Zeigen, wie es sein soll – Ein Gespräch mit Hans Abich

Gesprächsteilnehmer:
Rolf Aurich. Bettina Greffrath, Volker Oertel. Peter Stettner, Irmgard Wilharm

Aufgezeichnet am 5.12.1990 in Hannover im Landesfunkhaus Niedersachsen des NDR

Was waren Ihre Vorstellungen in dieser Anfangszeit?

Eröffnung der Ausstellung „Lichtspielträume“ 1991: Hans Abich im Gespräch mit Rolf Aurich

FRAGE: Das Jahr 1945 brachte für Deutschland die Befreiung vom Faschismus und damit Möglichkeiten eines Neuanfangs, auch im Bereich des Films. Sie, Herr Abich, waren zu dieser Zeit nicht gerade das, was man einen „alten Filmhasen“ nennen kann. Woher nahmen Sie den Mut, hier neu anzufangen? Was waren Ihre Vorstellungen in dieser Anfangszeit?

ABICH: Den Mut nahm ich mir selber eigentlich nicht, sondern mein Freund Rolf Thiele, ein Studienfreund, hatte die – wie ich dachte – fixe Idee, Filme machen zu wollen. Er meinte, da könnte ich mittun: ein Jurist – ich war aber noch gar kein fertiger – werde immer gebraucht.

Wir versuchten, etwas zu machen, das uns vorkam, als sei es etwas Neues. Später hat man uns gesagt, wir hätten doch nur ein Stück Ufa „im Klein-Klein“ nachzumachen versucht.

Wir waren natürlich Angehörige der Generation, in der fast all unsere „Nebenmänner“ gefallen waren. Wir hatten schon mit dem zu tun, was hinter uns lag, und wir wollten uns damit beschäftigen: Was kann man nach vorn denken? Film schien etwas zu sein, womit man ein hungerndes Volk, das mit anderen Völkern und sich selbst Schindluder getrieben hatte, kulturell breit „ernähren“ konnte. Das war der Ausgangspunkt. Film war eigentlich nicht alles.

FRAGE: Film als „Nahrungsmittel“, oder auch Film als „Erziehungsmittel“? Die Besatzungsoffiziere der Alliierten hatten damals ja ganz spezifische Vorstellungen. Vielleicht die Briten, mit denen Sie in Niedersachsen zu tun hatten, weniger. Aber die Amerikaner auf jeden Fall.

ABICH: Ja, aber auch wir selbst hatten quasi „erzieherische“ Vorstellungen. Insofern fühlten wir uns nicht am Gängelband der britischen Filmcontroler. Wir waren froh, daß wir dort teilweise auf Verständnis stießen. Das waren ja kulturell orientierte Leute, meist Remigranten. Daß wir „erziehen“ wollten – das konnte fast gar nicht ausbleiben. Wenn man sich so etwas Massenkommunikatives wie den Film vorstellte, wollte man ja Besserungen der Verhältnisse. Für heutige Verhältnisse waren wir schon arg „ethisch“ eingestellt und haben das auch auf der Zunge getragen. Bevor wir mit den Engländern ins Gespräch kamen, gingen wir ja nach Hannover und erzählten Adolf Grimme (1) mittels einer Denkschrift (2), was wir vorhatten. Grimme war wiederum auch sehr erzieherisch. Damals war das keine Schande.

FRAGE: Und was waren die „Erziehungsziele“? Wohin sollte es gehen? Wie sollten die Menschen verändert, erzogen werden?

ABICH: Ihre Frage heute ist zielgerichteter als unser Denken damals war. Wir wollten eine Verbesserung der Verhältnisse in Deutschland. Wir wollten – da wir Filmliebhaber waren – wieder deutsche Filme machen und sehen. Wir hatten aber ein großes Manko: Wir kannten damals den guten europäischen Film gar nicht. Unsere Vorstellungen waren also auch sehr vage. Außerdem glaubten wir damals nicht, daß sehr schnell Bücher kommen würden – das war ein Irrtum. An Kinos glaubten wir. Und muteten uns zu, da etwas machen zu können. Und wo landeten wir? Wir Göttinger landeten beim „Problemfilm“. So hat man es uns damals gesagt.

