Das Brot (1996)

Inhalt

Eine Familie leidet unter den strengen Lebensmittelrationierungen des Zweiten Weltkrieges. Es gibt kaum genug, um zu überleben. Den Mann bewegen Fluchtgedanken. Auf dem Schwarzmarkt hat er sich einen Globus eingetauscht, was seine Frau ärgerlich zur Kenntnis nimmt. Eines Nachts macht seine Frau die bestürzende Entdeckung, dass ihr Mann heimlich in der Küche Brot isst, um seinen Hunger zu stillen. Der Mann versucht, sein Vorhaben zu vertuschen mit der Begründung, er habe in der Küche ein Geräusch gehört. Sie übergeht diesen Vorfall und bestätigt, ebenfalls ein Geräusch gehört zu haben. Am nächsten Tag bekommt ihr Mann am Abend eine Scheibe Brot mehr.

Die Kurzgeschichten „Auf der Flucht“ von Wolfdietrich Schnurre sowie „Das Brot“ ,Nachts schlafen die Ratten doch“ und „Jesus macht nicht mehr mit“ von Wolfgang Borchert gehören zu den wichtigen literarischen Verarbeitung von Alltagserfahrungen im Krieg. Die beschriebenen Extremsituationen sind jedoch nicht nur auf Kriegszeiten beschränkt, viele Menschen haben zum Beispiel in der Nachkriegszeit ähnliche Erfahrungen durchmachen müssen. In ihrer knappen sowie treffenden Sprache und der Dichte der menschlichen Erfahrungen in Extremsituationen sprechen sie auch die heutige Schülergeneration an. Auch wenn ihr die Erfahrungen von Not, Hunger und Elend fehlen, so erlangen die Geschichten durch aktuelle Kriegsbilder eine ungeahnte Aktualität.

In den 1990er Jahren verfilmte der Regisseur Wolfgang Küper drei Erzählungen von Wolfgang Borchert und Wolf-Dietrich Schnurre, die sich mit den existenziellen Grenzerfahrungen der Menschen im Krieg und in der Nachkriegszeit beschäftigen. 

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Medienart: 16 mm, VHS, schwarzweiß
Laufzeit: 15 Minuten
Buch, Regie: Wolfgang Küper nach der Erzählung „Das Brot“ von Wolfgang Borchert
Darsteller: Achim Grubel, Adriana Altaras, Torsten Behncke
Kamera: Sebastian Meuschel
Ton: Oliver Grafe
Musik: John Leigh
Schnitt: Christine Boock
Maske: Heike Doll
Bühne: Torsten Behncke
Kostüme: Wilhelm Karl
Produktion: Les Films des Mistons, Berlin
Produktionsland: Bundesrepublik Deutschland
Produktionsjahr: 1996
Bezug: Les Films des Mistons, Uhlandstraße 47, 10719 Berlin
Bilder Ort
Inhalt und Kamerabewegung
Dialoge
Bild 1

Eine Straßen-ecke
Außen
Tag

Deutschland 1945.
An einer Straßenecke tritt ein Schwarzmarkthändler vor Kälte von einem Bein aufs andere. Unter seinem langen verschlissenen Mantel verbirgt er etwas. Trotz seines verschlagenen Blickes schaut er sich ständig um, als fürchte er, verhaftet zu werden. Ein anderer Mann, der ebenfalls sehr ärmlich gekleidet ist, tritt an den Scwarzmarkthändler heran. Sie sehen sich an. Der Händler schlägt seinen weiten Mantel zurück. Ein ganzer Schinken kommt zum Vorschein. Der Mann starrt den Schinken wortlos an. Der Schwarzmarkthändler lässt seinen Mantel schnell wieder zufallen.

 
  Der Schwarzmarkthändler:
(ärgerlich):
Hau schon ab!
Der Mann nimmt seinen Rucksack nach vorn, kramt darin und zieht eine alte Schreibmaschine hervor, die er dem Schwarzmarkthändler mit fragendem Blick entgegenhält. Doch der Händler schüttelt nur den Kopf.  
  Der Schwarzmarkthändler:
Die müsste schon aus Gold sein. Geh nach hause und lass mich in Ruhe.
Er dreht sich um und lässt den Mann stehen.  
Bild 2 Die Küche
Innen
Tag

Eine Frau sitzt in ihrer Küche am Tisch und liest ein Buch. Es ist sehr still. Nur ein Wasserhahn tropft. Unendlich langsam umfährt die Kamera die Frau, bis der Titel ihres Buches lesbar wird: „Heinrich Heine: Das Buch der Lieder“.
Während der Umfahrt hören wir im Off das Gedicht, welches die Frau gerade liest.

