Bienerts die Ereignisse der „Reichskristallnacht“. Wilhelm zerstört die heilgebliebene Schaufensterscheibe seines Geschäfts mit einem Stein. |
3,07 |
0.43.11 – 0.46.18 |
16 |
Am nächsten Morgen. Die Bienerts haben Selbstmord begangen. |
0,46 |
0.46.18 – 0.47.04 |
17 |
Rahmenhandlung: Willi wiederholt Karls Frage, was ein Mensch sei. Im Wagen ist ein Hufeisen zu sehen. |
0,25 |
0.47.04 – 0.47.29 |
18 |
Vierte Episode: Dorothea Wieland holt ihre Schwester Ruth mit dem Wagen ab und berichtet ihr, dass ihr Mann Jochen verschwunden sei. Nach einer vergeblichen Nachfrage bei der Gestapo beichtet Ruth, dass sie Jochens Geliebte war und mit ihm im Widerstand arbeitete. |
4,59 |
0.47.29 – 0.52.28 |
19 |
Dorothea fordert Ruth zum Aussteigen auf und fährt allein weiter, wobei ihr frühere Gespräche mit Jochen durch den Kopf gehen. |
2,12 |
0.52.28 – 0.54.40 |
20 |
Als sie anhält, erfährt sie von Dr. Ansbach, der ihr gefolgt ist, dass Jochen „auf der Flucht erschossen“ worden sei. Sie verhilft durch einen Anruf Ruth zur Flucht. |
3,38 |
0.54.40 – 0.58.18 |
21 |
Peter Keyser, inzwischen bei der Wehrmacht, erkennt seinen alten Wagen wieder und erzählt Dorothea davon. |
1,00 |
0.58.18 – 0.59.18 |
22 |
Am nächsten Morgen wird Dorothea abgeführt. |
0,28 |
0.59.18 – 0.59.46 |
23 |
Rahmenhandlung: Willi und Karl entdecken Einschusslöcher in der Windschutzscheibe. |
0,29 |
0.59.46 – 1.00.15 |
24 |
Fünfte Episode: Das Auto ist, in Tarnfarbe gestrichen, an der Ostfront für die Wehrmacht im Einsatz. |
2,12 |
1.00.15 – 1.02.27 |
25 |
Der Fahrer August Hinze will einen neuangekommenen Leutnant zu seinem Bataillon fahren. Er wird auf der Fahrt von Partisanen erschossen. |
8,25 |
1.02.27 – 1.10.52 |
26 |
Sechste Episode: Das Auto steht auf einem Trümmergrundstück in Berlin. |
0,16 |
1.10.52 – 1.11.08 |
27 |
Erna leiht sich den Wagen aus. |
1,50 |
1.11.08 – 1.12.58 |
28 |
Sie will ihre ehemalige Dienstherrin, Baronin von Thorn, aufs Land bringen. |
3,08 |
1.12.58 – 1.16.06 |
29 |
Ein Polizist kontrolliert die Papiere und stellt fest, dass Baronin von Thorn die Mutter eines Attentäters vom 20. Juli 1944 ist. Er nimmt sie und Erna, die unterrichtet war und versuchte, die Baronin zu schützen, mit aufs Revier. |
3,06 |
1.16.06 – 1.19.12 |
30 |
Rahmenhandlung: Willi und Karl finden Stroh im Auto. |
0,23 |
1.19.12 – 1.19.35 |
31 | Siebte Episode: Das Auto steht in einer Scheune unter Stroh verborgen. | 0,39 |
1.19.35 – 1.20.14 |
32 | Der Kradmelder Josef sieht nach dem Auto. Er findet Marie und ihre Tochter, die in der Scheune Unterschlupf gefunden haben. Sie unterhalten sich und verbringen die Nacht im Stroh. | 10,01 |
1.20.14 – 1.30.15 |
33 | Am nächsten Morgen will Josef Marie und ihr Kind zunächst an einem Bahnhof absetzen, überlegt es sich dann aber und bringt sie – entgegen seiner Dienstpflicht – bis nach Hamburg. | 3,55 |
1.30.15 – 1.34.10 |
34 | Auf der Rückfahrt wird er von einer Straßenstreife angehalten und soll verhaftet werden. Ein Posten ermöglicht ihm die Flucht. | 1,53 |
