Jesus macht nicht mehr mit

Inhalt

Drei Soldaten der deutschen Wehrmacht sprengen Löcher in den gefrorenen Boden, um dort Leichen zu vergraben. Einer der drei testet, ob die Gräber groß genug sind. Er muss sich in jedes Loch legen und mit seinem Körper nachmessen. Seine Vorgesetzten haben ihm den Namen Jesus gegeben, weil er so sanft aussieht. Es kommt zum Konflikt mit seinen Vorgesetzten, als Jesus den täglichen Umgang mit den Toten und den immer sich wiederholenden Grabtest nicht mehr aushält. Er weigert sich, in die Löcher zu steigen und verweigert den Befehl.


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Er lag unbequem in dem flachen Grab. Es war wie immer reichlich kurz geworden, so dass er die Knie krumm machen musste. Er fühlte die eisige Kälte im Rücken. Er fühlte sie wie einen kleinen Tod. Er fand, dass der Himmel sehr weit weg war. So grauenhaft weit weg, dass man gar nicht mehr sagen mochte, er ist gut oder er ist schön. Sein Abstand von der Erde war grauenhaft. All das Blau, das er aufwandte, machte den Abstand nicht geringer. Und die Erde war so unirdisch kalt und störrisch in ihrer eisigen Erstarrung, dass man sehr unbequem in dem viel zu flachen Grab lag. Sollte man das ganze Leben so unbequem liegen? Ach nein, den ganzen Tod hindurch sogar! Das war ja noch viel länger.

Zwei Köpfe erschienen am Himmel über dem Grabrand. Na, passt es, Jesus? fragte der eine Kopf, wobei er einen weißen Nebelballen wie einen Wattebausch aus dem Mund fahren ließ. Jesus stieß aus seinen beiden Nasenlöchern zwei dünne ebenso weiße Nebelsäulen und antwortete: Jawoll. Passt.

Die Köpfe am Himmel verschwanden. Wie Kleckse waren sie plötzlich weggewischt. Spurlos. Nur der Himmel war noch da mit seinem grauenhaften Abstand.

Jesus setzte sich auf und sein Oberkörper ragte etwas aus dem Grab heraus. Von weitem sah es aus, als sei er bis an den Bauch eingegraben. Dann stützte er seinen linken Arm auf die Grabkante und stand auf. Er stand in dem Grab und sah traurig auf seine linke Hand. Beim Aufstehen war der frischgestopfte Handschuh am Mittelfinger wieder aufgerissen. Die rotgefrorene Fingerspitze kam daraus hervor. Jesus sah auf seinen Handschuh und wurde sehr traurig. Er stand in dem viel zu flachen Grab, hauchte einen warmen Nebel gegen seinen entblößten frierenden Finger und sagte leise: Ich mach nicht mehr mit. Was ist los, glotzte der eine von den beiden, die in das Grab sahen, ihn an. Ich mach nicht mehr mit, sagte Jesus noch einmal ebenso leise und steckte den kalten nackten Mittelfinger in den Mund. Haben Sie gehört, Unteroffizier, Jesus macht nicht mehr mit.

Der andere, der Unteroffizier, zählte die Sprengkörper in eine Munitionskiste und knurrte: Wieso? Er blies den nassen Nebel aus seinem Mund auf Jesus zu: Hä, wieso? Nein, sagte Jesus noch immer ebenso leise, ich kann das nicht mehr. Er stand in dem Grab und hatte die Augen zu. Die Sonne machte den Schnee so unerträglich weiß. Er hatte die Augen zu und sagte: Jeden Tag die Gräber aussprengen. Jeden Tag sieben oder acht Gräber. Gestern sogar elf. Und jeden Tag die Leute da reingeklemmt in die Gräber, die ihnen immer nicht passen. Weil die Gräber zu klein sind. Und die Leute sind manchmal so steif und krumm gefroren. Das knirscht dann so, wenn sie in die engen Gräber geklemmt werden. Und die Erde ist so hart und eisig und unbequem. Das sollen sie den ganzen Tod lang aushalten. Und ich, ich kann das Knirschen nicht mehr hören. Das ist ja, als wenn Glas zermahlen wird. Wie Glas.