 
 

Die Frau (OFF):
Ich hab im Traum geweinet,
Mir träumte, du lägest im Grab.
Ich wachte auf, und die Träne
Floss noch von der Wange herab.

Ich hab` im Traum geweinet,
Mir träumt` du verließest mich.
Ich wachte auf, und ich weinte
noch lange bitterlich.

Ich hab` im Traum geweinet,
Mir träumte, du bliebest mir gut.
Ich wachte auf, und noch immer
Strömt meine Tränenflut.

Von draußen ist plötzlich ein lautes Geräusch zu vernehmen. Das Quietschen der Gartenpforte.Die Frau zuckt erschrocken zusammen.  
Bild 3 Das Haus
Die Küche
Außen, Innen
Tag

Der Mann schließt die Gartenpforte hinter sich und geht auf sein Haus zu. Auf dem Rücken trägt er einen Rucksack, unterm Arm einen mit Packpapier verhüllten Gegenstand. So verschwindet er in der Haustür.

Die Kamera fährt zum Fenster der Küche, die sich neben dem Eingang befindet, und nimmt den Mann in dem Moment wieder an, als er die Küche betritt.
Er begrüßt seine Frau, indem er sie leicht küsst, und stellt den Gegenstand auf den Tisch.

 
 

Der Mann:
N` Abend, Sarah.

Die Frau (neugierig):
Was hast du denn da mitgebracht? Etwas Schönes?

Der Mann tut sehr geheimnisvoll, entfernt endlich das Papier von dem Gegenstand und enthüllt einen alten Globus. Er sieht seine Anschaffung begeistert an.
Die Frau wendet sich enttäuscht ab.
 
 

Die Frau:
Was wollen wir damit anfangen. Es gibt so viele Dinge, die wir brauchen, aber einen Globus…

Der Mann:
Wir brauchen ihn. Wirst du schon sehen.

Er setzt sich an den Tisch, direkt vor seinen Globus. Gedankenverloren beginnt er die Kugel zu drehen.  
 

Der Mann (leise):
Es wird schlimmer. Heute haben Sie wieder drei Männer aus dem Betrieb abgeholt…(Lange Pause) Mal sehen, ob ich einen Platz für uns finde.

Die Frau (zynisch):
Vielleicht Amerika? Und verrätst du mir auch, wovon wir…

Der Mann (unterbricht sie):
Still!

Er dreht den Globus, schließt die Augen und tippt mit dem Zeigefinger auf eine beliebige Stelle der rotierenden Kugel, die damit sofort zum Stillstand kommt.Der Mann öffnet die Augen, um nachzuschauen, wo sein Finger gelandet ist. Er hat genau die Stelle „DEUTSCHES REICH“ getroffen.  
  Der Mann (zu sich):
Ist doch schwieriger als ich dachte.
Er wiederholt das Spiel.  
  Die Frau (ungeduldig):
Nun hör schon damit auf. Nirgendwo werden wir hingehen. Wir werden hier damit fertig, oder überhaupt nicht.
Der Mann hat mit seinem Finger wieder „DEUTSCHES REICH“ getroffen.  
  Der Mann (erstaunt):
Das gibt’s nicht.
Er versucht es noch einmal.  
  Die Frau:
Geh lieber zum Fränzchen. Er liegt schon im Bett und wartet auf dich.
Der Mann öffnet ganz vorsichtig die Augen und hebt seinen Zeigefinger, um das neuerliche Ergebnis betrachten zu können. Doch wiederum ist er im „DEUTSCHEN REICH“ gelandet.  
  Der Mann (nachdenklich):
Das glaub ich nicht. Das kann doch nicht wahr sein.
Er schiebt den Globus enttäuscht beiseite und steht auf. Jetzt erst bemerkt er das Buch, welches seine Frau soeben noch las. Es liegt auf dem Tisch neben dem Globus.  
 