FRAGE: War es so, daß Sie zwar wußten, was Sie erreichen wollten, aber nicht, wie Sie es erreichen wollten? Wie die Filme aussehen sollten? Weil Sie auch nicht wußten, was rund um Deutschland passierte in dieser Zeit?

ABICH: Richtig. Das hätte uns damals möglicherweise auch mutlos machen können. Wenn wir abends nach der Arbeit z.B. in die großen französischen Filme gegangen sind, haben wir diese sehr bewundert. Aber wir wußten auch: Das hätten wir nicht gekonnt.

Und noch ein Zweites: Die Fachleute, auf die wir angewiesen waren, waren ja „alte Säcke“ und dergleichen, keine „Greenhorns“ wie wir.

Und dann beschäftigten uns natürlich die Stoffe. Thiele und ich haben nicht gleich an das „Wunder“ von Originalstoffen geglaubt.

Man könnte ja denken: nach dem deutschen „Umbruch“ liegen die Themen auf der Straße. Nein, wir haben Literatur durchdacht und durchgesehen; möglichst die unterdrückte, die unbekannte sollte es sein. Wir kamen natürlich sofort – typisch – auf etwas Klassisches: „Die Marquise von O.“ von Heinrich von Kleist. Das hat man uns aber abgelehnt.

FRAGE: Wissen Sie, warum der Stoff abgelehnt wurde?

ABICH: Nein. Das hat man uns nicht mitgeteilt. Wir waren verwundert und dachten, es liege vielleicht daran, daß in diesem Stück ein russischer Offizier „nicht gut wegkommt“. Damals gab es in dieser Hinsicht noch Rücksichten zwischen den Alliierten. Aber wir wußten es nicht.

Die zweite Einreichung bekam dann die Zustimmung. Das war „Draußen vor der Tür“ von Wolfgang Borchert. Der Film hieß später LIEBE 47.

FRAGE: Noch einmal kurz zurück: Welche Filme kannten Sie denn nun 1945, als 27jähriger?

ABICH: Wir kannten nur die gängigen deutschen Filme. also Ufa und verwandte Gebiete. Wir konnten damals als Studenten in Berlin allerdings sehr gut unterscheiden, was direkte nationalsozialistische Botschaft war und was der Mensch sozusagen sonst noch daraus „entnehmen“ könnte. Wir waren sicherlich nicht scharfsinnig genug, um festzustellen, daß auch der Unterhaltungsfilm ein Propagandainstrument war. Wir haben doch oft mit großem Vergnügen – oder großer Erschütterung – in den Kinos gesessen.

Unabhängig von den Filmen: Im Kriegs-Berlin war das Gehen ins Kino wie der Gang in eine individuelle Situation. Da waren zwar viele Menschen, aber man saß da alleine, ohne Bevormundung, hatte den Film und konnte ihn auch kritisch betrachten. Aber andere Maßstäbe als diese Filme hatten wir nicht.

FRAGE: Sahen Sie den deutschen Film denn 1945 als „belastet“ an – in seinen Traditionen oder Formen? Auf welchem Stand sahen Sie den deutschen Film 1945?

ABICH: Wir sahen ihn auf handwerklich hohem Niveau und thematisch sehr umstritten. Wir, vor allem Rolf Thiele, studierten auch den Anschluß, den man geistig nehmen konnte an den deutschen Film der zwanziger Jahre. Ansonsten wollten wir ja thematisches Neuland betreten. Wie wir das formal schaffen sollten, mit all den „alten“ Fachleuten, war noch nicht ausgemacht.