Halt das Maul, Jesus. Los, raus aus dem Loch. Wir müssen noch fünf Gräber machen. Wütend flatterte der Nebel vom Mund des Unteroffiziers weg auf Jesus zu. Nein, sagte der und stieß zwei feine Nebelstriche aus der Nase, nein. Er sprach sehr leise und hatte die Augen zu: Die Gräber sind doch auch viel zu flach. Im Frühling kommen nachher überall die Knochen aus der Erde. Wenn es taut. Überall die Knochen. Nein, ich will das nicht mehr. Nein, nein. Und immer ich. Immer soll ich mich in das Grab legen, ob es passt. Immer ich. Allmählich träume ich davon. Das ist mir grässlich, wisst ihr, dass ich das immer bin, der die Gräber ausprobieren soll. Immer ich. Immer ich. Nachher träumt man noch davon. Mir ist das grässlich, dass ich immer in die Gräber steigen soll. Immer ich.

Jesus sah noch einmal auf seinen zerrissenen Handschuh. Er kletterte aus dem flachen Grab heraus und ging vier Schritte auf einen dunklen Haufen los. Der Haufen bestand aus toten Menschen. Die waren so verrenkt, als wären sie in einem wüsten Tanz überrascht worden. Jesus legte seine Spitzhacke leise und vorsichtig neben den Haufen von toten Menschen. Er hätte die Spitzhacke auch hinwerfen können, der Spitzhacke hätte das nicht geschadet. Aber er legte sie leise und vorsichtig hin, als wollte er keinen stören oder aufwecken. Um Gottes willen keinen wecken. Nicht nur aus Rücksicht, aus Angst auch. Aus Angst. Um Gottes willen keinen wecken. Dann ging er, ohne auf die beiden anderen zu achten, an ihnen vorbei durch den knirschenden Schnee auf das Dorf zu.

Widerlich, der Schnee knirscht genau so, so ganz genau so. Er hob die Füße und stelzte wie ein Vogel durch den Schnee, nur um das Knirschen zu vermeiden.

Hinter ihm schrie der Unteroffizier: Jesus! Sie kehren sofort um! Ich gebe Ihnen den Befehl! Sie haben sofort weiterzuarbeiten! Der Unteroffizier schrie, aber Jesus sah sich nicht um. Er stelzte wie ein Vogel durch den Schnee, wie ein Vogel, nur um das Knirschen zu vermeiden. Der Unteroffizier schrie – aber Jesus sah sich nicht um. Nur seine Hände machten eine Bewegung, als sagte er: Leise, leise! Um Gottes willen keinen wecken! Ich will das nicht mehr. Nein. Nein. Immer ich. Immer ich. Er wurde immer kleiner, kleiner, bis er hinter einer Schneewehe verschwand.

Ich muss ihn melden. Der Unteroffizier machte einen feuchten wattigen Nebelballen in die eisige Luft. Melden muss ich ihn, das ist klar. Das ist Dienstverweigerung. Wir wissen ja, dass er einen weg hat, aber melden muss ich ihn.

Und was machen sie dann mit ihm? grinste der andere.

Nichts weiter. Gar nichts weiter. Der Unteroffizier schrieb sich einen Namen in sein Notizbuch. Nichts. Der Alte lässt ihn vorführen. Der Alte hat immer seinen Spaß an Jesus. Dann brüllt er ihn zusammen, dass er zwei Tage nichts isst und redet, und lässt ihn laufen. Dann ist er wieder ganz normal für eine Zeitlang. Aber melden muss ich ihn erstmal. Schon weil der Alte seinen Spaß dran hat. Und die Gräber müssen doch gemacht werden. Einer muss doch rein, ob es passt. Das hilft doch nichts.

Warum heißt er eigentlich Jesus, grinste der andere.

Oh, das hat weiter keinen Grund. Der Alte nennt ihn immer so, weil er so sanft aussieht. Der Alte findet, er sieht so sanft aus. Seitdem heißt er Jesus. Ja, sagte der Unteroffizier und machte eine neue Sprengladung fertig für das nächste Grab, melden muss ich ihn, das muss ich, denn die Gräber müssen ja sein.


