Neuaufbau, nicht Wiederaufbau


„Auf dem steinigen Weg zum Erfolg“

Der Krieg hatte das Gesicht der Stadt gründlich verwüstet, und nach seinem Ende 1945 hatten die neu gewählten Stadtverwaltungen Probleme zu bewältigen, wie sie weder vor ihren Vorgängern noch ihren Nachfolgern je gestanden hatten. War es überhaupt möglich, diesen wohl tiefsten und schmerzlichsten Einschnitt in der Entwicklung der Stadt zu überbrücken? Gab es noch eine Verbindung zwischen dem Vergangenen und dem Zukünftigen? Gab es Wege aus dem Chaos?

Trümmerbeseitigung und -verwertung, die Instandsetzung der Wasser-, Strom- und Gasversorgung und der Wohnungsbau waren die vornehmlichsten Aufgaben der ersten Nachkriegsjahre. Aber auch die neue Stadtplanung wurde in Angriff genommen.

Eine „Stunde Null“ hatte es dabei hinsichtlich des städtebaulichen Entwicklungsprozesses auch in Hannover nicht gegeben. Die Planungen standen vielmehr in der Tradition eines jahrzehntelangen Modernisierungsprozesses. Bei der Entscheidung zwischen Wiederaufbau oder Neuaufbau der Stadt bestand in Politik und bei den Planern Einigkeit, dass das Alte nicht einfach wiedererstehen durfte.

1949 war die Aufbauplanung für die fast völlig zerstörte Innenstadt abgeschlossen, 1950 wurde mit der Planung für das gesamte Stadtgebiet begonnen, und 1951 konnte der Rat der Stadt den Flächennutzungsplan beschließen. Damit war die Grundlage geschaffen, auf der sich der Aufbau Hannovers in den 50er Jahren vollziehen konnte.

Als Ideal für den Aufbau im Westen Deutschlands galt die Stadtlandschaft. Die Überwindung des Gegensatzes zwischen Stadt und Land wurde zum Wunschbild des Städtebaus. Die aufgelockerte und gegliederte Stadt, die Ablehnung der geschlossenen Bauweise und die Forderung nach offenen Räumen galten als Konzept eines demokratischen Neuanfangs.

Der Blick aus dem Café Kröpcke auf die Trümmerlandschaft des westlichen Teils der Georgstraße verdeutlicht zweierlei: das Ausmaß der Zerstörungen, aber auch die rasche Wiederbelebung des Stadtzentrums.


Zwischenbilanz 1956

Im Oktober 1956 gibt die renomierte schweizer Archtiektur-Zeitschrift ‚Bauen und Wohnen‘ ein besonderes Städteheft Hannover/Basel heraus, 1) in dem sie sich im ersten Heftteil ausführlich mit der Stadtentwicklung von Hannover beschäftigt. Die Redaktion begründet dies wie folgt:

Hannover haben wir gewählt, weil nach unserer Auffassung in keiner anderen deutschen Stadt aus dem grauenvollen baulichen Zustand bei Kriegsende ein derart positiver und großzügiger Wiederaufbau hat durchgeführt werden können. Nirgends sonst sind derart weitgreifende planerische Gedanken Wirklichkeit geworden. Dies mag ein Glücksfall sein, wir glauben allerdings eher, daß es das persönliche Verdienst eines energischen und oft bewußt rigoros vorgehenden Mannes ist, des Spiritus rector der gesamten baulichen Tätigkeit Hannovers der Jahre nach 1945. Stadtbaurat R. Hillebrecht ist 1947 an den verantwortungsvollen Platz eines Stadtbaurats von Hannover berufen worden. Er hat es verstanden, die richtigen Mitarbeiter heranzuziehen, und er hat es vor allem verstanden, den dornenvollen Weg der zielbewußten geistigen Beeinflussung der Bürger dieser in ihren alten Vierteln fast total zerstörten Stadt zu gehen und sie davon zu überzeugen und dafür zu begeistern, persönliche Kleinlichkeit zugunsten des Ganzen und der Allgemeinheit zurückzustellen. Das Resultat dieser großen Arbeit sei in der ersten Hälfte unseres Heftes dargestell