1.34.10 – 1.36.03 |
35 | Rahmenhandlung: Das Auto erzählt, dass es Menschen gesehen habe in jenen Tagen, wozu die Hauptpersonen der einzelnen Episoden in Großaufnahme eingeblendet werden. | 1,08 |
1.36.03 – 1.37.11 |
36 | Karl und Willi unterhalten sich noch einmal über die Menschlichkeit. Karl meint, dass es dafür „verdammt viel Gelegenheit gibt heutzutage“. Zum Schluss kommen spielende Kinder und ein blühender Strauch vor der Trümmerlandschaft ins Bild. | 1,06 |
1.37.11 – 1.38.17 |
Dramaturgie der kunstvollen Unterhaltung
Autorengruppe Nachkriegsspielfilme (1993)
Der Untertitel des Films, „Geschichten eines Autos“, weist auf die richtige Spur: Selten wohl wurde in einem Film so häufig mit dem Auto gefahren, und das vor allem zur Erfüllung des dramaturgischen Zwecks. Mit einer menschlichen Stimme (der des Regisseurs) versehen, erzählt uns dieses Auto „seine subjektiven Erlebnisse“ aus den 12 Jahren des deutschen Nationalsozialismus in einer Form, die Objektivität suggeriert: „Lassen Sie mich Ihnen ein paar Geschichten erzählen auf meine Art, die nicht Menschenart ist. Lassen Sie mich sachlich, vorurteilsfrei oder herzlos berichten, wie es einem toten Gegenstand zukommt. Mein Leben liegt hinter mir, ich habe, sozusagen, meine Augen für immer geschlossen.“ Der Erzählstandort des Autos ermöglicht sowohl die Rück- als auch die Vorschau: Der Film beginnt mitten im allgemeinen Ende, zwischen Nachkriegstrümmern, um mit dem allgemeinen Neubeginn zu enden. Diese narrative Kreisform wird auch formal geschlossen durch den Eingangsschwenk von rechts nach links über Trümmer und (seelisch) verkrüppelte Menschen; er korrespondiert mit dem entgegengesetzt ausgeführten Schlussschwenk, wenn über dieselben Trümmer nun von links nach rechts mehrere Kinder laufen. Eine beschreibende Analyse von Filmanfang und -ende als zentralen inhaltlichen Aussagekomplexen wird später versuchen, deren Implikationen transparent zu machen.
Ein Auto als menschlicher Erzähler. Dieser nachgerade surrealistische Einfall wird von Käutner dazu verwendet, den Betrachter davon zu überzeugen, dass es im Deutschland der nationalsozialistischen Herrschaft in allen Schichten humane Verhaltensweisen unter Menschen gegeben hat. Das Auto als neutrales, lediglich beobachtendes Erzählmittel taugt kaum zu einer strikt politischen Behandlung und Analyse des Themas. Gewiß war diese von Käutner auch niemals angestrebt, ist seine Vorgehensweise doch konsequent auf einer „rein menschlichen“ Ebene angesiedelt – sowohl in den erzählten Storys als auch in der Haltung des Regisseurs zu seinem Sujet.
Die episodische Struktur ermöglicht es dem Film, von sehr verschiedenen Schichten und Milieus zu erzählen: intellektuelles Bürgertum, jüdisches Kleinbürgertum, bürgerlicher Widerstand, untere militärische Ränge, westpreußischer Landadel. Vom adligen Widerstand (20. Juli 1944) ist nur auf indifferente Weise die Rede, Arbeiter kommen bis auf die Ausnahme eines im Bombenhagel betenden Automechanikers („lass‘ et vorüberjehn“) nicht vor.
