Didaktische Analysemodelle

Werner Faulstich definiert aus literaturwissenschaftlicher  Perspektive in seiner „Einführung in die Filmanalyse“ sechs Problemfelder der filmanalytischen Arbeit:

  • Problemfeld 1.: Kommunikation und Film
  • Problemfeld 2: Filmsprache
  • Problemfeld 3: Der Film als Ware (Produktion und Distribution)
  • Problemfeld 4: Das Kino
  • Problemfeld 5: Die Rezeption
  • Problemfeld 6: Die Analyse eines Films (Synthese und Praxis)

Alle diese Problemfelder spielen auch für eine historisch-politische Filmanalyse eine Rolle. Allerdings nicht als separate Problemfelder, sondern  gerade unter Bezugnahme auf das spezifische Raum-Zeit-Kontinuum Film in ihrern übergreifenden Bezügen.

Für die historisch-politische Bildung sind zahlreiche Analysekonzepte bzw. -modelle entwickelt worden. Für die Umsetzung in  konkrete Unterrichtsmaterialien weisen die Modelle von Gerd Albrecht und Helmut Korte wesentliche Anknüpfungspunkte auf, die Im Konzept von Detlef Endeward miteinander verknüpft werden. Der Denkansatz von Daniel Süß bietet wichtige ergänzende Aspekte für die  analytische Arbeit mit Filmen.

Analysemodell

Im Analysemodell von G. Albrecht aus den 1980er Jahren werden drei Analysebereiche ausgewiesen, die untersucht werden müssen: (Albrecht 1981)

 

Grundlage der Arbeit sind sieben Beobachtungsaufgaben, die überwiegend auf die inhaltliche Darstellung des Films abzielen:

  1. Was weiß man über die Entstehung und die Bedeutung von Medien, über die Absichten und Überzeugungen der Hersteller?
  2. An welche anderen Darstellungen erinnert der Film?
  3. In welcher Zeit und in welchem Raum spielt der Film?
  4. Was wird durch die Auswahl der Gestalten deutlich?
  5. Was wird durch den Aufbau der Handlung deutlich?
  6. Was wird durch das Bild hervorgehoben?
  7. Was wird durch den Ton hervorgehoben?

Auf Grund der Feststellungen, die durch die Beantwortung der Beobachtungen erfolgen, können dann Angaben über die Aussage/Tendenz/Zielsetzung des Films gemacht werden.

In diesen Beobachtungsaufgaben finden sich folgende Analysedimensionen wieder:

  • Bezugszeit‘: Gegebenheiten der realen Zeit, auf die sich konkrete Zeitangaben beziehen, die der Handlung, dem Ton, den Bildern entnommen werden können.
  • Handlungszeit‘: jene Teile der Bezugszeit, die tatsächlich in der Handlung eine Rolle spielen.
  • Laufzeit‘: diejenige Zeit, die zur Vorführung der Handlungszeit benutzt wird.
  • Bezugsraum‘: Gegebenheiten des realen Raumes, auf die sich konkrete Raumangaben beziehen, die der Handlung, dem Ton, den Bildern entnommen werden können.
  • Handlungsraum‘: jene Teile des Bezugsraumes, die tatsächlich in der Handlung eine Rolle spielen.
  • Bildraum‘: diejenigen Bilder, die zur Vorführung des Handlungsraumes benutzt werden.

Gerd Albrecht: Ziel und Arbeitsweisen der Filmanalyse. In: Bundeszentrale für politische Bildung: Handbuch Medienarbeit. Medienanalyse, Medieneinordnung, Medienwirkung, Opladen 1991³, S. 31-66

Zeit- und Raumdimensionen

In ähnlicher Weise wie G. Albrecht hat Helmut Korte sein Modell für die Filmanalyse entwickelt (Korte 1999: 21-23). Korte bündelt dabei die Zeit- und Raumdimensionen in vier Realitätsebenen.

