Zur Interessenlage der Mittelklasse

Selbständige Mittelklasse

Für die selbständige Mittelklasse – Handwerker, Wirte, kleine und mitelständische Gewerbetreibende, Kleinhändler und kleine Kaufleute – äußerte sich die Krise zunächst in katastrophalen Einkommensverlusten. (1) Durch die anwachsende Zahl der Arbeitslosen wurde das Potential der Abnehmer ihrer Waren und Dienstleistungen zunehmend reduziert.. Außerdem trugen die wachsende Konkurrenz von Genossenschaften, Ladenketten und die Ausschaltung des Zwischenhandels durch direkte Konsumentenbelieferung (z.B. bei Großbäckereien, Milchhallen, Packhäusern etc.) erheblich zur Reduktion ihres Marktanteils bei. Dies brachte die selbständige Mittelklasse vor allem in Liquiditätsschwierigkeiten; hohe Verschuldung – bei relativ hohen Binnenlandzinssätzen – führte zu vermehrter Abhängigkeit von den Kreditgebern und hielt die Möglichkeiten für Ersatz- oder Neuinvestitionen niedrig. Als Folge häuften sich die Bankrotte.

Die noch verbreiteten traditionellen „Ständevorstellungen“ in weiten Kreisen der Mittelkasse und deren ideologische Bindung an die politischen Strukturen des Kaiserreiches führten dazu, dass sich die Vorstellungen von der eigenen gesellschaftlichen und politischen Isolation  radikalisierten zu grundsätzlich anti-demokratischen Haltungen. (2) Der gefühlten isolierten und realen gesellschaftlichen Zwischenlage entsprachen auch die konkreten sozial- und wirtschaftspolitischen Forderungen. (3)

Der gewerbliche Mittelstand suchte zugleich Schutz vor den gesellschaftlichen und ökonomischen Ansprüchen der Arbeiter und vor den Folgen der übermächtigen Konkurrenz durch das Großkapital. Ihre Vorstellungen zielten auf:

  • die Beseitigung der ökonomischen Macht der Konzerne, auf die „Entoligarchisierung“ der Märkte;
  • die Beseitigung der „Macht der Gewerkschaften“ und der sozialen und politischen Errungenschaften der Arbeiter,
    was konkret bedeutete:
    • Abbau sozialer Leistungen,
    • Reduzierung von Arbeiterrechten und damit der Einflussmöglichkeiten ihrer Organisationen,
    • Senkung der Lohnkosten.

Kurz zusammengefasst lassen sich die Zielvorstellungen der selbständigen Mittelklasse in der Erwartung einer unbedingten Sicherung ihres Privateigentums, (4) das für sie die Grundlage ihres Lebensunterhalts darstellte. Eine größere staatliche Unterstützung des Kleingewerbes bei gleichzeitigem Unterlassen öffentlicher Wirtschaftstätigkeit sollte zusätzlich zu den oben genannten Zielen die Eigentumssicherung unterstützen. Handelspolitisch orientierte sich die Mittelklasse an den Vorstellungen ihres „alten“ Bündnispartners aus dem Kaiserreich: wie die Großagrarier plädierten ihre Interessenvertreter für den verstärkten Schutz des Binnenmarktes
vor ausländischer Konkurrenz.

 

Unselbständige Mittelklasse

Zur Interessenlage der unselbständigen Mittelklasse sei hier nur kurz angemerkt, dass für diese hier keine geschlossene Haltung feststellbar ist, sie vielmehr intern widersprüchlicher gewesen ist, als bei den Selbständigen. Das lag wohl auch darin begründet, dass höhere Beamte und Angestellte in den staatlichen Institutionen, Wissenschaftler und Beschäftigte in der damals aufstrebenden Medienwelt unterschiedliche Krisenerfahrungen machten. Eine Gemeinsamkeit ist vielleicht ein „antiproletarisches Absetzungsstreben“ gewesen. (5)

In der Krise (6) wurden massenhaft hochqualifizierte Ingenieure, Chemiker, Techniker etc. aus den Betrieben entlassen, die Rationalisierung des Bürobetriebes machte eine große Zahl von Angestellten arbeitslos, die finanziellen Probleme, vor allem im staatlichen Bereich, ließen
die Ausgaben für Bildung und Kultur zusammenschrumpfen und raubten den Lehrkräften, Wissenschaftlern und Künstlern ihre berufliche Existenz. Für diese Menschen bedeutete die „Proletarisierung“ (sie wurden wie viele Arbeitslose bestenfalls Gelegenheitsarbeiter) eine soziale Deklassierung ersten Grades. Eine der Ausbildung entsprechende soziale Stellung und der Lebensstandard waren nicht mehr realisierbar – auch nicht für die noch Beschäftigten, die erhebliche Gehaltsreduzierungen hinnehmen mussten.

Die Zerstörung der Aufstiegsmöglichkeiten und die Gefährdung ihrer sozialen Stellung führte nun zwar nicht deterministisch zu eindeutigen politischen Zielvorstellungen, (7) aber eine Orientierung an mittel“ständischen“  systemfeindlichen Anschauungen, verknüpft mit Perspektiverwartungen der Sicherung der eignen Privilegien dominierte eindeutig. (8)

Damit bekam auch die NSDAP große Bedeutung für einen Großteil der unselbständigen Mittelklasse. (9)

Detlef Endeward


Anmerkungen

  1. Vg1. E. Varga: a.a.O. , S. 290f
  2. Vgl. hierzu: H.A. Winkler: Vom Protest zur Panik. Der gewerbliche Mittelstand in der Weimarer Republik, in: H. Mommsen u.a.: a.a.O., Bd. 2, S. 778ff
  3. Vgl.. J. Flemming u.a.:  a.a.O., Bd. 1. S. 184f und S. 204f
  4. Besondere Bedeutung hatten in dieser Beziehung der Haus- und Grundbesitz der Mittelklasse, als „interessenvermittelndes“ Moment. Siehe hierzu: M. Schumacher:
    Hausbesitz, Mittelstand und Wirtschaftspartei in der Weimarer Republik, in: H. Mommsen u.a.: a.a.O. Bd. 2, S. 823ff
  5. Vgl. zur Interessenorientierung der Angestellten: J. Kocka: Zur Problematik der deutschen Angestellten 1914-1933, in: H. Mommsen u.a.:  a.a.0: Bd.: 2, S. 792ff
    Es ist – nach einer relativen „Links-Bewegung zu Beginn der 20er Jahre schon zwischen 1922 und 1925, d.h. in Inflation und Stabilisierungskrise, eine deutliche |“Rechts“-Wendung festzustellen, die sich auch am Ende der Weimarer Republik fortsetzte.
  6. Vgl. E. Varga, a.a.O. , S. 29f
  7. Aus der allgemeinen Notlage und dem Interesse nach Verbesserungen konnten sowohl eine völlige Resignation, als auch eine politische Radikalisierung erwachsen. Nur eine Minderheit entwickelte ein „Lohnabhängigenbewusstsein“ und orientierte sich an den Zielvorstellungen der Arbeiterorganisationen.
  8. Vg1. J. Kocka: a.a.O., S. 795ff

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