Die verdeckten Spuren des Kalten Krieges im deutschen Unterhaltungsfilm
Irmgard Wilharm (1992)
Das Ende des Kalten Krieges, der nach 1945 die Zweiteilung der Welt verfestigte, wurde schon mehrfach beschworen: zunächst auf internationaler Ebene nach der Kuba- Krise von 1962, als die beiden Supermächte angesichts der möglichen atomaren Vernichtung der Welt die Entspannungspolitik einleiteten; dann auf deutscher Ebene mit der diesen Prozeß nachholenden Ostpolitik der sozialliberalen Koalition. Mit dem Zerfall der Sowjetunion in ihrer alten Form und der Abschaffung der Mauer, die Europa und die beiden deutschen Staaten trennte, wurde der Kalte Krieg als endgültig beendet erklärt.Im Bewußtsein der Mehrheit der Bevölkerung, auch der deutschen, war dies lange vorher der Fall. Die Destabilisierung der Blöcke in den 60er Jahren und der Vietnamkrieg ließen die klaren Feindbilder und Schwarz- Weiß- Zeichnungen zerbröckeln. Im Film sind Spuren des Kalten Krieges nur soweit zu erwarten, wie er auch im kollektiven Bewußtsein eine Rolle spielte. Aus deutscher Sicht heißt das: zwischen Berliner Blockade 1948 und etwa Mitte der 60er Jahre. Nicht zufällig wenden sich Filmproduktionen in DDR und BRD 1965/66 den Fragen der jeweils eigenen Gesellschaft zu, so Kurt Maetzigs Das Kaninchen bin ich und Alexander Kluges Abschied von gestern.
Kalter Krieg im Film weckt Assoziationen vor allem an die zahlreichen amerikanischen Spionagefilme, in denen die »böse« Seite von Russen vertreten wird, die als sowjetische Agenten oder im Dienst einer dubiosen Geheimorganisation die Welt zu zerstören drohen, was dann von den Agenten der »guten« Seite verhindert wird. Da der Kalte Krieg seine Wirkungen hauptsächlich im Innern der jeweiligen Gesellschaften entfaltete und als Systemstabilisierung funktionierte, konnten sich seine Spuren auch weniger direkt als im amerikanischen Fall zeigen. In den deutschen Produktionen während der Besatzungszeit spielt der Kalte Krieg noch keine Rolle. Grund dafür waren nicht nur die mit der Lizenzvergabe verbundenen Auflagen, die eine negative Darstellung eines der Alliierten verhindert hätten, sondern vor allem die kollektiven Hoffnungen, die Spaltung sei trotz Währungsreform und Berlinblockade doch noch vermeidbar. Mit der Gründung der beiden deutschen Staaten und dem Scheitern der Londoner Außenministerkonferenz 1950 waren diese Hoffnungen zunächst zu Ende.
Der Rat der Götter, 1950 von Kurt Maetzig auf der Grundlage von Akten aus dem Nürnberger Prozeß gegen die IG-Farben realisiert, gilt als der erste DEFA-Film, der ideologische Grundmuster des Kalten Krieges zeigt. (1) Angeklagt wird die westdeutsche chemische Industrie, die in Zusammenarbeit mit amerikanischen Tochtergesellschaften am Zweiten Weltkrieg verdiente und die schon wieder in die Kriegsproduktion einsteige. Der Rat der Götter ist der erste deutschsprachige Nachkriegsfilm, der den Zusammenhang von Kapitalismus und Faschismus in Form eines Lehrstückes darzustellen versucht und dabei größtmögliche Authentizität anstrebt. Die Schwierigkeit, einen komplexen theoretischen Zusammenhang (die damals in der DDR allein gültige »Agententheorie« zur Erklärung von Faschismus) filmisch darzustellen, war Maetzig durchaus klar.
In einem Brief an den DEFA- Vorstand vom 22.2.1950 schrieb er:
»Ich darf noch einmal daran erinnern, daß ich von Anfang an gegenüber dem Filmstoff Der Rat der Götter gewisse Bedenken geäußert habe und daß allseitige Übereinkunft darüber bestand, daß dieser Film nur zum Erfolg geführt werden kann, wenn er groß inszeniert wird und wenn alle Wirkungsmöglichkeiten, die das Buch bietet, durch die Inszenierung, den Bau und die Fotografie voll erschöpft werden . . .«(2)
Zuvor wies Maetzig auf die intensive Arbeit hin, die das Zusammenschneiden von acht Dokumentarteilen aus Tausenden von Metern Dokumentarmaterial erfordere. Die Verwendung dokumentarischen Materials ist für Maetzigs Intention von zentraler Bedeutung. Das Lehrstück braucht die größtmögliche Authentizität, damit die Warnung ernst genommen wird. Zugunsten dieser Wirkung werden auch ästhetische Mittel benutzt, die fragwürdig sind. So erscheint der Held des Films deutlich erkennbar am Filmschluß in den Aufnahmen der Friedensdemonstrationen vom 1. Mai 1950 (3), während die Filmhandlung 1948 (Explosion in Ludwigshafen) endet. Maetzig selbst sah im Rückblick seinen Film so nahe der Realität und damit im Sinn von Authentizität gelungen, daß der Schluß von der realen Entwicklung diktiert zu sein schien:
»Die Dokumente, die beweisen, daß die IG-Farben und die Standart Oil sich den Gewinn von dem Flugzeugbenzin während des ganzen Krieges, den sie gegeneinander führten, teilen, das war ganz neu und verblüffend, die Ergebnisse des 11. Nürnberger Kriegsverbrecherprozesses waren ganz frisch, und während wir noch am Drehbuch schrieben, passierte die Raketentreibstoffexplosion in Ludwigshafen, die kam dann auch als absolut authentisches Faktum dazu, und wieder änderten wir den Schluß des Films und Friedrich Wolf schrieb mir in einem Brief: >Hier schicke ich Dir nun den letzten Schluß, den endgültigen Schluß, hoffe ich, wenn uns nicht die Geschichte noch einen letzten diktiert<«.(4)
Der Rat der Götter entsprach genau dem DDR-Erklärungsansatz für Faschismus: da die kapitalistische Großindustrie, die den Faschismus erst ermöglicht hatte, in Westdeutschland und den USA weiterbestand, waren Gefahren faschistischer Rückfälle dauernd gegeben, während die eigene Gesellschaftsform den Frieden garantierte. Ein Großteil der Produktion der 50er Jahre zum Antifaschismus folgte diesem Muster.