aus: Wolfgang Borchert: Das Gesamtwerk. Hamburg (Rowohlt) 1949. S. 178 – 181

Wenn das Wetter mit Regie führt

Die Entscheidung, Wolfgang Borcherts Kurzgeschichte „Jesus macht nicht mehr mit“ zu verfilmen, resultierte vor allem aus der Spannung, die die extreme Situation einer Befehlsverweigerung mitten im Krieg in sich birgt. Diese Spannung kann einen Film tragen. Außerdem war das Set in Form eines winterlichen Ackers mit nur drei Schauspielern ohne allzu großen Aufwand zu realisieren. Die Entscheidung, draußen in der Natur und nicht im (teuren) Studio zu drehen, war bereits am Anfang des Vorhabens gefällt worden. Es war eine leichte Entscheidung, die zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel ließen unserer studentischen Produktion auch gar keine Alternative. Die Arbeiten am Drehbuch gingen zügig voran, in einem Storyboard wurden die Einstellungen detailliert festgehalten. Wenn die Kamera erst einmal läuft ist keine Zeit für Diskussionen, die müssen vorher abgeschlossen sein. Wie intensiv diese Kurzgeschichte im Team diskutiert wurde, ging mir bei den ersten Gesprächen mit den Schauspielern auf. Es war nicht nur das Projekt einer Literaturverfilmung, unser Thema war das, was damals passierte, was in den Köpfen der Soldaten vor sich ging, und immer wieder Borchert. Wolfgang Borcherts Biographie, die in dieser Geschichte in jedem Satz durchschimmert. Die Idee der Verfilmung war schon lange vor Drehbeginn in den Köpfen des ganzen Teams

Trier liegt an der Mosel und ist nicht der Ort, an dem winterliches Wetter mit Minusgraden zu erwarten ist. Schnee fällt hier nur auf einigen Anhöhen des Hochwaldes in Richtung Hunsrück und dort auch nur für eine kurze Zeit. Nachdem wir uns im Team konzeptionell darauf geeinigt hatten, dass Jesus – anders als in der literarischen Vorlag – seine Geschichte in einem inneren Monolog selbst erzählt und am Schluss des Films erneut im Grab steht, konnte das Storyboard fertiggestellt werden. Im Kopf lief der Film bereits. Zeitlich kamen wir in einen Engpass; es gab nur zwei Wochenenden, an denen wir komplett mit unseren drei Schauspielern (die alle Engagements laufen hatten) und den Spezialisten für Kamera, Bühne und Spezial-Effekte rechnen konnten. Jetzt musste das Wetter mitspielen. Und es spielte mit. An Fasching 1996 gesellte sich zum Frost auch Schnee über die Höhen des Moseltals. Wir begannen mit einem Bagger die Gräber aus dem gefrorenen Boden auszuheben. Die Original Wehrmachtsuniformen waren ebenso wie die Requisiten schon besorgt. Ein Notstromaggregat, Heizanlagen und Zelte wurden zum Set transportiert. Das Wetter schien vielversprechend, ein satter Schneeteppich packte die Pellinger Höhe in weiße Watte.

Am 16.02.1996 spuckten 15 mit Filmarbeiten weitgehend unerfahrene Studierende der Uni Trier in die Hände und hackten mit Pickeln und Schaufeln das Eis vom Asphalt, um Schienen und Kran sicheren Halt zu geben. Die Männer der freiwilligen Feuerwehr Pellingen beobachteten unser Treiben genauso skeptisch wie die eigens angerückten Polizisten, deren Aufgabe es war, die Bundesstraße für die Dauer unserer Sprengsimulation voll zu sperren. Dass dabei nur ein Ballen Torf in die Luft gejagt wurde, gab dem Großaufgebot an Sicherheitskräften eine heitere Note. Wir mussten lange warten, bis unsere Effektspezialisten ihre Bombe zünden konnten. Zu dicht war der Nebel, zu schlecht die Sicht. Nach zwei Stunden die erste Explosion, Kranschwenk und die Ausbreitung der Detonation waren jedoch nicht optimal. Und wieder Nebel und wieder warten. Eine knappe Stunde später reißt der Nebel erneut auf. Alles geht jetzt sehr schnell. Das Horn erklingt, die Straße ist gesperrt, den Journalisten des lokalen Blattes wird noch einmal die Notwendigkeit erklärt, den Mund zu halten, Ton läuft, Kamera läuft, ein Handzeichen, die Ladung geht hoch, die Schauspieler marschieren auf den Qualm zu, der Kran schwenkt ruhig weiter, die war es. Zur Sicherheit gleich noch Einstellung. Und Abbau. Dann gibt es erst mal was zu futtern. Nach fünf durchfrorenen Stunden, die Wärme in der Gaststätte. Jetzt nicht müde werden, wir liegen hinter dem Drehplan. Das Set wird von der Anhöhe in die Mulde des Ackers verlegt. Der LKW mit der Technik muss Schneeketten aufziehen, um durch das verwehte Gelände zu kommen. Wir drehen noch einige Schnittbilder – für alle Fälle. Der Rest der Crew verlegt die Schienen für die erste Fahrt, die gleich morgen früh abgeschossen werden soll. Es wird kälter. Die Schauspieler und die, die am schlimmsten durchfroren sind, werden nach Hause geschickt. Schließlich müssen auch wir die Arbeit an den Schienen einstellen, es wird zu dunkel. Am nächsten Morgen ist die weiße Pracht deutlich geschmolzen. Wir stellen den Drehplan um, zuerst müssen die Totalen gedreht werden – solange noch Schnee liegt. Die Kommilitoninnen und Kommilitonen lernen schnell und bald schon kommt Routine ins Team. Wir holen wieder etwas Zeit auf. Die Schauspieler, die in den alten Uniformen nur notdürftig gegen die Kälte geschützt sind, erhaschen einen vagen Eindruck dessen, was vor über fünfzig Jahren in Rußland abgegangen sein muss. Für einen kurzen Moment kommt auch die Sonne raus und mit ihr auf einem uralten Traktor ein noch älterer Landwirt. Der zahnlose Alte kommt freudig auf uns zu und berichtet, wie er 1944 an gleicher Stelle mit seinem Vater die Leichen weggefahren hatte, so ähnlich wie in Borcherts Geschichte. Tatsächlich haben auf dem Acker, auf dem wir drehen, 1944 verlustreiche Kämpfe zwischen SS und heranrückenden amerikanischen Einheiten stattgefunden. Die Vergangenheit holt uns auch am Set immer wieder ein. Die Tage in der Kälte haben das Team zusammengebracht. Der Film ist nicht nur in den Köpfen, wir spüren ihn am ganzen Leib. Das Ziel, Wolfgang Borcherts Geschichte angemessen zu verfilmen, hat sich – gerade durch die extremen Wetterverhältnisse – zu einem Ziel der ganzen Crew entwickelt.

