Retrospektive Filmkritiken „Film ohne Titel“
Gestaltung und Aussage
Eine Komödie, ein Film im Film, ein Spiel mit der Film-Geschichte, ein Spiel mit dem Thema Film und Leben: und das schon 1947. Mit diesem Film will man weg von der Vergangenheit, vom Thema Nationalsozialismus, vor allem aber weg vom Trümmerfilm. Doch die Vergangenheit ist noch gegenwärtig, den man ist noch orientierungslos. Aber gleichzeitig erscheint alles und vieles möglich. Also, was kann man zeigen, wie kann man es zeigen?Fast alle Gegenwartsgeschichten beginnen im Krieg, so auch diese. Aber man will sie spielerisch erzählen, man ironisiert, man möchte Distanz. Man zeigt wenig Trümmerbilder, hauptsächlisch die ländliche (Schein)-Idylle, und wenn es nötig ist, dann zeigt man, dass ein Bombenangriff, die Zerstörung, Neues freisetzen kann. Inmitten der Trümmer beginnen Christine und Martin zu leben: wenn auch „der Balkon im Bett liegt“, so ist das kein Grund, auf ein liebeslager zu verzichten, wen kümmern in diesen Augenblicken noch sogenannte Standesunterschiede und einengende Moralvorstellungen? Dem Augenblick konnte noch nie so intensiv gelebt werden: Champagner und ein bürgerliches Wohnzimmer in Trümmern schließen sich – gerade – nicht aus. Jedoch mit der Herstellung der altenneuen Ordnung entstehen wieder soziale Schranken, die letztendlich aber überwunden werden.
Die Offenheit als Thema ist Programm. Deshalb werden verschiedene filmische Vorstellungen sichtbar (gemacht), denn es sind drei Leute, die diesen Film im Film planen und gestalten, die improvisieren: die Bilder werden ständig ausgetauscht, die verschiedensten filmischen Möglichkeiten werden erprobt, es erfolgt keine Festlegung. Festgeschrieben ist nur die erzählte Geschichte, aber nur bis zum Beginn des gegenwärtigen Handlungszeitpunktes. Man will sich auf kein eindeutiges Ende, auf kein Happy-End festlegen, ein Happy-End, das aber ironischerweise „das Leben“ anbietet. Im Gegenteil, man beläßt esbei den unterschiedlichen Schlußversionen, die man augenzwinkernd in verschiedenen Bildern, Genres und filmischen Klischees entworfen hat, wie z.B. den Heimat- oder Trümmerfilm, den man ablehnt. Aber was wird dagegen gesetzt? Noch nichts Eindeutiges, wohl aber eine dramaturgisch gut gebaute, komplexe und amüsante Filmgeschichte. Man könnte sie in jedem gewünschten Genre bieten, doch man weigert sich.
Aus der Rückschau auf den Film der fünfziger Jahre scheint es, als hätten Jugert und seine Autoren thematisch unfreiwillig etwas vorweggenommen: die disponibilität der Filmemacher. Wie heißt es am Ende ablehnend?: „Das gefällt den Leuten“.
WAs gefällt an FILM OHNE TITEL: seine Schwerelosigkeit? die gelungene Komödie? Oder sit es ein gelungener Film der Verdrängung, der die fünfziger Jahre vorwegnimmt? Auf jeden Fall übertrifft er viele dieser Filme durch seine Qualität. FILM OHNE Titel ist als Zeitdokument sehr aufschlussreich: sehr früh -oder viel zu früh? – beginnt hier etwas Neues.
aus: Ursula Bessen: Trümmer und Träume. Nachkriegszeit und fünfziger Jahre auf Zelluloid. Deutsche Spielfilme als Zeugnisse ihrer Zeit. Eine Dokumentation. Bochum 1989, S. 166/67
Notizen zum Film
Der Beginn von FILM OHNE TITEL thematisiert die reale Ausgangssituation dieses Films: Wie die Drehbuchautoren Helmut Käutner, Ellen Fechner und Rudolf Jugert 1947 nach Geschichten und Erzählformen gesucht haben, denken in der Anfangsszene ein Autor (Fritz Odemar), ein Regiseur (Peter Hamel) undder Schauspieler Willy Fritsch , der mit liebenswürdiger Ironie sich selbst spielt, über einen möglichen „neuen Film“ in Nachkriegsdeutschland nach. Das ist einmalig in den Filmen dieser Zeit; daß offen die Schwierigkeiten reflektiert werden, nach zwölf Jahren Faschismus und NS-Film sowie den Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges wieder einen Spielfilm realisieren zu wollen.. Welches Genre, welche Form, welche Themen und Stoffe bieten sich an? Die Kamera betont in schnellen Schwenks das Hin und Her der Überlegungen, die Rat- und Orientierungslosgkeit: Es soll kein trümmerfilm sein, es soll kein heimkehrerfilm sein, es soll kein Fraternisierungsfilm sein und auf keinen Fall ein Anti-Nazi-Film. – Kein politischer Film,, kein Propagandafilm, kein Bombenfilm. – Überhaupt kein Film für oder gegen etwas. – Was für ein Film soll es denn nun sein? – Eine zeitnahe Komödie, die mit beiden Beinen auf der Erde steht. – Vor dem düsteren Hintergrund der Zeit. -So geht das Gescpräch zwischen den Dreien, die in der Hängematte liegend und Zigaretten rauchend das typische Bild des „nachdenklichen“ Künstlers vermitteln. Hans Söhnker, der sich kit Hildegard Knef der Gruppe nähert, weiß denn auch das Bild zu deuten: „Die brüten bestimmt einen neuen Film aus“, klärt er als Kunst- und Antiquitätenhändler Martin Delius die Bauerntochter Christine auf.