Diese längsschnittartige und chronologische (vom 30. Januar 1933 bis in die letzten Kriegstage), tatsächlich elliptische Erzählweise vermittelt den Eindruck von Allgemeingültigkeit, welcher schon im Titel sich vermittelt. In Aufbau und Struktur hat dieser erste in der britischen Zone entstandene deutsche Spielfilm den Charakter einer einmaligen, weil zu seiner Zeit wohl notwendigen Abrechnung seines Regisseurs mit der dargestellten Epoche. IN JENEN TAGEN sieht selbst im Allerbösesten noch das Gute. Denn er gründet weniger in der Zeit, aus der er berichten möchte, als vielmehr in der Überwindung dieser Zeit und in dem festen Willen, nun wieder Kinofilme in der „absoluten Reinheit der Kunst“ machen zu können (Käutner am 31. Januar 1947 in der Hannoverschen Presse). So weist denn auch der ästhetische Charakter des Films in diese Richtung. Die Frankfurter Hefte loben ihn 1948 in einem Artikel, der die notwendige Rückbesinnung des deutschen Films auf die dem Medium vermeintlich inhärenten Gesetze fordert: „Wirksam ist bei dem bisher besten deutschen Film, der Nachkriegsproduktion IN JENEN TAGEN, das Ineinander von optischen und akustischen Wirkungen in der Schilderung der Kristallnacht, die Schilderung der russischen Steppe im Vorbeifegen der Landschaft an dem fahrenden Auto, in der wortlosen Symbolik der flüchtenden Frau mit ihrem Kind; …“
Es wäre in der Tat schwer, sich von der Poesie und Perfektion mehrerer Sequenzen nicht fangen zu lassen: Wie das Auto anfangs auf filmische Weise (Doppel- und Mehrfachbelichtungen) tatsächlich montiert wird; wie es an seinem ersten „Lebenstag“ mit neugierigen Blicken auf die Natur das Licht der Welt erblickt; wie Autofahrten mittels sich in der Frontscheibe spiegelnder Alleebäume und Mehrfachbelichtungen alptraumartige Qualitäten entwickeln; oder wie durch die Auf- und Abblendungen des Blicks aus dem Scheunentor auf vorbeiziehende Flüchtlinge Raum und Zeit filmisch einfach, aber wirkungsvoll organisiert werden.
Es ist eine Dramaturgie der kunstvollen Unterhaltung, mit der Käutner/das Auto von der fraglichen Zeit erzählt. Diesem formalen Gerüst sind attraktive Kino-Plots untergeschoben. Die Schwierigkeit, in aller Kürze die schwersten menschlichen (nicht: gesellschaftlichen) Konflikte zu erzählen, löst Käutner durch eine Reduzierung der Personen in den einzelnen Episoden und eine weitgehende Beibehaltung der Einheiten von Ort und Zeit. Doch sind die Figuren durchaus keine simplen Abziehbilder, sondern ausgeformte Charaktere, wie sie im deutschen Film bekannt gewesen sind. Ein Mädchen folgt dem Freund, den es eben noch verlassen wollte, in die Emigration; ein „arischer“ Kaufmann begeht mit seiner jüdischen Ehefrau Selbstmord, weil er sie nicht verlassen will; die Frau eines Antifaschisten verhilft der Geliebten und Mitverschworenen (zudem: der eigenen Schwester) ihres ermordeten Mannes zur Flucht; die Erfahrung einer russischen Winternacht verbindet alten Landser und jungen Leutnant; ein Dienstmädchen will der Mutter eines Widerständlers beim Untertauchen helfen; ein Soldat bringt in den letzten Kriegstagen eine junge Mutter mit ihrem Säugling in Sicherheit.
Die Episode um den als „entartet“ stigmatisierten Musiker (sie fehlte jahrelang in den gezeigten Fassungen des Films) ist in diesem Zusammenhang auch die deutlichste: Der nichtsahnende, gehörnte Ehemann, die wissende Tochter und das glückliche, gleichwohl stets vorsichtige und die bürgerlichen Umgangsformen wahrende Liebespaar sind geradezu Grundelemente des unterhaltenden Kinomelodrams. Die Austauschbarkeit der historisch-politischen Folie (hier: der Nationalsozialismus) zugunsten der unterhaltenden Form ist in dieser Episode besonders evident.