Der Mann (ärgerlich):
Lass doch dein Buch nicht immer offen herumliegen. Wenn es mal der falsche sieht, sind wir dran. Wir müssen besonders vorsichtig sein.

Er nimmt das Buch und versteckt es im Küchenschrank.  
 

Der Mann:
Ich werde Franz Gute nacht sagen.

Der Mann verlässt die Küche. Die Kamera folgt ihm ins Treppenhaus. Auf halber Treppe bleibt sie stehen und beobachtet, wie der Mann im Kinderzimmer, welches im 1. Stock liegt, verschwindet. Die Tür fällt hinter ihm zu. Kurz darauf erklingt die Stimme des Mannes, der seinem Sohn ein Schlaflied singt.

 
  Der Mann (singt, OFF):
Saßen einst zwei Hasen, fraßen ab das grüne Gras bis auf den Rasen…
Ganz langsam zieht sich die Kamera auf dem Weg zurück, auf dem sie gekommen ist. Wieder in der Küche beobachtet sie, wie die Frau nachdenklich vor dem Globus steht und ihn betrachtet. Ganz vorsichtig fahren ihre Finger über die Kugel und drehen sie dabei.
ABBLENDE
 
Bild 4 Die Küche
Innen
Nacht

AUFBLENDE
Der Mann sitzt am Küchentisch. Seine Frau stellt die wenigen Dinge, die sie zum Essen haben, auf den Tisch: Brot und Margarine. Sie schüttet Kaffee in die Becher. Dann setzt auch sie sich. Der Mann schaut auf dem Tisch umher.

 
 

Der Mann:
Es gibt ja heute wieder weniger. Nur zwei Scheiben. Wie soll man dabei weiterleben.

Die Frau (entschuldigend):
Wenn ich uns jetzt mehr gebe, reicht es nicht für die Woche. Brot ist jetzt auch rationiert worden.

Sie essen lange schweigend.

ÜBERBLENDUNG

Die Frau ist jetzt allein in der Küche. Sie räumt den Tisch ab. Ordentlich wird alles an seinen ursprünglichen Platz gestellt. Selbst die Brotkrumen fegt sie zusammen und schüttet sie für eine spätere Verwendung in einen kleinen Behälter.

 
Bild 5 Das Haus
Außen
Nacht

Das Licht in der Küche erlischt. Das Haus liegt dunkel in der Nacht.

ABBLENDE

 
Bild 6 Das Schlaf-zimmer
Die Küche
Innen
Nacht

Mitten in der Nacht wird die Frau plötzlich wach. Aus dem unteren Teil des Hauses dringen Geräusche ins Schlafzimmer. Sie dreht sich zu ihren Mann um. Das Bett neben ihr ist jedoch leer.
Leise steht sie auf. Es ist kalt.
Fröstelnd wirft sie sich eine Strickjacke über das dünne Nachthemd. Auf Zehenspitzen tappt sie die dunkle Treppe zum Erdgeschoss hinunter. Die Stufen knarren. Aus der Küche dringt ein matter Lichtschein.Dann steht sie ihrem Mann gegenüber. Er lehnt am Küchenschrank, im langen Nachthemd und mit nackten Füßen.Mit einem Blick erkennt sie die Situation. Sie sieht, dass er sich Brot abgeschnitten hat. Auf dem Küchentisch steht der Brotteller. Das Messer liegt noch daneben, und auf der Tischdecke liegen Brotkrümel.
Die Frau fühlt, wie die Kälte des Bodens an ihr hochkriecht. Sie sieht vom Teller weg.

 

Sie sieht ihn nicht an, weil sie nicht ertragen kann, dass er sie belügt. Der Mann schaut sinnlos von einer Ecke in die andere. Er hält die Hände hinter dem Rücken. Dort verbirgt er eine dicke Brotscheibe, die er nervös knetet.

 

Sie zieht die Jacke fester um die Schultern.

 

Der Mann dreht immer noch das Stück Brot in seinen versteckten Händen. Er schaut zum Fenster.

 

Die Frau räumt den leeren Brotteller und das Messer vom Tisch. Sie schnippt die Krümel beiseite.

 

Sie macht das Küchenlicht aus. Es ist dunkel.