 


Zum Film LIEBE 47 und seinem Regisseur Wolfgang Liebeneiner

FRAGE: Ihr erster Film war also LIEBE 47. Der Film weicht ja deutlich ab von der literarischen Vorlage – und zwar in einer sehr charakteristischen Weise: es gibt eine zweite Hauptrolle, Anna, gespielt von Hilde Krahl. Eine solche Frauengestalt, mit diesem Gewicht, ist in Borcherts Stück nicht enthalten. Wurde über diese Veränderung gegenüber dem Stück diskutiert? Was hat man sich davon versprochen? Welche Rolle hat der Regisseur Wolfgang Liebeneiner dabei gespielt?

ABICH: Wir wollten nicht die ganz genaue „Realisierung“ von Literatur, sondern waren der Meinung, daß Film immer eine Art „Umsetzung“ ist, und damit auch Veränderung. Die Änderungen gingen zurück auf Liebeneiner, der das Stück ja bereits in Hamburg inszeniert hatte, und auf einen zweiten Drehbuchautor (Kurt Joachim Fischer), der die Figur der Anna „zum Blühen“ brachte. Wir haben uns dieser Veränderungen nicht geschämt, denn wir wußten: Das waren zwei Dinge, Film und Theaterstück. Außerdem hätten wir den „reinen“ Borchert bei keinem Verleiher unterbekommen. Nur die Figur der Anna hat den Film beim Verleih möglich gemacht.

Allerdings: Trotz dieser Figur ist der Film zwar viel besprochen, aber wenig besucht worden. Das hing wohl auch damit zusammen, daß das Publikum diese Trümmer und auch die Schuldabtragungsfrage zu dieser Zeit nicht mehr wollte.

Borchert war für unsere Generation fast etwas zwischen Pflicht und Begeisterung. Wir mußten doch etwas abarbeiten an Thematik. Für Liebeneiner war es ein Stoff, mit dem er sozusagen eine neue „Liebeneiner-Zeit“ eröffnen wollte, denn er war ja Produktionschef der Ufa gewesen.

FRAGE: Kann man Liebeneiner als Regisseur der ersten Filmaufbau-Produktion paradigmatisch sehen für ihre Situation damals: neue Themen mit alten Leuten?

ABICH: Ja.

FRAGE: Sie hatten auch keine Schwierigkeiten, ihn zu engagieren?

ABICH: Nun, gleichzeitig lief ein Entnazifizierungsverfahren gegen ihn. Davon waren wir abhängig. Es lief sonderbar gut, denn er wurde von der zuständigen Spruchkammer freigegeben. Das imponierte uns. Im übrigen: Schon als Studenten in Berlin erschien uns Liebeneiner, den wir ja nicht persönlich kannten, von seiner Arbeit her als „Individualist“.

FRAGE: Liebeneiners Film LIEBE 47 spendet – im Gegensatz zu Borcherts Stück, das den Leser mit vielen offenen Fragen allein läßt – Trost, gibt Antworten und endet schließlich in einer Art „kleinbürgerlicher Harmonie“. (3) Die Verantwortung, die vorher gesellschaftlich war, wird übernommen in eine private Verantwortung der Zweisamkeit. Hatte diese Funktion des Trostspendens etwas zu tun mit Ihren Erziehungszielen?

ABICH: Ja, genau dies muß uns wohl damals „bestochen“ haben. Denn hätten wir aufgehört mit „Gibt denn keiner Antwort?“ (4), hätte uns diesen Film kein Verleiher abgenommen. Aber wir standen auch selbst zu diesem Schluß, denn wir dachten, wir können ein Publikum nicht dahin führen, wo es noch gar nicht ist. Wir hatten auch Angst vor jedem „Heroismus“, auch vor dem warnenden. Wir fanden diese Schlußszene seltsam klein, aber gut gelungen.

 

Ob wir fähig gewesen wären, zu zeigen, wie es war, weiß ich nicht.