Wochenschau-Bericht von den Dreharbeiten
In der „Welt im Film“-Wochenschauausgabe 72/1946 vom 11.10.1946 wird über die Dreharbeiten zum Film berichtet.
Sujet2
Filmstart in der britischen Zone: Die beiden ersten Spielfilme: „In Jenen Tagen“ und „Zugvögel“
- Hamburg: Beginn der Aufnahmen zum 1. Spielfilm: „In jenen Tagen“.
- Hans Nielsen im Gespräch, halbnah.
- Helmut Käutner gibt Regieanweisungen im Ledermantel, halbnah.
- Scheinwerfer. Tonmeister. Aufnahmeklappe.
- Kamera fährt hinter fahrendem Auto her.
- Gisela Tantau steht neben Hans Nielsen an einer Gartenpforte. (…)
Ein Auto als Hauptperson
Helmut Käutner erzählt von seinem Film „In jenen Tagen“
(Hannoversche Presse, 31.01.47)
„Der Film behandelt sieben Schicksale aus der Zeit von 1933 bis 1946. Schicksale, die alle mit dem Auto … verknüpft sind“, sagt Helmut Käutner, auf ein … Fahrzeug weisend, das laubbedeckt auf dem Blankeneser Kirchweg steht, bereit für eine überblendete Aufnahme, die zeigen soll, dass es schon mehrere Tage her ist, seit sein Besitzer es verließ. „Ernst Schnabel und ich haben gemeinsam das Drehbuch verfasst“, sagt Käutner „und wir glaubten, einmal etwas ganz Neues gemacht zu haben, denn dieses Auto soll nicht nur sozusagen der rote Faden der Handlung sein, das Requisit, welches die sieben Geschichten aus unserer jüngsten Vergangenheit zu einem Ganzen verbindet, sondern vielmehr die Hauptperson. Es hat – und das ist ein surrealistisches Moment des Films – sogar eine Stimme. Es ist der objektive Beobachter der menschlichen Schicksale, die sich – ohne diskutiert zu werden – in seiner unmittelbaren Umgebung abspielen. Bereits in 30m Entfernung kann das Auto nichts wahrnehmen. Hierin lag die Schwierigkeit beim Abfassen des Drehbuches: Alle Geschehnisse völlig zwanglos mit dem Auto zu verbinden. Es hat aber den Vorteil, dass der Stoff von sich aus nur Außenaufnahmen verlangt, so dass sich in diesem Film der momentane Mangel an Ateliers nicht ungünstig bemerkbar machen kann.
Das Auto ist anfangs grün lackiert. Später, während des Krieges, erhält es einen feldgrauen Tarnanstrich. Dann ist es verbeult, später stark beschädigt und endlich total kaputt.
Mein Film ist aber keineswegs, wie Sie jetzt annehmen werden, ein „Zeitfilm“. Er spielt zwar in unserer jüngsten Vergangenheit, aber mich interessieren nur die menschlichen Schicksale. So wird in meinem Film keine Fahne, keine Uniform sichtbar. Ich habe alles vermieden, was auf einen Propagandafilm hindeuten kann. Die jeweilige politische Situation wird lediglich durch Hilfsmittel, wie im Hintergrund des Bildes sichtbar werdende Plakate an Litfasssäulen, Zeitungsschlagzeilen aus dem „VB“: „Der Führer spricht in Nürnberg“, oder durch Spruchbänder „Räder müssen rollen für den Sieg“ und dergleichen angedeutet. Ein einziges Mal wird auch ein Gestapo-Gebäude fotografiert. Aber der Betrachter weiß nicht, dass es sich um ein solches handelt. Hier habe ich versucht, dem Gebäude durch besondere fotografische Einstellung einen düsteren Anstrich zu geben, um im Betrachter unwillkürlich rein vom bildmäßigen her bereits eine unheimliche Stimmung aufkommen zu lassen. Vor den Gebäude steht ein Auto mit den SS-Runen. In dem Kotflügel des Autos spiegeln sich zwei Gestalten, die sich mit erhobenen Arm grüßen. Dazu klingt das Zusammenschlagen der Hacken.