Mit insgesamt sieben Artikeln 2) wird auf die Stadtplanung und die Aufgaben des Grünflächenamtes eingegangen und werden einige bedeutsame Baurender frühen 50er Jahre vorgstellt (Stadtbauamt, Werner-von-Siemens Mittelschule, Berufsschulen am Waterlooplatz und Kindertagesstätte in Hannover-Bothfeld)

Auswahl, Zusammenstellung und Einordnung der Materialien: Detlef Endeward (2021ff)

Stadtentwicklung in den 50er und frühen 60er Jahren

Ausgangslage: Die zerstörte Stadt

Stadtplanung nach dem Zweiten Weltkrieg

Zukunftsorientiertes Verkehrskonzept

Neues Regierungsviertel

Umgang mit historischer Bausubstanz

Neugestaltung des City-Bereichs

Innerstädtischer Wohnungsbau

Wohnquartiere in den Stadtteilen

Krankenhäuser und Gebäude der Gesundheitsfürsorge

Schulen, Kultureinrichtungen und Sportanlagen

Denkmalgeschützte Verwaltungsgebäude und Geschäftshäuser

Hannover Messe

Bundesgartenschau 1951

Visionen

Architekten des Wieder-/Neuaufbaus

Stimmen zur Stadtentwicklung

Der Neuaufbau im Spiegel zeitgenössischer Dokumentarfilme

Literatur


Angang der 60er Jahre: Der Neuaufbau ist weitgehend vollbracht – eine neue Phase der Stadtentwicklung beginnt

Diese neue Phase unter dem Motto „Urbanität durch Dichte“ und der Verschiebung der Bautätigkeit in Richtung einer „Industrialisierung des Bauens“ führte schnell zur Kritik an der Entwicklung. Diese Kritik wurde schnell pauschal zur Kritik an „der Nachkriegsarchitektur und Nachkriegs-Städteplanung“ in die die Zeit der 50er Jahre eingebunden war. Auch heute noch bewegt sich Kritk in dieser Tradition.

Zum neuen Leitbild der 60er Jahre der Architekturhistoriker Werner Durth: 3)

Mit dem Ende der 1950er Jahre war die Phase des expansiven Wachstums unter dem Leitbild der Stadtlandschaft beendet. Mit dem neuen Motto einer „Urbanität durch Dichte“ waren andere Siedlungsformen gefragt; die fortan entstehenden Großsiedlungen erforderten eine neue Infrastruktur zur Anbindung an die Zentren der Städte. Die Forderung nach einer „autogerechten Stadt“ gab den 1960er Jahren ein neues Leitbild vor. (…)
Die Tertiärisierung der Innenstädte erforderte Straßendurchbrüche für breite Schneisen. Mit dem Aufruf: „Jetzt muß gehandelt werden!“ forderte 1965 die Sachverständigenkommission des Deutschen Städtetags eine Beschleunigung des Straßenbaus. (…) Angesichts dieser Entwicklung war zwei Jahrzehnte nach dem Ende des Weltkriegs bald von einer „zweiten Zerstörung der Städte“ die Rede. Im Frühjahr 1965 erschien Alexander Mitscherlichs Buch über die „Unwirtlichkeit unserer Städte“, eine „Anstiftung zum Unfrieden“, so der Untertitel des Buches: Anstiftung zum bürgerschaftlichen Protest gegen Fehlentwicklungen im Wiederaufbau, in dem nach dem Leitbild der autogerechten Stadt die städtischen Funktionen in getrennte Bereiche für Arbeit und Wohnen, Erholung und Verkehr zerrissen und noch verbliebene Reste der historisch überkommenen Bausubstanz dem vermeintlichen Fortschritt geopfert wurden.