FRAGE: Zur gleichen Zeit war man in dem ehemals faschistischen Italien bereit und auch in der Lage, die Realität in den sogenannten neorealistischen Filmen relativ schonungslos und offen zu zeigen. Wo liegen die Gründe dafür, daß man so etwas dem deutschen Publikum offenbar nicht zumuten wollte?

ABICH: Damals hätte ich wahrscheinlich gesagt: Die Italiener sind begabter mit den Augen und somit auch in der Filmkunst. Bei uns geht alles sehr über den Kopf. Außerdem war die Verfassung des italienischen Volkes eine andere als die der Deutschen. Die Italiener konnten – ohne den Faschismus besser machen zu wollen als er war – unbefangener sein.

FRAGE: In diesem Zusammenhang fällt mir eine zeitgenössische Kritik an den Nachkriegsfilmen ein, die feststellte, daß die deutschen Filme immer zeigen, wie es sein soll, nicht wie es ist. Dabei wird auf die italienischen und französischen Produktionen als „Gegenbeispiele“ verwiesen. (5) Wenn für die deutsche Bevölkerung nach 1945 alle moralischen Maßstäbe ins Wanken geraten waren, könnte es sein, daß man deswegen glaubte, zeigen zu müssen, wie es sein sollte. Nicht, wie es ist bzw. war? Anders in Italien oder Frankreich, wo es ja einen moralisch begründeten Widerstand gegeben hatte. Könnte es damit etwas zu tun haben?

ABICH: Vielleicht, ja. Auch wir gehörten damals zu den Leuten, die zeigen wollten, wie etwas eigentlich sein soll. Ob wir allerdings überhaupt fähig gewesen wären, zu zeigen, wie es war, weiß ich nicht. Wir hätten möglicherweise dafür noch keinen Ausdruck gewußt. Wir waren nicht ganz sicher, wie es ist. Wir hätten ein Nazi-Reich mit geringen „Verwandlungskoeffizienten“ zeigen müssen. So früh hat man noch nicht gewußt, welche demokratischen Fähigkeiten wir Deutsche überhaupt entwickeln würden. Man mußte sehr skeptisch sein. Wir waren der Überzeugung: Kollektivschuld ja, aber wir müssen auch daran arbeiten, das Individium sozusagen „herauszuführen“ aus dieser Schuld.

Bauchschmerzen, falsche Karten im Kopf und zu späte „Einbringsel“

Unsere „Bauchschmerzen“ traten dann später ein, Mitte der fünfziger Jahre, als bei uns die Wiederbewaffnung „angetönt“ wurde in der Öffentlichkeit. Das war für uns, als ob wir die ganze Zeit die völlig falschen Karten im Kopf gehabthätten.

FRAGE: Sie haben ja einen Film produziert, der in dieses Umfeld der Wiederbewaffnungsdiskussion gehört: UNRUHIGE NACHT (1958, Regie Falk Harnack) nach der gleichnamigen Novelle von Albrecht Goes. Sie haben einmal gesagt, Sie hätten diesen Film schon viel früher machen wollen.

ABICH: Ja, wir haben es sehr bedauert, daß wir ihn erst so spät gemacht haben, weil er zwar 1958 vom Bekenntnis her vielleicht noch ein „Einbringsel“ war. Aber dieser Film hätte politisch wirken können, wenn er früher ans Publikum gebracht worden wäre. Früher war der Stoff jedoch nicht an einen Verleiher zu bringen. Erst Ende der fünfziger Jahre haben sich mit uns noch zwei andere Produzenten (6) zusammengefunden, und damit gab es eine finanzielle Basis für dieses Projekt. Bei unserem früheren Stammverleih (Kurt Schorcht, Schorcht-Verleih) wäre der Film nicht möglich gewesen. 1958 suchten wir für UNRUHIGE NACHT dann einen anderen, den Europa Filmverleih. Albrecht Goes gehörte – ähnlich wie Ernst Penzoldt – zu der Literatur, die wir gesucht haben. Diese Literatur sollte politisch etwas aussagen.