 

Filmrealität

Bedingungsrealität

Bezugsrealität

Wirkungsrealität

Ermittlung aller am Film selbst feststellbaren Daten, Informationen, Aussagen (immanente Bestandsaufnahme), also Inhalt, formale und technische Daten, Einsatz filmischer Mittel, inhaltlicher und formaler Aufbau des Films, handelnde Personen, Handlungsorte, Handlungs-höhepunkte, Informationslenkung und Spannungsdramaturgie etc.

Kontextfaktoren, die die Produktion, die inhaltliche und formale Gestaltung des Films beeinflusst haben, also Aufarbeitung der historisch-gesellschaftlichen Situation zur Entstehungszeit des Films, Stand der Film-technik, der filmischen Gestaltung, Stellung des Films im Vergleich zur zeitgenössischen Filmproduktion (formal und inhaltlich), Bezüge zu anderen inhaltlich oder intentional ähnlichen Filmen, den weiteren Arbeiten des Regisseurs, seines Teams, der Produktionsfirma. Ggf. Bezug zur literarischen Vorlage etc:

Warum wird dieser Inhalt, in dieser historischen Situation, in dieser Form filmisch aktualisiert?

Erarbeitung der inhaltlichen, historischen Problematik, die im Film thematisiert wird:

In welchem Verhältnis steht die filmische Darstellung zur realen Bedeutung des gemeinten Problems, zu den zugrundeliegenden (historischen) Ereignissen?

Publikumspräferenzen einschließlich Einsatzorte, Laufzeiten des Films, Intentionen der Hersteller etc. Aufarbeitung der Rezeptionsdokumente zur Entstehungszeit des Films (zeitgenössische Rezeption), ggf. der Rezeptionsgeschichte und der entsprechenden heutigen Daten

 

Diese Analysekonzeptionen berücksichtigen einerseits „die Gesamtsicht (das Gesamtbewusstsein) von Kommunikationsstrukturen und -prozessen, andererseits die Kenntnis der Eigenart des filmischen Zeichenmaterials und der Grenzen seiner Interpretierbarkeit“ (Kuchenbuch 1978: 13).

Helmut Korte: Einführung in die systematische Filmanalyse. Berlin 1999

 

Historisch-kritische Filmanalyse im schulischen Geschichtsunterricht

Ausgehend von den Modellen von Albrecht und Korte wird in den ausgearbeiteten Bildungspaketen Film als Element eines komplexen Wahrnehmungs- und Konstruktionsprozesses der analytischen Arbeit unterzogen. In diesem Sinne gibt es Anknüpfungspunkte an Lothar Mikos Plädoyer für Filmverstehen:  „Filmverstehen meint, anhand eines Filmes zu untersuchen, wie er sich als bedeutungsvoller Medientext, der in den kulturellen Kreislauf der Produktion und Rezeption eingebunden ist, konstituiert – und dies ist nicht ohne die Einbeziehung der lebensweltlichen Verweisungszusammenhänge möglich, in denen die Produktion und Rezeption von Filmen stattfindet.“  Filme schaffen eigene Raum-Zeit-Kontinua, deren Analyse Rückschlüsse auf die, den Filmen zugrundeliegenden, gesellschaftlichen Kontexte erlauben. Dies gilt sowohl für die dargestellte Geschichte, für die Zeit der Filmproduktion wie auch der Filmrezeption. Grundlage der Arbeit ist dabei die Auseinandersetzung mit den filmischen Mitteln.

Damit korrespondiert dieser kommunikations-theoretische und mediendidaktische Ansatz mit den Anforderungen der ‚klassischen‘ Quellenarbeit.

Bei der inneren Quellenkritik geht es vor allem darum, die Gestaltung des Films selbst und damit verbundene Aussagen und Wertungen zu erkennen und offenzulegen sowie Hauptmotive herauszuarbeiten. In diesem Zusammenhang ist die Kenntnis von grundlegenden filmsprachlichen Mitteln unerlässlich.
Die äußere Quellenkritik, bezogen auf einen Film, heißt, zu versuchen, die Herkunft der Filmquelle und den gesell­schaftlichen Zusammenhang festzustel­len: den Auftraggeber, Produktionszeit und -ort, Produzent, Regisseur usw. Berücksichtigt werden sollten auch die politisch-ökonomischen Umstände der Entstehungszeit. Ferner ist, soweit möglich, die zeitgenössische Rezeption des Films einzubeziehen: Rezensionen,


