Shoah (F 1974-1985)
Inhalt
Der neuneinhalbstündige Film „Shoah“ berichtet unter völligem Verzicht auf Archiv-Material von der Vernichtung der europäischen Juden. In langen Interviewsequenzen befragt Claude Lanzmann Überlebende, Zeugen und Täter, während seine Kamera die Orte der Vernichtung aufsucht und Gedenkstätten oder die Spuren zeigt, die die Lager in der Landschaft hinterlassen haben. Eine Off-Kommentierung gibt es nicht. Spärlich eingesetzt werden Erläuterungen per Texttafel. „Shoah“ entstand aus 350 Stunden Filmmaterial, das Lanzmann im Zeitraum von 1974 und 1985 während seiner Reisen durch Europa vor allem in Polen gesammelt hat.

Shoah (Frankreich 1974 – 1985)
Original-Titel: „Shoah“
Regie: Claude Lanzmann
Kamera: Dominique Chapuis, Jimmy Glasberg und William Lubtchansky
Schnitt: Ziva Postec und Anna Ruiz
Lanzmanns Interview-Partner:
Simon Srebnik
Mordechai Podchlebnik
Motke Zaidl
Hanna Zaidl
Jan Piwonski
Itzhak Dugin
Raul Hilberg
Filip Müller
Jacob Schulmann
Martha Michelson
Franz Schalling
u.a.
Laufzeit: ca. 566 Minuten.
Grundlage des folgenden Sequenzprotokolls stellte die 4-Kassetten-Ausgabe des Films dar. Lanzmann selbst teilt „Shoah“ in einen ersten und einen zweiten Film: In dieser Unterteilung wurde der Film auch im Fernsehen ausgestrahlt. Sie wurde in der 4-Kassetten-Version zwischen der zweiten und der dritten Kassette beibehalten. Die Trennungen zwischen der ersten und der zweiten bzw. der dritten und vierten Kassette fallen dagegen relativ willkürlich aus.
Kassette 1
Nr. |
Inhalt |
Länge |
Zeit |
01. |
Vorbemerkung, Danksagung, Titeleinblendung und Vorspann. |
12.27 |
0.00 – 12.27 |
02. |
Gespräch mit Mordechai Podchlebnik. |
23.15 |
12.27 – 35.43 |
03. |
Gespräch mit der Auschwitz-Überlebenden Paula Biren. |
10.28 |
35.43 – 46.11 |
04. |
Kolo: Gespräch mit Pan Falborski über die Deportation von Juden aus Kolo nach Chelmno. |
6.49 |
46.11– 53.00 |
05. |
Gespräch mit dem Bauern Czeslaw Borowi in Treblinka, dem ein Feld in der Nähe des ehemaligen Lagers gehört. |
14.30 |
53.00 – 1.07.30 |
06. |
Blick vom fahrenden Zug. |
17.55 |
1.07.30 – 1.25.25 |
07. |
Zug fährt im Bahnhof Sobibor ein. Der ehemalige Hilfsweichensteller Jan Piwonski zeigt, wo sich das Lagergelände befand. |
6.31 |
1.25.25 – 1.31.56 |
08. |
Der Auschwitz-Überlebende Rudolf Vrba in New York beschreibt den Verlauf der Zugankünfte in Auschwitz. Die Kamera zeigt das Tor von Auschwitz aus der Ferne und nähert sich diesem langsam über die Gleise. |
22.34 |
1.31.56 – 1.53.30 |
09. |
Altes Paar tanzt in Kneipe zu modernem Schlager. |
5.41 |
1.53.30 – 1.59.11 |
10. |
Der Funkwagen von Lanzmanns Team ist zu sehen. |
14.49 |
1.59.11– 2.14.00 |
11. |
„Schwarze Wand“ in Block 11 in Auschwitz. Kamerafahrt durch das Lager. |
17.22 |
2.14.00 – 2.27.18 |
Kassette 2
Nr. |
Inhalt |
Länge |
Zeit |
01. |
Titeleinblendung. |
4.31 |
0.00 – 4.31 |
02. |
Szene im Franziskaner Poststüberl in München: Der Wirt verweigert das Interview. |
7.47 |
4.31 – 12.18 |
03. |
Ein Zug fährt ins winterliche Sobibor ein. |
6.34 |
12.18 – 18.52 |
04. |
Zelle 13 im Block 11 von Auschwitz. Bilder vom Krematorium. Filip Müller berichtet Szenen, die sich vor der Vergasung abgespielt haben. |
7.30 |
18.52 – 26.22 |
05. |
Der Historiker Raul Hilberg über die „Erfindung der Endlösung“, die er in einen historischen Kontext stellt. |
8.20 |
26.22 – 34.42 |
06. |
Fahrt des Funkwagens. Heimlich mitgeschnittenes Gespräch mit dem ehemaligen SS-Angehörigen Franz Schalling, der im Winter 1942/43 bei Vergasungen mit Gaswagen in Chelmno beteiligt war. |
10.48 |
34.42 – 45.30 |
07. |
Fahrt über die Landstraße nach Chelmno. Mordechai Podchlebnik berichtet von den Vergasungen durch die Gaswagen. |
11.33 |
45.30 – 57.03 |
08. |
Lanzmann verliest einen Brief des Rabbis von Grabow von 19. Januar 1942. |
19.02 |
57.03 – 1.16.05 |
09. |
Gespräch mit Martha Michelsohn über die Arbeitsjuden. Die Bootfahrt Simon Srebnik ist noch einmal zu sehen. |
11.18 |
1.16.05 – 1.37.23 |
10. |
Autofahrt von der Kirche weg. Pan Falborski schildert die Fahrten der Gaswagen und die Massengräber am Straßenrand. |
10.51 |
1.37.23 – 1.48.14 |
11. |