FRAGE: UNRUHIGE NACHT entstand im gleichen Jahr wie DER ARZT VON STALINGRAD (Regie Geza von Radvanyi). Zwischen diesem Film und ähnlichen „Kalte Kriegs-Produktionen“ einerseits und Ihrem Film andererseits liegen Welten. Welches Echo, welchen Erfolg hatte UNRUHIGE NACHT?

ABICH: Nun, der „Erfolg“ war nicht ruinös schlecht, eher mittel. Aber das hat uns nicht gewundert. Wir haben nicht Filme für die sichere Kasse gemacht, wir mußten immer etwas loswerden. An UNRUHIGE NACHT lag uns sehr, trotzdem war dieser Film für uns um diese Zeit nur noch eine Art Reflex.

 

Wer nahm Einfluss auf die Filmproduktion

FRAGE: Können Sie noch mehr sagen über die verschiedenen Institutionen – die Verleiher haben Sie bereits erwähnt – die auf die Filmproduktion Einfluß genommen haben, besonders zu Beginn der fünfziger Jahre, als sich das „Grundsystem“ der Filmwirtschaft mit seinen beherrschenden Institutionen herausgebildet hat?

ABICH: Ich fange 1949 an. Nach dem Mißerfolg mit LIEBE 47 machten wir in Koproduktion mit der Neuen Deutschen Filmgesellschaft München den Film NACHTWACHE (Regie Harald Braun). Der Film wurde ein Riesenerfolg und versetzte uns in die Lage, mehr eigene Wege zu beschreiten. Wir machten einen unserer Lieblingsstoffe: „Korporal Mombour“ von Ernst Penzoldt. Der Film nach dieser Novelle hieß ES KOMMT EIN TAG (1950, Regie Rudolf Jugert). Er behandelte das für uns damals wichtige Thema der Aussöhnung (zwischen Deutschen und Franzosen).

Jeder dieser Stoffe mußte einem Verleiher angeboten werden mit der Bitte, 75% der Herstellungskosten zu übernehmen. Während der Verleiher – berechtigterweise, denn es war sein Risiko – nur den Kaufmann im Kopf hatte, hielt er uns für die Abenteurer, die sein Geld ausgeben wollen. Sie können genau sehen, wie lange unser Stammverleih Schorcht mit uns mitging. Später gingen wir zu einem, der „zugänglicher“ war, der Europa Verleih, aber der besaß nicht mehr so große wirtschaftliche Potenz.

FRAGE: Wie lange ist Schorcht denn mitgegangen?

ABICH: OHNE DICH WIRD ES NACHT (Regie: Curd Jürgens) war unsere letzte Zusammenarbeit. Von diesem Projekt sprang er ab, weil wir von Regie bis Autor alles umgestellt hatten. (7)

FRAGE: Gab es Filme, die nicht zustande gekommen sind, weil sich für den Stoff kein Verleiher gefunden hat?

ABICH: Oh ja, wir hatten z.B. 1948 sämtliche Optionen auf Ernst Kreuder gekauft. Die fertigen Drehbücher von ihm, eines hieß z.B. „Angst“, wurden wir nicht los. Trotzdem: Wir konnten uns nicht beklagen, daß wir nun dauernd fertige Drehbücher hatten, die uns nicht abgenommen wurden. Es gehört zum „inneren Handwerk“, daß man ein Projekt auch selbst stoppt.

FRAGE: Aber die Stoffe, die nach Ansicht der Verleiher keine Aussicht hatten, ein „Geschäftsfilm“ zu werden, hatten es doch schwerer?

ABICH: Ja, aber es kam auch darauf an, wer nachher recht hatte. Jedenfalls konnte man die Beziehung zum Verleih nicht ständig belasten. Wenn wir nicht auch Thomas Mann-Stoffe verfilmt hätten, wären wir wohl nicht so lange bei Schorcht geblieben. Unsere Originalstoffe irritierten ihn manchmal.