Detlef Endeward: Historisch-kritische Filmanalyse im schulischen Geschichtsunterricht. In: Wilfried Köpke/Peter Stettner (Hrsg.): Filmerbe. Non-fiktionale historische Bewegtbilder in Wissenschaft und Medienpraxis, Köln 2018, S. 209-236

 

Der Spielfilm als ganzheitliches Erlebnisangebot – Psychologische Filmanalyse

Kann Filmanalyse objektiv sein? Wohl nur, wenn messbare Datenerhoben werden. Beispiel: Wie lange tritt eine Figur im Film auf? Wie lange bleibt sie im Bild?

Die psychologische Filmanalyse sieht im Spielfilm ein ganzheitliches Erlebnisangebot. Die Filmfiguren spiegeln mögliche Emotionen des Rezipienten wider. Sie fordert auch sein Erleben neu heraus. In dieser parasozialen Begegnung lässt sich der Rezipient nur auf eine einseitige Beziehung ein. Er muss sich nicht durch sein Gegenüber verbal rechtfertigen oder infrage stellen lassen.

Im Mittelpunkt der psychologischen Filmanalyse steht die Beschreibung des Films anhand sozialpsychologischer Dimensionen. Etwa: Welche Vorbilder für soziales Verhalten bietet der Film an? Was erlebt der Betrachter bei sich? Was nimmt er überhaupt wahr? Macht ihn im Film betroffen, wovon er im Leben betroffen ist?

In dieser intersubjektiven Betrachtungsweise werden Hypothesen erarbeitet und anhand sozialpsychologischer Dimensionen erhärtet. Im Rahmen des Trainings waren dies:

  1. Sympathieführung: Einschätzung jeder Hauptfigur von „Sehr sympathisch“ bis „unsympathisch“
  2. Botschaften: Wertende Stellungnahme des Filmemachers in Bezug auf moralische, ethische, ideologische und andere Fragen
  3. Konfliktlösungsstrategien: Wertung jeder Hauptfigur, wie sie sich durchsetzt oder anderen bei der Durchsetzung hilft.

Diese sozialpsychologischen Dimensionen wurden in einer fünftstelligen Skala evaluiert und durch einen prägnanten Satz benannt.


Bericht aus einem „Trainingslager“ bei der IAK-Studienwoche „Medien in einer neuen Alltagskultur – eine Herausforderung fiir die Medienpldagogik“ 1993 in Graz

 

Gerd Albrecht: Ziel und Arbeitsweisen der Filmanalyse. In: Bundeszentrale für politische Bildung: Handbuch Medienarbeit. Medienanalyse, Medieneinordnung, Medienwirkung, Opladen 1991³, S. 31-66

Detlef Endeward: Historisch-kritische Filmanalyse im schulischen Geschichtsunterricht. In: Wilfried Köpke/Peter Stettner (Hrsg.): Filmerbe. Non-fiktionale historische Bewegtbilder in Wissenschaft und Medienpraxis, Köln 2018, S. 209-236

Werner Faulstich: Einführung in die Filmanalyse. Literaturwissenschaft im Grundstudium 1, Tübingen 19803

Helmut Korte: Einführung in die systematische Filmanalyse. Berlin 1999

Thomas Kuchenbuch: Filmanalyse. Theorien, Modelle, Kritik, Köln 1978

Lothar Mikos: Filmverstehen. Annäherung an ein Problem der Medienforschung  http://www.medienpraktisch.de/amedienp/mptexte/tex1miko.htm

Süss, Daniel: Spielfilme im Alltag – Spielfilme im Unterricht  In: Ernst, Katharina/Ammann, Daniel, Hrsg.: Film erleben – Kino und Video in der Schule. Zürich 2000, S. 29-36.

Gerhar Teuscher: Filmanalyse. In: Praxis Geschichte. Spielfilme im Geschichtsunterricht, Heft 5/2006, S. I-V

 

 

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