Analyse der Dokumentarfilmsequenzen in „Der Rat der Götter“
„Man kann keinen Film machen über den Krieg. Wie Kriege entstehen, das wäre wichtig, und was sie bewirke oder zurücklassen bei Menschen.“
Diese Forderung, von Rainer Werner Fassbinder 1971 in einem Essey über die Filme von Douglas Sirk aufgestellt (1),hat Kurt Maetzig bereits 1950 erfüllt. DER RAT DER GÖTTER ist kein Film über den Krieg, aber er zeigt u.a. wie Kriege entstehen und was sie bei den Menschen bewirken oder zurücklassen können.
Dioese Hypothese soll exemplarisch anhand von Filmmaterial belegt werden, welches im Kontext des fast zweistündigen Films nur wenige Sekunden ausmacht: an insgesamt sieben Stellen wird von Maetzig sogenanntes „Dokumentar- und Wochenschaumaterial“ in seinen Spielfilm eingewoben. Es „Begleitet“ indes nicht nur die Spielhandlung, welche vom Anfang der 3034 Jahre bis ans Ende der 40er Jahre reicht, sondern sein gezielter Einsatz wird gleichsam zur Betonung der in den gespielten Szenen herausgearbeiteten Tendenzen und Zusammenhänge.
Die Verwendung des Dokumentarfilmmaterials steht hier nicht lediglich im Dieste einer vermeintlichen „Authentisierung“ der eigentlichen Filmgeschichte, hat also nicht nur eine quasi unterstützende Funktion für die Spielhandlung, sonder ist durch ihre enge Bezugnahme und Kohärenz auch als eigenständiges, siebenteiliges „Lehrstück“ über den deutschen Faschismus zu verstehen.
Im einzelnen beinhalten die sieben Teile folgende Themen:
- moralische und militärische Aufrüstung (Sequenz 5)
- Kriegsbeginn
- erste Niederlagen im Krieg, Zerstörung des Hinterlassenen (Sequenz 12)
- Flucht der Zivilisten vor dem Krieg (Sequenz 13)
- die deutsche Kriegsniederlage (Sequenz 14)
- das scheußliche Resultat des Faschismus: die Toten und Geschändete in den Vernichtungslagern; Kriegsverbrecherprozesse (Sequenz 15)
- Demonstrationen gegen Krieg und Faschismus (Sequenz 22)
Anhand der ersten beiden Dokumentarfilm-Komplexe soll hier auf das äußerst reflektiert verwendete Verfahren der Bild- und Tonmontage hingewiesen werden.
In den ersten Minuten des Films werden die wesentlichen Handlungsorte und Spannungspole skizziert: einerseits die Führungsetagenbder Chemischen Großindustrie als Steigbügelhalter des FAschismus mit den Zielen der Aufrüstung („Fall A“) und des Krieges („Fall B“), andererseits die sich aus Kleinbürgern und Arbeitern zusammensetzende Famile Scholz, deren Verbindung zur I:G Farben sich vielfach darstellt: Hans Scholz ist in der chemischen Forschung beschäftigt, seine Schwester Edith als Chefsekretärin des Vorstandes angestellt und der Vater Wilhelm, inzwischen Rentner, war jahrelang Arbeiter in der Filma. Der Vorstandsvorsitzende wird in der Familie Scholz erfürchtig „Herr Geheimrat“ genannt. Nur Onkel Karl, ebenfalls Arbeiter in der Firma, steht von Beginn an auf der anderen Seite: er sit agitatorisch für die kommunistische Partei tätig.
Der 31. Januar 1933 ist vorüber, und schon bald greift der „Herr Geheimrat“ zum Telefonhörer, um dem Gegenüber zu verkünden: „Die Vorbereitung für den ‚Fall A‘ beginnt.“ Die erste Montage-Zusammenstellung von Dokumentarfilmaterial schliet sich an.
