Zur Interessenlage der (Groß-)Industrie

Um die Interessenlage nachzuzeichnen, ist grundsätzlich von unterschiedlichen ökonomischen Schwierigkeiten der verschiedenen Branchen und Sektoren der Wirtschaft auszugehen.
In diesem Beitrag werden die „relative Heterogenität der organisierten industriellen Interessen“ (1) auf die grundlegendsten Strukturen reduziert und die klasseninternen Prozesse und Konflikte nicht weiter benannt. So kann vermieden werden, dass die Darstellung zu kompliziert wird. (2)

Ausgehend von den beiden Seiten des kapitalistischen Verwertungsprozesses – der Produktion und der Realisierung am Markt – lassen sich zunächst folgende Aspekte feststellen:

Die Produktionsbedingungen in der Krise waren in den verschiedenen Branchen im Wesentlichen die gleichen: (3)

  • der hohe Anteil der fixen Kosten an den gesamten Produktionskosten hatte die Flexibilität der Unternehmen erheblich eingeschränkt;
  • durch Rationalisierung und Konzentration waren enorme Produktionskapazitäten vorhanden, die nun auch nicht annähernd ausgelastet waren;
  • die Lohnkosten konnten nicht in dem erforderlichen Maß und der notwendigen kurzen Zeit gesenkt werden. (4)

Grundsätzliche Unterschiede ergaben sich jedoch in der Stellung am Markt und damit in den Realisierungschancen. Man kann hier verschiedene Kapitalfraktionen (5) unterscheiden:

  • die Schwerindustrie – Bergbau und Eisen- und Stahlindustrie – war im Wesentlichen auf den Binnenmarkt orientiert;
  • die Elektro- und Ckremieindustrie war stark exportorientiert;
  • eine Zwischenstellung nahm die Maschinenbauindustrie ein.

Aus dieser unterschiedlichen Stellung am Markt resultierten auch die wesentlichen Differenzen in den zur Krisenlösung entwickelten Forderungen.

Die Schwerindustrie orientierte sich fast vollständig an zwei Zielrichtungen (6)

  1. Senkung der Produktionskosten durch erhebliche Lohnkürzungen, Arbeitszeitverlängerung und Intensivierung der Arbeit;
  2. Absatzgarantien zu relativ hohen Preisen auf dem Binnenmarkt.

Schon sehr früh wurden in den Kreisen der Ruhrindustrie Maßnahmen zur Zerschlagung der Gewerkschaften diskutiert. (7)

Aus der zweiten Zielrichtung erfolgte eine völlige Abkehr von der Wirtschaftspolitik der Regierung Brüning. Dagegen wurden folgende Erwartungen formuliert:

  • Umstrukturierung des Staatshaushalts, Absatzgarantien durch staatliche Nachfrage: Dies musste letztlich auch beinhalten, dass die Solidität des Haushalts zur Disposition gestellt wurde;
  • Veränderung der Handelspolitik: Kündigung von bestehenden Handelsverträgen zugunsten von Schutzmaßnahmen für den Binnenmarkt.

Die auf Export gestützte Industrie orientierte sich dagegen zunächst an folgenden Zielrichtungen:

  • Kostensenkungen im von den Arbeiterorganisationen gerade noch toleriertem Ausmaß;
  • Exportforcierung durch staatliche Stützungsmaßnahmen. Aufgrund ihrer guten Weltmarktstellung konnte diese Industriefraktion zum einen geringere Kostensenkungen als die Schwerindustrie ökonomisch verkraften und war so zunächst nicht auf eine völlige Konfrontation mit den Arbeiterorganisationen angewiesen; zum anderen konnten sie
    aufgrund ihrer Weltmarktverankerung auch hoffen, durch deren weiteren Ausbau ihre Probleme zu beseitigen.

Auf dieser Grundlage war die Regierung Brüning tätig. (8) Mit der zunehmenden Verschlechterung und letztlich dem Zusammenbruch des Weltmarktes verloren diese Zielsetzungen ihre ökonomische Basis.

Der Konzeption der Schwerindustrie konnte keine umsetzbare Alternative mehr entgegengesetzt werden. Die Verbesserung der Kostensituation durch erhebliche Lohnsenkung und höhere Arbeitsleistungen war übereinstimmendes Moment innerhalb der Krisenstrategie der Industrie geworden. Das hatte ein striktes Vorgehen gegen die Arbeiterorganisationen zur Konsequenz. Dazu kam als weiteres Moment der Krisenstrategie nun die allgemeine Binnenmarktorientierung, die einerseits auf eine Ausweitung der Staatsaufträge (Rüstung), andererseits – wegen der engen Begrenzung des vorhandenen Binnenmarktes – auf eine Ausweitung des Wirtschaftsraumes selbst (9) hinauslaufen musste.

