Retrospektive Filmkritiken „Affaire Blum“

Filmkritik Nr. 229, Januar 1976

(…) Warum ist AFFAIRE BLUM, der praktisch ohne Musik ist und fast nur aus Innenaufnahmen mit Gesprächs-Szenen besteht (…), so spannend? Engel hat „sehr großen Wert darauf gelegt, daß das Dialogische mit dem Optischen harmonisiert, also von der Optik her gebaut wurde. Er liebte es, die Szene möglichst nahe zu haben, damit nichts verlo­renging.“ (Kameramann Friedl Behn-Grund, vgl. Erich En­gel, a.a.O.)

„Der wichtigste Gesichtspunkt für eine (Buch-)Verfilmung ist der, daß die Gestalten eines Buches ihr Wesen möglichst restlos in Handlungen ausdrücken müssen.“ (Engel, a.a.O.) Bei den Vertretern von Polizei und Justiz, deren Machenschaften im Mittelpunkt des Filmes stehen, den Herren Kri­minalkommissar, Landgerichtsrat, Landgerichtsdirektor vollzieht sich (politisches) Handeln als verbale Rede. Ihr ‚Wesen‘ drückt sich aus in dem, was sie sagen. Und wie sie es sagen:

„Es ist geradezu ein Kriterium für die künstlerische Qualität einer schauspielerischen Leistung, ob zwischen Satzinhalt und Ausdruck eine Spannung und Überschneidung besteht, oder ob der Ausdruck nur eine phantasielose Ausmalung des gesprochenen Wortes ist.“ (Erich Engel, a.a.O.) Wenn die Verlobte zu Gabler in der Nacht seines Verbrechens sagt: „Ich liebe Dich“, dann kommt zum Sinn dieses fast kalt hingesag­ten Satzes tatsächlich hinzu „ein angstvolles Verfallen sein, das den Widerstand gegen die Hingabe spürt, aber darauf ver­zichtet.“ (E. Engel, a.a.O.)

Aber worin äußert sich die Spannung zwischen Satzinhalt und Ausdruck bei den erwähnten Herren, die doch scheinbar ganz naturwüchsig und ohne die Spur eines inneren Widerstands, jeder für sich die abgerundete und typische Erscheinung eines reaktionären preußischen Beamten bilden? Was diese Perso­nen so ’schillernd‘ macht, ist einmal der Widerspruch zwi­schen dem militärisch knappen, zackigen und krächzenden Ton, den sie an sich haben, und ihrem Bedürfnis, sich bei dem verhafteten Gabler geradezu einzuschmeicheln, um ihn als Zeugen gegen Blum zu gewinnen, damit – nach der unange­nehmen Rathenau-‚Sache‘ – der Beweis erbracht werden kann, „daß auch ein Jude killen kann. Aber nicht wegen Politik, sondern wegen Geld“. Es ist ferner der formale Gegensatz zwischen ihrer äußeren Dynamik, der Leiden­schaft, mit der sie sich an ihre vorgefaßte Meinung vom Hergang der Tat mit einer zunehmend ans Kindliche grenzen­den Bereitschaft zur Illusion verlieren, und ihrer statischen Befangenheit im Anti-Semitismus, die so weit führt, daß sie zeitweise des Mordes, der begangen worden sein soll, um dem jüdischen Kapitalisten Blum bei seinen Devisenschie­bungen zu helfen, einen Kommunisten verdächtigen. Äußerlich sind sie, mit dem Zwicker, dem Stehkragen, dem gewichsten Schnauzbart, so ähnlich, daß der linksliberale Re­gierungspräsident angewidert bemerkt „Wenn ich diese Typen schon sehe!“ Auch in ihren Äußerungen findet sich nichts Originelles. Wie bekannt sind einem doch beispielsweise die Worte, mit denen der Untersuchungsrichter den Juden Blum charakterisiert: „Dunkel… Intelligent… Aber raffiniert!“ Das Moment der Spannung kommt – vermittelt durch die ‚Flachheit‘ der äußeren Typisierung – aus den oben bezeich­neten Widersprüchlichkeiten, die den Typen Lebendigkeit und dem Film seine politische Tiefenperspektive verleihen. Andererseits ist AFFAIRE BLUM ein Kriminalfilm.

Peter Nau, in: Filmkritik Nr. 229, Januar 1976


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