Einstellung | Bild | Ton |
1 | Adolf Hitler spricht von einem erhöhten Standbpunkt aus zu einer großen Menschenmenge | „Das Ziel ist uns Gesetz. Deutsche Arbeiter fassen an.“ |
2 | (TO) desselbe Motiv in totaler Einstellung | Kriegsgeräusche, Bombenheulen |
3 | Hitler schaufelt Sand | |
4 | (US) eine Spitzhacke wird vehement verwendet | |
5 | Arbeiter schafel Loren voll | |
6 | (US) Männer mit nackten Oberkörpern schieben Loren | |
7 | (OS/TO) Baustelle unbestimmter Art mit vielen Arbeitern | |
8 | Ein Güterzug fährt mit rauchender Lokomotive unter einer Brücke durch | |
9 | Schiff an einer Hafenmauer | |
10 | Blick von einem Schiff auf Menschen am Kai | |
11 | Binnenschiff auf Kanal; Hintergrund: Industrieanlagen |
Off-Stimme (Hermann Göring): |
12 | Rohre und Leitungen auf Industriegelände, Schwenk von unten nach oben | |
13 | Kanalschleuse | |
14 | (US) Förderkran | |
15 | dunkle Silhoutte einer Fabrik aus der Rauch emporsteigt, dabei Schwenk nach obden | |
16 | (US) Kräne, die sich auf die Kamera zubewegen | |
17 | (OS) Blick von Brücke auf darunter fahrenden Binnenkahn | |
18 | (GA) Drahtherstellung: Schraubenmutter, glänzende Maschinerie | |
19 | Ein Haufen Draht wird von Hand bearbeitet | |
20 | Mann stapelt Drahtpakete | |
21 | Mann stapelt Granaten, ebenfalls glänzend | |
22 | große, fahrbare Kanone, silber glänzend, sich gegen den tiefschwarzen Hintergrund abhebend, bewegt sich von rechts nach links | |
23 | (OS) Binnenkahn | |
24 | (OS) schräg: Panzer fahren in Formation diagonal durch das Bild (von oben rechts nach unten links) | Geräusch explodierender Bomben, abnehmend |
25 | stehende Panzer, Schwenk von rechts nach links | |
26 | Frontalansicht Flugzeuge |
einsetzendes Sirenenheulen Ton wird höher, steigert sich bis zur Fanfarenähnlichkeit |
27 | Seitenansicht Flugzeuge | |
28 | Schriftzug „Prinz Eugen“ wird über Schiffsbordwand geworfen | |
29 | Schiff im Dock | |
30 | Schiff rutscht von links nach rechts ins Wasser | |
31 | Schiff liegt im Wasser | |
32 | geschlossene Reihen Soldaten marschiert von links nach rechts | |
33 | (US) sich nach oben bewegende Panzerkanonen ragen gen Himmel und „kreuzen“ sich dann |
Diese aus 33 Einstellungen bestehende Montage hat eine Länge von … Sekunden und lässt sich in drei Teile scheiden. die jedoch logisch zusammengehören:
- am Anfang steht das Motiv des „Anpackens“ (Handarbeit) im Vordergrund, verbunden mit Hitlers Worten „Deutsche Arbeiter fassen an“. Eine stilisierte „Ästhetik des Aufbaus“ (Spitzhacke, Arbeitermassen vor vielen Loren, unbekleidete Oberkörper in identischer Tätigkeit und Bewegung, Arbeiter als „Ameisen“) bewirkt im Einklang mit Tönen, welche beim Betrachter „Krieg“ assoziieren, den Eindruck von Militarismus.
- Es schließt sich eine „technisch-industrielle“ Bildfolge an, welche mit der gleichzeitigen Off-Stimme korrespondiert, deren letzte Worte zusammenfallen mit der erstmaligen Abbildung von Kriegsgerät (Granaten). Die Verbindungnvon Industrie und militärischen Gerät ist nahezu unmerkbar vonstatten gegangen (auf Drahtherstellung folgt Granatenproduktion); darüberhinaus bekommen die beiden ersten Teile nun einen Sinn.
- Die Panzer, Schiffe und Flugzeuge sind Produkte einer Industrie, sind die direkten Folgen der anfänglichen kollektiven Sinngebung. Während die Kriegsgeräte zwar noch „Friedlich“ anzusehen sind , wird ihr eigentlicher Zweck akustisch vorweggenommen: Zerstörung bis an die Grenze des Ertr#glichen (Sirenen/Fanfarentöne).