Detlef Endeward

  1. A. Lüdtke: Faschismus, Kapitalismus, Interessverbände, in: Sozialwissenschaftliche Informationen für Unterricht und Studium, H. 1/1972, S. 4
  2. Siehe dazu hier in der Lernwerkstatt: Die NSDAP und ihre Wegbereiter.
    Ausführliche und detaillierte Darstellungen zu den unterschiedlichen Interessen und den Auseinandersetzungen innerhalb der Industrie enthalten: D. Stegmann: Kapitalismus und Faschismus in Deutschland 1929-1934, in: Gesellschaft. Beiträge zur Marxschen Theorie 6, S. 27ff; A. Sohn-Rethel, a.a.O., S. 53ff; J. Flemming u.a. (Hrsg.): a.a.O., insbesondere Bd. 1,  S. 85 ff und Bd. 2, S. 270ff und S. 349ff
  3. Diese strukturellen Probleme der Produktion waren letztlich entscheidend dafür, dass eine ökonomische Selbstregulierung der Krise nicht eintrat und so schwerwiegende politische Eingriffe notwendig wurden, deren Charakter die Industrievertreter bestimmen wollten und mussten.
  4. Dem standen in erster Linie die Arbeiterorganisationen entgegen. Kampfmaßnahmen verzögerten und reduzierten die Lohnsenkungen und die Arbeitsintensivierung.
  5. Konsumgüterindustrie und metallverarbeitende Industrie haben hier nicht die Bedeutung, weil sie noch relativ stark kleingewerblich organisiert waren. Insofern sind auch die Differenzen zwischen Investitions- und Verbrauchsgüterindustrie hier nicht ausführlich darzustellen. Diese drücken sich z.T. auch in der divergierenden Interessenlage von Industrie und selbständiger Mittelklasse aus.
  6. Vgl. B. Weisbrod: Schwerindustrie in der Weimarer Republik, S. 479ff und Zur Form schwerindustrieller Interessenvertretung in der zweiten Hälfte der Weimarer Republik, in: H. Mommsen u.a. (Hrsg.) Industrielles System, Bd. 2, S. 674ff;
  7. vgl. J. Flemming u.a. (Hrsg.), a.a.O., Bd. 2, S. 233f und S. 265ff
  8. Vg1. allgemein zur Wirtschafts- und Sozialpolitik am Ende der Weimarer Republik die Aufsätze in: H. Mommsen u.a. (Hrsg.), Industrielles System, Bd. 1, S. 375ff, Bd. 2. S. 847ff

»Endziel der Politik der nächsten Zeit muß um jeden Preis sein die Sicherstellung der Wirtschaft und damit auch die Garantie des Zusammenhalts des Staates«; darum »Wiederherstellung« der »politischen Verantwortlichkeit der maßgeblichen Stellen«, «Handelsfreiheit« der »amtierenden Regierung, losgelöst vom täglichen Wechselspiel des Parlamentarismus« – kurz: Liquidierung des Parlaments. Denn freiwillig wird es sich »niemals der Erkenntnis beugen, daß auch Nichtkönnen verpflichtet insofern, als der Nichtkönnende von Dingen, von denen er nichts versteht, sich fernhalten muß.« (aus: Der Arbeitgeber, Zeitschrift der VDA, 1930; zitiert nach Fach: a.a.O., S. 55)

Fach, Wolfgang (1982): Wer verhilft Hitler zur Macht? Das »Faschismus«potential des Atomkonflikts. PROKLA. Zeitschrift für Kritische Sozialwissenschaft, 12 (47), 55–68. https://doi.org/10.32387/prokla.v12i47.1518

J. Flemming u.a. (Hrsg.)

A. Lüdtke: Faschismus, Kapitalismus, Interessverbände, in: Sozialwissenschaftliche Informationen für Unterricht und Studium, H. 1/1972

D. Stegmann: Kapitalismus und Faschismus in Deutschland 1929-1934, in: Gesellschaft. Beiträge zur Marxschen Theorie 6

A. Sohn-Rethel

B. Weisbrod: Schwerindustrie in der Weimarer Republik

H. Mommsen u.a. (Hrsg.) Industrielles System

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