Dieses Zusammenwirken von Bild und Ton muss schon genügen, die vom Drehbuch geforderte Stimmung zu schaffen, ehe die Hauptperson ins Bild tritt.
Es ist ja so, jedenfalls allen meinen Erfahrungen der letzten 12 Jahre nach, dass das Publikum einen ausgesprochenen Zeitfilm sofort als einen Propagandafilm ansehen würde. Ich will aber die absolute Reinheit der Kunst. Wir haben etwa an dem Beispiel von Fred Dengers Schauspiel „Wir heißen Euch hoffen“ gesehen, dass sehr viele heute noch nichts mit einer Gestapo-Szene auf der Bühne anzufangen wissen. Es ist alles noch zu frisch, als dass wir es schon zum Thema eines Kunstwerkes machen könnten.
Obgleich nun vier von den sieben Schicksalen mit dem Tode der Hauptperson – also tragisch – enden (bei den drei weiteren verliert das Auto die Spur, so dass diese Schicksale ungewiß bleiben), soll mein Film positiv sein. Auch in der Tragik kann etwas Befreiendes liegen.
Ich fürchte, mehr kann ich Ihnen heute nicht erzählen, die Drehpause ist beendet. Wann der Film fertig sein wird, möchten Sie auch wissen? Nun, ich rechne damit, dass er im März uraufführungsbereit ist. Ob er ins Ausland geht? Ja, auch das, die Verhandlungen hierüber sind bereits abgeschlossen, und ich hoffe zuversichtlich, dass mein Film dazu beitragen wird, dem Ausland den deutschen Menschen und sein Schicksal näher zu bringen.“
Kurt Vethake
Filmanfang: Rahmenhandlung
Episode 1
Episode 2
Episode 3
Episode 4
Episode 5
Episode 6
Episode 7
Filmende: Rahmenhandlung
Die Kritiker nahmen den Film fast ausschließlich positiv bis euphorisch auf. Beispielhaft dafür sind Einschätzungen, dass der Film durch „Mut der Phantasie, sicheres Können und noble Gesinnung“ überzeuge (K 3), „reif und vollendet“ und ein „filmisches Kunstwerk“ sei (K 8) und „mit virtuoser Handhabung der filmischen Möglichkeiten“ aufwarte (K 9). Einige Rezensenten halten „In jenen Tagen“ – der ein dreiviertel Jahr nach „Die Mörder sind unter uns“ uraufgeführt wurde – sogar für den besten deutschen Nachkiegsspielfilm (vgl. K 3, K 4, K 8, K 9). Inhaltlich-ideologische Bedenken äußert einzig der Kritiker des Vorwärts, Hermann Müller: „Aber wir erfahren nicht, warum die anderen keine Menschen waren und warum so viele von den anständigen sterben mussten … Er sieht nur das Eine und nicht das Andere, das Hauptsächliche. Er löst den Einzelnen aus der Gesellschaft, mit der er verkettet ist und die mit sein Schicksal bestimmt.“ (K 1)
Ansonsten geht die Kritik nicht über die Feststellung technischer Mängel (vgl. K 4, K 5, K 9), kleinerer Schwächen im Drehbuch (vgl. K 2, K 4) und eines „Mangels an innerer Geschlossenheit“ – bei insgesamt positiver Beurteilung (K 6) – hinaus. Einhellig gelobt wird die Regie Helmut Käutners, die Kameraarbeit Igor Oberbergs und die Schauspielerleistungen, wobei besonders Hermann Speelmanns als Fahrer in der 5. Episode hervorgehoben wird.