(…)
Als letztes Beispiel, in dem sich die Opferstilisierung mit einem selten klaren antikommunistischen Feindbild verbindet, sei auf Geza von Radvanyis Der Arzt von Stalingrad (1958) verwiesen. Die Geschichte beginnt in einem deutschen Kriegsgefangenenlager bei Stalingrad 1949. Geistiger und moralischer »Führer« der Gefangenen ist der Gehirnchirurg Böhler aus Würzburg (O. E. Hasse). Er rettet durch eine schwierige Operation dem Kind des Lagerkommandanten das Leben, danach werden die ersten Gefangenen entlassen. An ihrem LKW hängt ein Spruchband »Nie wieder Krieg! « Unter Hinweis darauf ermahnt Böhler die Sowjets, daran zu denken, wenn es wieder so weit ist. Der Zuschauer muß annehmen, daß die UdSSR den zweiten Weltkrieg begonnen habe.
Die Russen, besonders die stummen Wachmannschaften, entsprechen dem Typus des Asiaten mit mongolischen Gesichtszügen. Neu an diesem an sich alten, auch im Faschismus benutzten Bild, ist die Verbindung mit einer Projektion: das Lager bei Stalingrad erinnert mit Stacheldraht, Hunden und Wachtürmen, mit der Beschreibung von Krankheitsquoten und »Vernichtung durch Arbeit« an deutsche Konzentrationslager. Die Assoziation wird dadurch verstärkt, daß die russische Ärztin sie ausdrücklich zurückweist.
Der Film führt die umfassende Überlegenheit der Deutschen vor. Der deutsche Arzt operiert, und der russische assistiert ihm. Danach sagt der Russe zu dem Deutschen: wenn uns jemand hier so sähe, würde niemand wissen, wer den Krieg gewonnen und wer ihn verloren hat. Die Deutschen in diesem Film, die Opfer und zugleich Helden sind, gewinnen den Krieg sozusagen nachträglich kraft moralischer Überlegenheit über eine »Kultura«, die mit dem Neandertaler in Verbindung gebracht wird. Der Film war ein großer Publikumserfolg.
Beim Vergleich von Ost- und Westproduktionen der Zeit fallen hauptsächlich zwei Aspekte auf. Erstens: der Bezug auf die geteilte Gesellschaft ist in den DEFA-Produktionen eindeutig stärker als in den westdeutschen Filmen. Gründe dafür auf westdeutscher Seite sind schon genannt worden. Für die DDR gab es einerseits taktische Gründe, bei der Darstellung der Teilung Versagen und Schuld des Westens herauszustreichen, während an der Einheit als Ziel der eigenen Politik festgehalten wurde. Andererseits ist nicht zu übersehen, daß bei den DDR- Bürgern bis in die Gegenwart hinein das Interesse an der politischen Einheit größer war als in Westdeutschland, so daß Filme mit dieser Thematik dort eine andere Akzeptanz hatten als in der BRD. Zweitens: der latente Antikommunismus in den westdeutschen Produktionen war vermutlich nicht weniger wirksam bei der Systemstabilisierung als die direkte Feindbildkonstruktion, zumal die durchgängige Verbindung mit der Opferperspektive eine effektive Entlastung und damit Freisetzung von Energien für den Aufbau bot. Den Opferstilisierungen im westdeutschen Film stehen die Helden der Arbeiterbewegung gegenüber, die sich gegen alle Widerstände durchsetzen. Zwischen Helden und Opfern gibt es Täter immer nur auf der Seite der jeweils anderen. Die »Vergangenheitsbewältigung« funktionierte im Kalten Krieg weitgehend mit komplementären Ausblendungen – in besonderer Weise gesamtdeutsch.
aus: Irmgard Wilharm: Die verdeckten Spuren des Kalten Krieges im deutschen Unterhaltungsfilm. In: Deutsches Historisches Magazin, Heft 5, 2. Jg. 1992, S. 11-18