 

Die beiden verlassen die Küche und gehen die Treppe zum Schlafzimmer hoch. Seine nackten Füße platschen auf den Boden. Dann knarren wieder die Stufen. Da die Kamera in der Küche bleibt, entfernen sich die Stimmen immer mehr.

 

ÜBERBLENDUNG

Der Mann (schaut in der Küche umher):
Ich dachte, hier wär was.

Die Frau (leise):
Ich habe auch was gehört…Du hättest Hausschuhe anziehen sollen. So barfuß auf dem kalten Boden. Du erkältest dich noch.

 

Der Mann:
Ich dachte, hier wär was.
Ich hörte hier was.
Da dachte ich, hier wär was.

Die Frau:
Ich hab auch was gehört. Aber es war wohl nichts.

 

Der Mann:
Nein, es war wohl nichts.

Die Frau:
Komm. Das war bestimmt draußen. Komm zu Bett. Du erkältest dich noch auf dem kalten Boden.

Der Mann:
Ja, das muss wohl draußen gewesen sein. Ich dachte, es wäre hier.

 

Die Frau:
Komm, das war sicher draußen.

 


Die Frau:

Die Dachrinne schlägt immer bei Wind gegen die Wand. Es war sicher die Dachrinne.

 

Der Mann:
Wind ist ja. Wind war schon die ganze Nacht.

Die Frau:
Ja, Wind war schon die ganze Nacht. Es war wohl die Dachrinne.

Bild 8 Die Küche
Innen
Außen

AUFBLENDE

Am nächsten Abend.
Der Mann betritt wieder die Küche, legt Mütze und Mantel ab und begrüßt leise seine Frau.

Die Frau hilft ihm beim Ablegen des Mantels.

 

Schnell setzt sich der Mann an den Tisch. Er ist heute sehr schweigsam. Die Frau deckt den Tisch: wieder Brot und Margarine. Sie schüttet Kaffee in die Becher und setzt sich dann auch. Sie legt drei Scheiben Brot auf den Teller des Mannes.

 

Während sie dies sagt, dreht die Frau ihren Kopf von der Lampe weg. Ihr Gesicht liegt im Schatten. Der Mann beugt sich tief über seinen Teller, so dass man sein Gesicht ebenfalls nicht mehr erkennen kann.

 

Sie beugt sich mit dem Oberkörper nach vorn. Ihr Gesicht kommt wieder ins Licht. Sie schaut ihrem Mann beim Essen zu. Dann greift sie nach seiner auf dem Tisch liegenden Hand.
Kamerafahrt auf die ineinanderruhenden Hände (Groß).

ABBLENDE

Der Mann (leise):
Hallo, da bin ich.

 

Die Frau:
Schön, dass du da bist. Du kommst spät heute. Setz dich, es gibt was zu essen.

 

Die Frau:
Du kannst heute drei essen. Ich kann dieses Brot nicht so gut vertragen. Iss du mal ruhig eine mehr. Ich vertrage es nicht besonders.

 

Der Mann:
Du kannst doch nicht nur eine Scheibe essen.

Die Frau:
Doch. Iss man. Abends vertrage ich das Brot nicht gut.

Das Brot

Plötzlich wachte sie auf. Es war halb drei. Sie überlegte, warum sie aufgewacht war. Ach so! In der Küche hatte jemand gegen einen Stuhl gestoßen. Sie horchte nach der Küche. Es war still. Es war zu still und als sie mit der Hand über das Bett neben sich fuhr, fand sie es leer. Das war es, was es so besonders still gemacht hatte: sein Atem fehlte. Sie stand auf und tappte durch die dunkle Wohnung zur Küche. In der Küche trafen sie sich. Die Uhr war halb drei. Sie sah etwas Weißes am Küchenschrank stehen. Sie machte Licht. Sie standen sich im Hemd gegenüber. Nachts. Um halb drei. In der Küche.