Was den Anfang des Films so spannend erscheinen läßt, nämlich eine Reflexion des Filmemachens nach dem Faschismus, das offenbart sich im LAufe des Films als leeres Gerede. Alte Filmformen werden in groben Klischees durchgespielt (das Ende des Films wird einmal als düsterer Trümmerfilm und einmal als greller Heimatfilm vorgeführt), eine neue jedoch nicht gefunden. FILM OHNE TITEL erzählt nichts anderes als die altbekannte Liebesgeschichte zwischen zwei Menschen unterschiedlichen Standes, nur dieses Mal eben „vor dem düsteren Hintergrund der Zeit“. Der film löst ein, was Fritscg in der Diskussion gefordert hatte: „Die Leute brauchen <entspannung. Die wollen ein bißchen vergnügt sein.“ Da hatte der Regisseur solch eine Absicht noch als banal oder zynisch bezeichnet. Die Lösung, die eine Ausrede ist, soll der Film sein, der das „wirkliche Leben“ zeigt. „Das ist keine Geschichte, das ist die Wirklichkeit“, sagt der Drehbuchautor in der mitte des Films. „Das ist ein Filmstoff“, sagt der Regisseur. „Da zerbricht man sich stundenlang den Kopf und währenddessen erzählt das Leben einen Film.“ Das Leben erzählt viele Filme. Entscheidend sind die Perpektiven, aus denen berichtet wird, entscheidend ist die Brechung der Wirlichkeit im Kopf der Filmemacher. In FILM OHNE TITEL zerbrechen sich stellvertetend für Jugert und Käutner Regisseur und Autor den Kopf, aber heraus kommt wieder das alte, solide Unterhaltungskino, nicht das Aufrütteln, sondern die Zerstreuung des Kinopublikums. Aber wie hätten die deutschen Filmschaffenden der Nachkriegszeit auch etwas kritisch reflektieren können, in das sie selber so verstrickt gewesen waren?
Auffällig an Jugerts Regie in FILM OHNE TITEL ist die Beweglichkeit der Kamera, die viele Szenen nicht in <einzeleinstellungen auflöst, sondern das Geschehen mit Fahrten und Schwenks vorführt. Beziehungen zwischen den Personen und Bedeutungen in der Geschichte werrden so hervorgehoben, Personen in Räumlichkeiten eingeordnet. Mag sein, daß Jugert zu diesem flüssigen, materialsparenden Agieren gezwungen war, denn Rohfilm war knapp 1947.
Neben der Rückblende, die auch in späteren Jugert-Filmen ein wesentliches Erzählmittel sein wird, zeigt der Regisseur in FILM OHNE TITEL seine Schwäche für Oberflächen-Effekte, besonders in den Szenenübergängen, die so klassisch wie abgegriffen sind: Vom Fliegeralarm im Radio golgt einehastige Überblendung auf eine blökende Kuh, von einem Koffer, der zur Abreise bereit steht, wird auf einen anderen, der gerade angekommen ist, geschnitten, von Cognacgläsern auf Milchgläser, von einer Kuh, die gräuschvoll aus einem Eimer säuft, auf Christinas Vater, der den Kaffee von seiner Untertasse schlürft. Eine kleine Kostbarkeit im Film ist die Kabaretteinlage von Werner Finck, der nach einem Bombenangriff plötzlich in das zerstörte Haus von Martin Delius eindringt und in seiner unnachahmlichen Art ein Mini-Feuerwerk des fatalistischen Zeitwitzes abfeuert.
FILM OHNE TITEL ist ein Motivations- oder Aufbaufilm, der vorgeblich von unmittelbarer Nachkriegsrealität erzählt. Wie diese im Film verarbeitet wird, beschrieb 1948 eine Filmkritikerin in „Der neue Film“: „Wenn der Tietel FILM OHNE TITEL nicht so gut wäre, könnte man als Titel vorschlagen ‚So war’s‘ – denn so war’s wirklich: die Zeit des Schreckens, aufgelöst und überwunden durch die alltägliche Menschlichkeit und das Wunder der Liebe.“
aus: Rolf Aurich/Heiner Behring: „Ein einstmals wohlrenommierter Regisseur“. Der Hannoveraner Rudolf Jugert und der deutsche Nachkriegsfilm. In: Lichtspielträume. Kino in Hannover 1996 – 1991. Hrsg. von der Gesellschaft für Filmstudien, Hannover 1991, S. 95-97