In knapper, jedoch bestechend präziser Form sind hier die ökonomisch-sozialen Kriegsvorbereitungen verdeutlicht, wie sie seit 1933 systematisch betrieben wurden. Zugleich bringt diese Montagesequenz die Spielhandlung näher an das Jahr 1939, das Jahr des Kriegsbeginns, heran:
Während des Urlaubs in der Schweiz weilend, erfahren der „Geheimrat“, seine Tochter und der Schwiegersohn von der sofortigen Mobilmachung in Berlin. Es folgt der zweite dokumentarische Montagekomplex:
Einstellung | Bild | Ton |
1 | Zivilisten mit Koffer | während der ganzen Montage: dramatische, euphorische Musik |
2 | Koffer in Nahaufnahme | |
3 | Waffenübergabe | |
4 | marschierende Soldaten | |
5 | Soldat geht von rechts nach links, sich dunkel vom hellen Hintergrund abhebend | |
6 | total: mehrere Soldaten gehen in die dieselbeRichtung | |
7 | ein Boot wird zu Wasser gelassen | |
8 | Blick aus einem Flugzeug auf andere Flugzeuge in der Luft | |
9 | starke (US) dunkle Flugzeuggeschwader, Fallschirmspringer | |
10 | schießende Flak, von links nach rechts | |
11 | Soldaten ziehen Flak-Geschütz | |
12 | von Nebel und Rauch verhüllte Häuser, Soldaten | |
13 | ähnliche Einstellung | |
14 | Soldaten huschen in geduckter Haltung durch Trümmer | |
15 | ähnliche Einstellung | |
16 | Soldaten marschieren in einer Reihe hintereinander | |
17 | schießende Panzer von links nach rechts | |
18 | weite Aufnahme: Explosion, Rauch | |
19 | Kamera hinter eine schießenden Flak | |
20 | einzenes Kanonenrohr, schießend | |
21 | vorbeifahrende Panzer, von links nach rechts | |
22 | deutscher Panzer (Hakenkreuz ist sichtbar) fährt vorbei, Kamera schwenkt dabei auf den Panzertrum, zufriedene Soldatengesichter werden sichtbar | |
23 | total: in Rauch gehüllte Stadtansicht | |
24 | zerstörte Landschaft, Rauch, umgestürztes Gerät, Flaks schießen blitzartig mit grellem Feuerstrahl | |
25 | ähnliche Einstellung, näher | |
26 | von links nach rechts: Flugzeuge, Bomben werfend |
Off-Stimme: |
27 | Flammenmeer | |
28 | Kanone feuert mit starkem Rückschlag | |
29 | große Kanone wird von rechts nach links gefahren | |
30 | feuerndes Kanonenrohr, diagonale Bildrichtung (von links unten nach rechts oben) | |
31 | undurchsichtiger Rauch | |
32 | Menschenmenge vor „Radiohaus“ |
32 Einstellungen in … Sekunden – ein visuelles Stakkato für den Betrachter. Von der Einberufung der Soldaten über das „In-den_Krieg-ziehen“ und die Kampfhandlungen bis hin zur Erfolgsmeldung im Radio: ein wahrhaftige“Blitzkrieg“, dessen allgemeine Bewegung im Filmbild von links nach rechts fast durchweg eingehalten wird.
Der langanhaltende Einsatz von dramatisch-euphorischer Musik verdichtet alle Einstellungen und Bewegungen gewissermaßen zu einer einzigen großenund kräftigen Bewegung von links nach rechts, welche im klassisch filmpsychologischen >Sinne eine „positive“ Richtung darstellt.
„Man kann keinen Film machen über den Krieg“, schreibt Fassbinder, und meint, der Mensch ginge darin verloren. Maetzig veranschaulicht genau dies: er inszeniert den Krieg nicht noch einmal, sondern bedient sich der filmisch bereits fixierten Kriegsszenarien, in denen in der Tat der Mensch eine Statistenrolle zugewiesen bekommt. Der Krieg scheint eine Angelegenheit von Maschinen zu sein.
Diese Maschinen wurden vor dem Krieg industriell produziert. Der zweite Montagekomplex ist somit auf das engste mit dem ersten verknüpft.
In den Dokumentarfilmsequenzen 3, 4 und 5 ist darauf zu schten, wie die allgemeine Bewegungsrichtung in den Filmbildern (deutscher Rückzug, Flüchtlingstrecks) sich allmählichwandelt in eine „negative“, d.h. von rechts nach links.
Besonders für die Teile 3 und 4 ist auf die Tonspur hinzuweisen: das dissonante und schrille Pfeifen darin korrespondiert deutlich mit den Tönen, welche jene Szenen begleiten, in denen Hans Scholz gezwungen wird, der Wirkungsweise von Zyklon-Gas bei Tieren beizuwohnen.
Die vor Gericht vorgeführten Filmaufnahmen von KZ-Opfern stehen damit in einer engen inneren Verbindung, da sie gleichfalls in besonderer Weise über den Ton z ihrer eigentlichen Wirkung gelangen: bei ihnen entspricht der fast vollständige Verzicht auf Töne (es ist lediglich leises Gemurmel und Räuspern im Off zu vernehmen.