1) Städteheft Hannover/Basel. Bauen und Wohnen, Jahrgang 1956, Heft 10. Darüber hinaus widmet die Zeitschrift in den 50er und frühen 60er Jahren gut zwei Duzend Beiträge dem Neuaufbau in Hannover.
2) Die einzelnen Beiträge:
    Eggeling, Fritz: Stadtplanung in Hannover. Bauen und Wohnen, Jahrgang 1956, Heft 10, S. 327-337 (http://doi.org/10.5169/seals-329316), PDF
    Eggeling, Fritz: Die Stadt baut auf/Neues Baumat. Bauen und Wohnen, Jahrgang 1956, Heft 10, S. 338/39  (http://doi.org/10.5169/seals-329317) PDF
    Werner-von-Siemens-Mittelschule. Bauen und Wohnen, Jahrgang 1956, Heft 10, S. 338/39 (http://doi.org/10.5169/seals-329319) PDF
    Berufsschulen. Bauen und Wohnen, Jahrgang 1956, Heft 10, S. 344/45 (http://doi.org/10.5169/seals-329320) PDF
    Kindertagesstätte Hannover-Bothfeld. Bauen und Wohnen, Jahrgang 1956, Heft 10, S. 346 (http://doi.org/10.5169/seals-329321) PDF
    Eggeling, Fritz: Neue Aufgaben für die Grünflächen in Hannover. Bauen und Wohnen, Jahrgang 1956, Heft 10, S. 347-350 (http://doi.org/10.5169/seals-329322) PDF
3) Durth, Werner (2017): Wertewandel im Städtebau. Vom Wiederaufbau zur Stadterneuerung. In: Europäische Stadt – Wandel und Werte. Erfolgreiche Entwicklung aus dem Bestand.  27 Jahre Städtebaulicher Denkmalschutz, Leipzig 2017, S. 24


Mit dem Aufbau der ehemaligen geselligen und kulturellen Mittelpunkte der Stadt waren erneut die städtebaulichen Grundsteine gelegt, die bereits vor über hundert Jahren auch schon die Entwicklung zur Citybildung eingeleitet hatten. Dass sich dieser Prozess wiederholen würde, war trotz der schwierigen Ausgangssituation abzusehen: Der Krieg und seine furchtbaren Folgen hatten nichts an der günstigen wirtschafsgeographischen Lage und der Stellung Hannovers als Mittelpunkt des niedersächsischen Raumes zu ändern vermocht. Von daher war es nötig, zunächst kurzfristig, aber auch zukunftsorientiert, dieser Funktion wieder gerecht zu werden. Der zerstörte Stadtkern bot nun die Möglichkeit, verkehrspolitische und citybildende Maßnahmen zu ergreifen, die die gewachsene Struktur der Innenstadt in den Vorkriegsjahren erschwert hatte. Als allgemein konsensfähig erwies sich in den Anfangsjahren das Planungsziel, die mittelalterliche Kapselanlage der Altstadt endgültig zu sprengen und in der Stadtmitte „ein Zentrum des Geschäftslebens zu schaffen…, dem erfahrungsgemäß eine Vermischung mit Wohnungen abträglich wäre.“ Statt ehemals geplanten 6.500 Wohnungen im Bereich der Altstadt wurden nur noch 1.000 anvisiert, eine Konzeption, der man heute – wenn man an die Verödung der Innenstadt in   denkt – sicherlich nichtmehr ungeteilten Beifall spenden würde.


Aus: Citybildung in Hannover – Stadtentwicklung und Geschichte. Hrsg. v. NLVwA – Landesmedienstelle, Hannover 1991, S. 67/68

Der Beginn der Aufbau-Planung

Als nach den starken Zerstörungen des letzten Krieges die örtlichen Verhältnisse überprüft wurden, zeigte es sich, daß die Anlage der Stadt sinnvoll ist und auch wegen der uns gebliebenen Werte beibehalten werden muß, daß andererseits die durch die Zerstörungen gegebenen Möglichkeiten ausgenutzt werden müssen, um anerkannte städtebauliche und vor allem verkehrstechnische Mängel zu beseitigen. Das Stadtbauamt stellte in den Jahren nach der Kapitulation Pläne für den Wiederaufbau der schwer zerstörten Innenstadt auf, die durch Spezialgutachten ergänzt wurden. Die Währungsreform veranlaßte die Stadt, die Pläne zu überprüfen; denn sie hatte ihre Rücklagen und sämtliche sonstigen Guthaben mit nicht weniger als 220 Millionen Mark eingebüßt, von denen sie einen großen Teil für den Aufbau hätte verwenden können. Die zunehmende Bautätigkeit und die Baulust gerade im Gebiet der Innenstadt drängten ebenso dazu, eine Entscheidung über die Aufbauplanung herbeizuführen, wie das inzwischen erlassene Aufbaugesetz. Der Rat der Stadt schrieb daher einen Wettbewerb aus, der das Ziel hatte, auf Grund der Wettbewerbsentwürfe bald zu einem abschließenden Bebauungsplan für die Innenstadt zu kommen.