FRAGE: Können Sie noch etwas sagen zu den Bürgschaftsaktionen (B) in der ersten Hälfte der fünfziger Jahre? Wie sah es hier mit der Einflußnahme von außen auf die Filmproduktionen aus?

ABICH: Die niedersächsischen Landesbürgschaftsaktionen sind in hohem Maße von uns angezettelt worden, ich glaube, schon 1950 mit ES KOMMT EIN TAG. Danach kamen dann die Bundesbürgschaften.

Zur Frage, in welchem Maße dabei Einfluß genommen wurde auf die Filme: Bei den Landesbürgschaften war man sehr sorgfältig in der Prüfung der Finanzen, aber keiner hat dort behauptet, er verstünde viel von Drehbüchern. Bei den Bundesaktionen gab es allerdings schon einige Beamte, die sich als „Drehbuch-Controler“ verstanden und auch so arbeiteten.

FRAGE: Als unzulässige Eingriffe würden Sie die Überprüfungen im Rahmen der Bürgschaftsaktionen aber nicht interpretieren?

ABICH: Nein, ich war immer der Meinung: am Drehbuch muß man sich rupfen lassen. Man muß nur – wenn man zu einem Stoff steht – argumentenreich genug sein, um es zu verhindern. Daß die mal kratzen wollten… Wir haben das nicht als schlimm empfunden. Wir waren nicht überempfindlich.

FRAGE: Noch einmal zu den Anfängen: Nach LIEBE 4l kam es ja fast zur Pleite der Filmaufbau GmbH. Was hat diesen Ruin verhindert? Wieso ging es dann doch weiter?

ABICH: In der Not haben wir die alte Firmenkonstruktion (Produktion + Ateliers) aufgelöst. Wir haben der Bank, die den Kredit für LIEBE 47 gegeben hatte, die Ateliers überlassen. Mit dem alten Namen „Filmaufbau“ gründeten wir dann eine neue Firma, eine Schreibtischfirma. Bald haben wir gemerkt, daß das unsere Rettung gewesen ist. Eine Produktionsfirma sollte sich nicht zu sehr beschweren mit Studios. Wir wurden beweglicher als Produktionsfirma. Allerdings hatten wir auch das Glück, daß mit NACHTWACHE dann ein Erfolgsfilm kam.

 

NACHTWACHE – Wir müssen da ein Gefühl getroffen haben

FRAGE: Was hat Sie damals eigentlich am Thema dieses Films, das man heute ja als ökomenisch bezeichnen könnte, so angesprochen?

ABICH: Das Drehbuch hat mir sehr gefallen. Es war dramaturgisch sehr gelungen. Auch nicht-religiöse Zuschauer konnten sich den Gefühlen, die der Film ansprach, schwer entziehen.

FRAGE: NACHTWACHE hatte in 19 Monaten 9 Mio. Besucher. Haben Sie diesen Erfolg irgendwie vorhersehen können? Wußten Sie, daß dies der Stoff der Zeit war?

ABICH: Nein, aber wir müssen da ein Gefühl getroffen haben . . .

FRAGE: Für diesen Film ist der Begriff der „Heilung“ ein ganz zentraler. Gilt dies auch schon für LIEBE 47, diese Annahme, daß es da kranke Seelen gibt, denen – vielleicht durch das gute Vorbild – Heilung, Linderung, Hilfe verschafft werden soll?

ABICH: Ja, Ich fühle mich da in einigen unserer früheren Gefühle ertappt. Ihre Beobachtung ist wohl richtig und gilt auch noch für spätere Filme, z.B. GELIEBTES LEBEN (1953. Regie Rolf Thiele).

