Der Regisseur zu seinem Film

Fritz Kotulla zu seinem Film (1978)

„Franz Lang war der Deckname, unter dem sich Rudolf Höss nach dem Zusammenbruch bis zu seiner Verhaftung durch die Engländer im Frühjahr 1946 auf einem Bauernhof in Schleswig-Holstein versteckt hielt. Ich habe diesen Decknamen gewählt (in dem Roman von Robert Merle heißt er übrigens Rudolf Lang), weil es sich in meinem Film nicht um eine historisch-wissenschaftliche Biografie des Rudolf Höss handelt. Vielmehr geht es hier um den fiktiven, sozusagen ideal-typischen Lebensweg eines politisch rechts-orientierten Mannes, der aus dem Ersten Weltkrieg kommt, sich den Freikorps, dann Hitler anschließt und dessen Karriere schließlich darin gipfelt, dass er Kommandant eines Konzentrationslagers wird. Es hat in der Zeit zwischen den beiden großen Kriegen ja abertausende junger Leute gegeben, deren Entwicklung ähnlich verlaufen ist, wenn auch die meisten von ihnen nicht gerade Funktionen in einem KZ übernommen, sondern Hitler auf vielfältige andere Art gedient haben.

Es gibt als beispielsweise Szenen in dem Film, die sich in Wirklichkeit ziemlich genauso abgespielt haben dürften: etwa, als Himmler Franz Lang den Befehl gibt, Juden zu vernichten. Andere Szenen wiederum – etwa Franz Langs Eintritt in die NSDAP – könnten sich im Leben von Höss abgespielt haben, wie es im Film geschildert wird. Das heißt: in der Himmler-Szene hat Robert Merle versucht, Himmlers Diktion, aufgrund seiner Kenntnisse historischen Dokumentarmaterials, so genau wie möglich zu treffen. In den Szenen des Eintritts in die NSDAP hat er den Gesprächsverlauf frei erfunden, dabei aber ein ungeheures Einfühlungsvermögen in den nazistischen Zeitgeist und die psychologische Verfassung der Hitler-Anhänger aus der Frühzeit der Nazi-Partei gezeigt.

Das Ausschlaggebende in einem Roman oder einem Spielfilm ist immer das Imaginäre, die Einbildungskraft. Sie bleibt auch bei einem histologischen Stoff wichtig. Durch einen solchen Stoff wird die Imagination eher vor eine weit heiklere Aufgabe gestellt als bei einem subjektiv frei erfundenen Thema. Sie muss sich nämlich der Basis der gegebenen Fakten in jedem Moment des Arbeitsprozesses bewusst sein und gleichzeitig die ihr eigenen erfinderischen Möglichkeiten bis zur äußersten Grenze auszunutzen suchen.

Ohne Zweifel hängt die Wahl des Stoffes mit der Tatsache zusammen, dass ich in Chorzow (Königshütte) geboren bin, einem Ort im oberschlesischen Industriegebiet, der nicht allzuweit, rund 50 km, von Auschwitz entfernt liegt. Mein Vater war dort Organist in einer katholischen Kirche. In Chorzow habe ich meine Kindheit bis 1946 verbracht. Ich wusste als Junge, während des Krieges, dass es in der Nähe ein großes Lager mit vielen Nebenlagern gab, in denen, wie man sich erzählte, ‚fürchterliche Dinge passierten‘. Von der ‚Endlösung‘ in all ihren Details habe ich allerdings erst nach dem Zusammenbruch erfahren. Das Bewusstsein nun, eine – gemessen an den Kriegsereignissen jedenfalls (Oberschlesien lag sozusagen im Windschatten des Krieges, es ist dort auch kaum etwas zerstört worden) – relativ ruhige Kindheit und Jugend in fast unmittelbarer Nähe von solch grauenhaften Verbrechen erlebt zu haben, war natürlich eine bestürzende Erkenntnis, die niemals wieder aus dem Bewusstsein gelöscht werden kann. Seit diesem Moment hat mich das Thema Auschwitz und sein weitverzweigter moralischer und sozialpolitischer Umkreis nicht wieder losgelassen.“


(Theodor Kotulla: in Kino 78 – Bundesdeutsche Filme auf der Leinwand von Doris Dörrie und Robert Fischer, Verlag Monika Nüchtern, Müchen, 1978)

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