Ortskenntnis war die Voraussetzung für die Teilnahme. Sämtliche Planungen seit 1944 wurden den Teilnehmern in einer Ausstellung unterbreitet; die Aufgabe wurde thematisch wie gebietlich so eng wie möglich begrenzt, und zwar wurde für den Kern der Innenstadt die Ordnung des Verkehrs, die Art der Nutzung der Bodenflächen und die Gestaltung der Baumassen verlangt. Besonders wichtig war die Frage, wie der Durchgangsverkehr zu führen und wie der Verkehr nach seinen verschiedenen Arten aufzuteilen sei. Das Bauamt war vor allem daran interessiert, die Planungen auch verwirklichen zu können. Der Wettbewerb wurde also ausgeschrieben, um Vorschläge zu erhalten, die einerseits die durch die Zerstörungen gebotenen Möglichkeiten auszuschöpfen und die sich andererseits im Rahmen des rechtlichen, wirtschaftlichen und geistigen Vermögens unserer Zeit halten sollten. Auf diese Weise wurde verhindert, daß utopische eingereicht wurden, die sich nie hätten verwirklichen lassen.

(zitiert nach: Anpacken und Vollenden! Hannover 1949, hg. vom Städtischen Presse- und Kulturamt Hannover. Bearb. von Heinz Lauenroth und Hans von Gösseln, S. 37f.)


Blick zurück nach 10 Jahren

Zehn Jahre nach dem schwersten Bombenangriff auf Hannover, der in der Nacht vom 8. auf den 9. Oktober 1943 große Teile der Stadt in Schutt und Asche legte und über 1100 Menschenleben forderte, schrieb der hannoversche Autor H.J. Toll rückblickend:

88mal wurde Hannover aus der Luft angegriffen. Der letzte Großangriff, mit der Oststadt als Hauptziel, war am 28. März 1945. Drei Tage vorher, am Vormittag eines Vorfrühlingssonntags, war die Nordstadt in fast zweistündigem Angriff zerstört worden. Fast 1000 Hannoveraner fielen an diesen beiden Tagen.

Die Stadt Hannover war eine Trümmerstätte. 470  000 Menschen hatten 1938 in ihr gewohnt, jetzt waren es nur noch 200  000, und nicht einmal für sie reichte es aus, was an Wohnraum geblieben war. Ganze Viertel waren menschenleere Ruinenfelder. Die Stadtmitte – Trümmerberge, eine Ödnis, umstellt von Mauerresten, in denen kein Leben mehr war.

Damals gab es nichts mehr von dem, was einmal die Stadt Hannover gewesen war, von dem, was ihrem Gesicht die charakteristischen Züge gegeben hatte, und niemand hätte zu hoffen gewagt, dass es zehn Jahre nach der achten Oktobernacht 1943 ein neues Hannover geben würde. So wie heute derjenige, der vor den neuen Bauten steht, durch die neuen Straßen geht und überall in der Stadt neue Wohnviertel sieht, sich kaum noch vorstellen kann, daß hier vor wenigen Jahren Schutthalden, Ruinen oder enttrümmerte leere Flächen waren. Ein Wunder? Nicht in dem Sinne, daß der Neuaufbau der Stadt in den Schoß gefallen wäre. Aber ein Wunder an Tatkraft, Planung und Zupacken, ein Wunder erstanden aus entschlossener Arbeit und dem Willen, der Stadt wieder ein Gesicht zu geben.

Die Stadt Hannover ist wiedererstanden. Kräftig wie je geht ihr Pulsschlag. Aber im trauernden Gedenken an die Toten wissen wir, daß es eine Verpflichtung und Mahnung einbeschließt, wenn wir sagen können: Wir leben!

(Zitiert nach: H.J. Toll: Die Nacht vor dem Tag ohne Sonne. Ein Dokumentarbericht von Leben und Tod der Stadt Hannover, Sonderdruck des Dokumentarberichts, erschienen in der Hannoverschen Presse, Hannover 1953)

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