 

„Stars“ der 50er Jahre – Borsche und Felmy

FRAGE: Ich möchte noch auf Dieter Borsche kommen der in NACHTWACHE zwar keine sehr große, aber dennoch bedeutende Rolle gespielt hat, die des katholischen Kaplans und ehemaligen Fliegerleutnants von Imhoff. Sie rechnen sich zurecht zu, Borsche für den deutschen Nachkriegsfilm entdeckt zu haben. Wie sind Sie auf ihn gekommen? Gibt es irgendetwas an dem Typ, den er verkörperte, das Sie für vielversprechend hielten?

ABICH: Entdeckt hat ihn eigentlich Harald Braun. Mit seiner Rolle in NACHTWACHE fing es an, Borsche hat den ihm einmal gegebenen Rahmen dann auch in den folgenden Jahren nicht gesprengt. Er blieb immer sehr „borschig“. Und er gefiel sehr. Vom Typ her war er in all dem Zertrümmerten ein „Stück Edles“, das herausgerettet worden ist.

FRAGE: Aber er hatte auch etwas Schmerz-belastetes. Wenn Borsche nun den Typ der frühen fünfziger Jahre verkörperte, so war wohl Hansjörg Felmy der Typ der zweiten Hälfte dieses Jahrzehnts. Darin deutet sich wohl auch ein Paradigmen-Wechsel an: In der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre hat man sich der Realität auf andere Weise genähert, bestimmte Themen waren nicht mehr tabu. Ist das richtig?

ABICH: Das war nicht mehr die direkte Nachkriegszeit. Wir glaubten, wir hätten etwas gelernt, wir hatten auch eine andere Sicht der Dinge.

Zu Felmy: Eine Zeit lang war es so, daß man – zumindest wenn noch eine aus dem „Club“ der damals beliebten Schauspielerinnen dabei war – einen Film mit ihm fast schon verkaufen konnte. Das war ungewöhnlich, denn Felmy war kein „Star“ im üblichen Sinne.

 

Unsere Filme fallen noch in diese Zeit, aber mit Anstand.

FRAGE: Die Filmaufbau GmbH hat in den fünfziger Jahren keinen Film -gemacht, der in die damals gängigen Genres paßte: keinen Heimatfilm, keinen Schlagerfilm, keinen Klamaukfilm beispielsweise. Und es gab sehr viele Koproduktionen mit anderen. Bedingte die Wahl von „schweren“ Stoffen teilweise diese Kooperation?

ABICH: Teilweise haben Sie recht, obwohl es so viele Koproduktionen nun auch wieder nicht waren. Ja, man ging auf Partnersuche, vor allem gegen Ende der fünfziger Jahre. Da war für unsere finanzielle Selbständigkeit die beste Zeit vorbei.

FRAGE: Wenn Sie Ihre Produktionen aus den fünfziger Jahren vor dem Hintergrund des allgemeinen gesellschaftlichen Klimas dieser Zeit – Stichwort Restauration – betrachten, würden Sie heute sagen, sie passen sehr in diese Zeit, sind „typische Zeitprodukte“? Oder sind Sie der Meinung, sie fallen doch deutlich heraus, sind Beispiele für ein „Anders sein“?

ABICH: Wir glaubten, zumindest mit WIR WUNDERKINDER (1958, Regie: Kurt Hoffmann) und auch bei dem kleinen Film DER TAG VOR DER HOCHZEIT (1952, Regie: Rolf Thiele) hätten wir politisches Engagement gezeigt. Und sehr spät noch, mit einem Lieblingsstoff von mir: KENNWORT: REIHER (1964, Regie Rudolf Jugert) nach dem Roman von Charles Morgan. WIR WUNDERKINDER war wohl der Film, mit dem wir in dieser Phase „am identischsten“ waren.

Ich würde vorsichtig sagen: Unsere Filme fallen noch in diese Zeit, aber mit Anstand.

 


Zeigen, wie es sein soll. Ein Gespräch mit Hans Abich. In: Lichtspielträume. Kino in Hannover 1896-1991, Hannover 1991, S. 57-68

Das könnte dich auch interessieren …