An der Sprache der Rezensionen sind v. a. zwei Dinge auffällig, die die Einbindung der Kritiker in den gesellschaftlichen Kontext deutlich machen: Zum einen taucht nirgendwo das Wort Nationalsozialismus auf. Es wird entweder die Formulierung „jene Tage“ übernommen (K 2, K 3, K 5, K 8) oder „wertfrei“ von den „zwölf Jahren“ (K 3, K 5) gesprochen. Zum anderen erscheinen häufig Bezeichnungen wie „echt“ (K 2), „Tatsachenbericht“ (K 4) oder „wirklich“ (K 5). Diese Einschätzungen sind zum Teil wohl auf die Anlage des Films mit einem toten, also scheinbar objektiven und neutralen Gegenstand als Erzähler zurückzuführen; eine andere Erklärung wäre, dass die Filmbotschaft, die lautet: Es gab auch und gerade im Nationalsozialismus Menschlichkeit! den Wünschen der Kritiker – und sicherlich auch des Publikums – so kurze Zeit nach dem Zusammenbruch entgegenkam und aus diesem Wunschdenken heraus der Film als „wirklich“ und „echt“ angesehen wurde. Beispielhaft dafür sind die folgenden beiden Auszüge: „Dass in der anonymen Masse, als die man uns von außen sieht – verantwortlich in seiner Gesamtheit für all das Unsagbare – die Quellen der Menschlichkeit nie vollends versiegt waren; dass auch vielen von uns der Kelch des Leides randvoll geschöpft ward und dass, wenn auch nicht immer nach außen sichtbar, der Mensch sich in unserem Volke stärker erwies als die Gedankenlosigkeit eines mörderischen und unmoralischen Systems.“ (K 8) „In sieben Geschichten … ist nicht nur die Atmosphäre des Dritten Reiches bedrückend eingefangen, sondern wird auch die politische und menschliche Situation so erhellt, wie sie – im Widerspruch zu dem Vorwurf der Kollektivschuldthese – wirklich war.“ (K 5)
Damit ist ausgedrückt, was nahezu alle Kritiker – wenn auch nicht explizit, so doch zwischen den Zeilen erkennbar – besonders am Film schätzen: die Ablehnung der in der Nachkriegszeit vieldiskutierten Kollektivschuldthese. Ebenso eindeutig ist das Lob der individuell-humanistischen Herangehensweise Käutners, die einer politischen Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus – zumindest im Spielfilm – vorgezogen wird.
Eine tiefere Analyse von „In jenen Tagen“ bietet Wolfdietrich Schnurre. Er hält den Film ebenfalls für realitätsnah, allerdings nicht in erster Linie wegen des Inhalts, sondern aufgrund des formalen Aufbaus, der mit der psychischen Verfassung der Deutschen zwei Jahre nach Kriegsende korrespondiere: „Dennoch halte ich die hier gewählte Kurzform der blitzlichthaft aufblendenden Episode … – unserer augenblicklichen geistigen Situation entsprechend – für die ehrlichste, ja, für die uns heute einzig gemäße Art einer Aussage über die letzten Jahre … Jeder heute unternommene Versuch, unserer jüngsten Vergangenheit zu Leibe zu rücken, wird jedoch, an der Fülle des zu Bewältigenden gemessen, noch auf weite Sicht fragmentarisch sein müssen.“ (K 6) Diesen wichtigen Hinweis sollte man bei einer rückschauenden Kritik am Film nicht vergessen. Für Hannelore Holtz und Christian D. Ernst steht der Film in der Tradition von Duviviers „Tales of Manhattan“ bzw. „Sechs Schicksale (vgl. K 2, K 3). Etwas grundsätzlich Neues erkennen die Kritiker in der Machart von „In jenen Tagen“ nicht, was aber auch nach den Jahren der Abgeschlossenheit deutscher Regisseure nicht erwartet wurde. Erika Müller meint immerhin, dass der Film Anlaß zu „Beifall und … Hoffnungen moderner avantgardistischer Zuschauer“ bot (K 9).