Auf dem Küchentisch stand der Brotteller. Sie sah, dass er sich Brot abgeschnitten hatte. Das Messer lag noch neben dem Teller. Und auf der Decke lagen Brotkrümel. Wenn sie abends zu Bett gingen, machte sie immer das Tischtuch sauber. Jeden Abend. Aber nun lagen Krümel auf dem Tuch. Und das Messer lag da. Sie fühlte, wie die Kälte der Fliesen langsam an ihr hochkroch. Und sie sah von dem Teller weg.
„Ich dachte, hier wär was“, sagte er und sah in der Küche umher.
„Ich habe auch was gehört“, antwortete sie und dabei fand sie, dass er nachts im Hemd doch schon recht alt aussah. So alt wie er war. Dreiundsechzig. Tagsüber sah er manchmal jünger aus. Sie sieht doch schon alt aus, dachte er, im Hemd sieht sie doch ziemlich alt aus. Aber das liegt vielleicht an den Haaren. Bei den Frauen liegt das nachts immer an den Haaren. Die machen dann auf einmal so alt.
„Du hättest Schuhe anziehen sollen. So barfuß auf dem kalten Fliesen. Du erkältest dich noch.“

Sie sah ihn nicht an, weil sie nicht ertragen konnte, dass er log. Dass er log, nachdem sie neununddreißig Jahre verheiratet waren.
„Ich dachte, hier wär was“, sagte er noch einmal und sah wieder so sinnlos von einer Ecke in die andere, „ich hörte hier was. Da dachte ich, hier wär was.“
„Ich hab auch was gehört. Aber es war wohl nichts.“ Sie stellte den Teller vom Tisch und schnippte die Krümel von der Decke. „Nein, es war wohl nichts“, echote er unsicher. Sie kam ihm zu Hilfe: „Komm man. Das war wohl draußen. Komm man zu Bett. Du erkältest dich noch. Auf den kalten Fliesen.“
Er sah zum Fenster hin. „Ja, das muss wohl draußen gewesen sein. Ich dachte, es wär hier.“ Sie hob die Hand zum Lichtschalter. Ich muss das Licht jetzt ausmachen, sonst muss ich nach dem Teller sehen, dachte sie. Ich darf doch nicht nach dem Teller sehen. „Komm man“, sagte sie und machte das Licht aus,“ das war wohl draußen. Die Dachrinne schlägt immer bei Wind gegen die Wand. Es war sicher die Dachrinne. Bei Wind klappert sie immer.“
Sie tappten beide über den dunklen Korridor zum Schlafzimmer. Ihre nackten Füße platschten auf den Fußboden.
„Wind ist ja“, meinte er. „Wind war schon die ganze Nacht.“
Als sie im Bett lagen, sagte sie: „Ja, Wind war schon die ganze Nacht. Es war wohl die Dachrinne.“ „
Ja, ich dachte, es wäre in der Küche. Es war wohl die Dachrinne.“ Er sagte das, als ob er schon halb im Schlaf wäre.
Aber sie merkte, wie unecht seine Stimme klang, wenn er log.
„Es ist kalt“, sagte sie und gähnte leise, „ich krieche unter die Decke. Gute Nacht.“
„Nacht“, antwortete er und noch: „ja, kalt ist es schon ganz schön.“
Dann war es still. Nach vielen Minuten hörte sie, dass er leise und vorsichtig kaute. Sie atmete absichtlich tief und regelmäßig, damit er nicht merken sollte, dass sie noch wach war. Aber sein Kauen war so regelmäßig, dass sie davon langsam einschlief.

Als er am nächsten Abend nach Hause kam, schob sie ihm vier Scheiben Brot hin. Sonst hatte er immer nur drei essen können.
„Du kannst ruhig vier essen“, sagte sie und ging von der Lampe weg. „Ich kann dieses Brot nicht so recht vertragen. Iss du man eine mehr. Ich vertrag es nicht so gut.“
Sie sah, wie er sich tief über den Teller beugte. Er sah nicht auf. In diesem Augenblick tat er ihr leid.
„Du kannst doch nicht nur zwei Scheiben essen“, sagte er auf seinem Teller. „
Doch. Abends vertrag ich das Brot nicht gut. Iss man. Iss man.“
Erst nach einer Weile setzte sie sich unter die Lampe an den Tisch.


aus: Wolfgang Borchert: Das Gesamtwerk. Hamburg (Rowohlt) 1949.

(Nach)Kriegsgeschichten und ihre Verfilmungen im Unterricht

Das Brot als das Symbol für Leben hat eine wichtige Funktion in allen drei Texten. In dieser ersten Geschichte steht es zwar zunächst im Mittelpunkt des Geschehens, das eigentliche Thema ist jedoch die Beziehung der beiden alten Leute.

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