Das Ruhrgebiet. Lanzmann verliest ein Schreiben mit der Kennzeichnung „Geheime Reichssache“ vom Juni 1942, das bauliche Modifikationen der Gaswagen fordert. Ein Lastwagen mit Fahrgestell der Firma Saurer ist zu sehen. |
6.36 |
1.48.14 – 1.54.50 |
Kassette 3
Nr. |
Inhalt |
Länge |
Zeit |
01. |
Titeleinblendung. |
16.30 |
0.00 – 16.30 |
02. |
In einem Friseursalon in Israel: Abraham Bomba berichtet von seiner Tätigkeit in einem Friseurkommando in Treblinka. |
18.11 |
16.30 – 34.41 |
03. |
Gedenksteine in Treblinka. |
10.34 |
34.41 – 45.15 |
04. |
Auschwitz: Rangierbahnhof im Winter. |
26.36 |
45.15 – 1.11.51 |
05. |
Bilder aus Korfu und der Juden in Korfu. Moshe Mordo zeigt seine Häftlingsnummer und ein Anti-Hitler-Faltblatt und schildert das Schicksal seiner Familie. Gesänge in der Synagoge. Armando Aaron, Präsident der jüdischen Gemeinde von Korfu, erinnert sich an die Verhaftungen im Juni 1944 und die Reise nach Auschwitz. Aufnahmen vom fahrenden Zug aus. |
15.34 |
1.11.51 – 1.27.25 |
06. |
Gespräch mit Walter Stier, dem ehemaligen Chef des „Büro 33“ der Reichsbahn. Er schildert den Unterschied zwischen normalen und Sonderzügen, den Sonderzügen für „Umsiedler“ und wird befragt nach seinem Wissen über die Vernichtung der Juden. |
24.54 |
1.27.25 – 1.52.19 |
07. |
Ein Zug fährt nach Oswiecim (Auschwitz) ein. |
27.31 |
1.52.19 – 2.19.50 |
Kassette 4
Nr. |
Inhalt |
Länge |
Zeit |
01. |
Titeleinblendung. |
37.50 |
0.00 – 37.50 |
02. |
Gespräch mit Jan Karski, dem ehemaligen Kurier der polnischen Exilregierung: Er berichtet von seinen Begegnungen mit einem Bund- und einem Zionistenführer in Warschau 1942 und deren Hilfsgesuch an die Alliierten. |
38.26 |
37.50 – 1.16.16 |
03. |
Gespräch mit Dr. Franz Grassler, dem ehemaligen Assistenten des Komissars Auerswald von Warschau, über seine verdrängten Erinnerungen. |
39.48 |
1.16.16 – 1.56.04 |
04. |
Winterlandschaft. Gertrude Schneider und ihre Mutter in New York singen ein Lied. |
21.55 |
1.56.04 – 2.17.59 |
05. |
Ein Zug fährt langsam an der Kamera vorbei. |
2.57 |
2.17.59 – 2.20.56 |
Claude Lanzmann, 1925 in Paris geboren, trat 1943 als Gymnasiast der Résistance in Clermond-Ferrand bei. Nach dem Krieg studierte er in Tübingen und arbeitete 1948/49 als Lektor an der Freien Universität Berlin. Lanzmann gehörte zum Freundeskreis von Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir. An Sartres Zeitschrift `Les temps modernes´ arbeitete er ab 1952 mit und wurde später deren Mitherausgeber. Lanzmann unterzeichnete gegen Ende des Algerienkrieges das „Manifest der 121“ gegen die französischen Kriegsverbrechen. Lanzmanns erster Film `Pourquoi Israel?´ (1973) beschäftigte sich mit der eigenen jüdischen Identität. Mit der Arbeit an `Shoah´ begann Lanzmann ein Jahr später. Material über den Aufstand im Vernichtungslager Sobibor, das in `Shoah´ keine Verwendung fand, verarbeitete Lanzmann 2001 in `Sobibor, 14. Oktober 1943, 16 Uhr´.
Simone de Beauvoir sieht in „Shoah“ ein Meisterwerk, das „weder Fiktion noch Dokumentation“ sei: Lanzmann montiere die Stimmen der Zeugen, der Opfer und der Techniker des Holocaust zu einem „mehrstimmigen Trauergesang“, der Vergangenes mit Gegenwärtigem und Schrecken mit Schönheit verschmelze.
Für Jim Hoberman ist „Shoah“ „der anspruchsvollste Film, der jemals über die Judenvernichtung gedreht wurde“. Hoberman lobt Lanzmanns behutsame Annäherung an „das Unvorstellbare“, erwähnt aber auch das „Gefühl der moralischen Verpflichtung“, sich den Film anzusehen.
Im Mittelpunkt der Besprechung von Wolfram Schütte steht Lanzmanns Technik, das „Unfassbare“ durch Menschen und Orte „so heraufzubeschwören (…), das das Geschehen ein innerlicher Teil der Zuschauer (…) wird“. Schütte weist darauf hin, dass das „Kino als ein Ort der Vergegenwärtigung“ auf die „Phantasiearbeit“ des Zuschauers angewiesen sei.
In der Zentralen Filmografie Politische Bildung wird betont, dass die „exakte Beschreibung von Zuständen und Gefühlen … die Vergangenheit fast wie Gegenwart erscheinen (lasse).
Ch. Schultz-Gerstein stellt fest, dass „Shoah“ die deutschen Zuschauer in ihrer „Eigenschaft als die moralischen Sieger der Nazi-Verbrechen grausam beschämt“, und hebt in diesem Zusammenhang Lanzmanns Täterinterviews hervor.