Morgens am dritten Tag ist der Schnee weiter geschmolzen und die ausgehobenen Gräber voll Wasser gelaufen. Mit allen verfügbaren Eimern und Töpfen wird das Wasser abgeschöpft und Schnee dorthin gebracht, wo keiner mehr liegt. Es ist nicht nötig irgendeine Anweisung zu geben; jeder weiß, was zu tun ist und stellt sich gegen die Unbillen der Natur. Das naßkalte Wetter weicht die Kleidung auf, manche müssen sich dreimal komplett umziehen. Krank wurde übrigens niemand. Wir liegen in etwa im Zeitplan und doch wird erst der heutige Tag zeigen, ob der Film funktioniert. Denn erst heute wagen wir uns an die Nah- und Großaufnahmen, die Dialoge mit den Schauspielern heran. Bei den Proben in der beheizten Wohnung haben wir uns schon an den zu spielenden Ausdruck rangetastet aber hier oben sieht dann doch alles anders aus. Die Stahlhelme wirken bei dem Wind so schallisolierend, dass man zur Verständigung brüllen muss. Nachdem das Set wieder mit Schnee bedeckt ist, können. wir anfangen zu drehen – denken wir. Da bricht ein Schneesturm los, dass es einem die Luft abschnürt. Wie Nadelstiche treibt es die Eiskristalle in die Gesichter. Wir gehen in Deckung. Es ist nicht möglich, die Kamera aufzustellen. Ein geländegängiger Jeep wird in den Acker manövriert, er bietet uns den Windschatten die Kamera einzurichten. Während die Füße auf Brettern im geschmolzenen Wasser stehen, peitscht uns der Sturm. Extreme Anforderungen an Kamera und Ton. Routiniert setzt unser Kameramann Ernst Kubitza dem Sturm noch eins drauf und erzeugt künstliche Nebel und Qualmschwaden. Optisch, akustisch und klimatisch kommen wir uns jetzt wirklich vor, als befänden wir uns mitten im Krieg. Nur haben wir den Windschatten. Die Schauspieler nicht, sie stehen frei auf dem Acker. Ton ab, Kamera läuft und bitte; „Hej, Unteroffizier, Jesus, macht nicht mehr mit, habahaha…….“ Es ist wunderbar. Dirk Mühlbach, Jens Neuhaus und Bernd Neunzling spielen gegen den Schneesturm an und weisen die Natur in ihre Schranken, sie spielen noch heftiger, als der Sturm es vermag. Der Film funktioniert, er beginnt zu leben, Atmosphäre zu atmen, wir spüren, es wird ein guter Film. Nach drei Stunden im Sturm ist die Grenze des Möglichen erreicht. Den letzten Dialog drehen wie nicht mehr. Gemeinsam mit meinem Co-Autor Marcus Angioni entscheide ich, diese Passage als Off-Text anzulegen, Bildmaterial ist ausreichend vorhanden, wir brechen ab. Schauspieler, Technik und die Durchfrorenen werden nach Hause gefahren. Wer noch in der Lage ist, hilft beim Abbau. Am Nachmittag des dritten Tages haben wir die Außenaufnahmen abgedreht und just in dem Moment, als wir abfahren, bricht der Sturm ab, genauso abrupt, wie er begonnen hat.

Die restlichen Innenaufnahmen sowie die Sichtung von Archivmaterial aus alten Wochenschauen und natürlich die Endfertigung des Films geschehen nach und nach, so wie es unsere spärlich finanziellen Mittel erlauben. Anfang 1997 ist der Film dem endlich fertig. Entstanden ist er in den Köpfen unseres Teams, auf einem Acker bei Trier haben wir – und die Natur als Co-Regisseur – ihm Leben eingehaucht. Nun kommt er zu Ihnen und wie wir hoffen, direkt in Ihre Köpfe.

von Uwe Thein

Der Regisseur Uwe Thein hat die Borchert-Geschichte Jesus macht nicht mehr mit in einer eindrücklichen Weise in einen Kurzfilm umgesetzt. Die Absichten Borcherts, die menschenverachtenden Dimensionen des Krieges und die inneren Verletzungen der Menschen darzustellen, greift Thein mit filmischen Mitteln sinnvoll auf und bringt sie auf den Punkt.

In seinem Schwarzweiß-Film behält Thein dabei den lakonischen Stil der Trümmerliteratur bei: Mit der ersten Einstellung sind die Begleitumstände der Geschichte klar. Die filmische Erzählweise der Borchert-Geschichte – aus der Perspektive des im Grabe liegenden Jesus wird die unendliche Ferne des Himmels beschrieben sowie die Kälte des Bodens – nimmt Thein auf und entwickelt eine konsequent subjektive Perspektive, bei der Jesus selbst seine Geschichte erzählt.

Die Eindrücklichkeit und Absurdität dieser Kriegsszenen werden noch erhöht durch eine Perspektivänderung gegenüber der Vorlage. Während in der Kurzgeschichte der Unteroffizier berichtet, welche Späße der „Alte“ mit Jesus treibt, legt der Film diese Beschreibung dem Jesus selbst in den Mund: „Der Unteroffizier schreibt sich meinen Namen auf. Der Alte lässt mich vorführen…“ Unterlegt wird dieser Off-Text durch verfremdete Traumszenen, in denen der nackte Jesus schemenhaft durch die Dunkelheit schleicht und der Alte herrscherhaft auf einem Thron erscheint. Jesus spricht dabei den Text nicht leidend, sondern zunächst eher nüchtern und berichtend, zum Schluss sogar ironisierend, vielleicht die Stimmlage seines Unteroffiziers imitierend.

Und dann spricht dieser Jesus sogar Sätze, die nach der Vorgeschichte nicht zu ihm passen, sondern eher zu dem Unteroffizier: „Die Gräber müssen doch gemacht werden. Einer muss doch rein, ob es passt. Das hilft doch nichts.“ Damit erhält dieser Jesus Züge von Schizophrenie, die in der Schlussszene des Films wieder aufgegriffen werden. Hier wiederholt Jesus – abweichend von Textvorlage und Drehbuch – beinahe flehentlich die beiden Sätze: „Einer muss doch rein, ob es passt. Das hilft doch nichts.“ Er verinnerlicht damit die Ansprüche seiner Vorgesetzten und gerät in einen Konflikt mit seinem Widerwillen gegen seine Rolle als Grabtester. Nicht nur die anderen meinen – wie im Text – zu erkennen, dass „er einen weg hat“, sondern Jesus führt im Film direkt vor, dass er an der grausigen Realität des Krieges zerbricht.

Dieser Kurzfilm, der in Zusammenarbeit mit Studenten der Universität Trier realisiert wurde, stellt eine gelungene aktuelle Literaturverfilmung dar. Die Auseinandersetzung mit der Art der filmischen Umsetzung führt in das Zentrum der Kurzgeschichte von Wolfgang Borchert.

September 1997,
Dr. Frank Hellberg
Pädagogischer Mitarbeiter im NLI, Dezernat Medienpädagogik

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