Proletarischer Film

Filme, die sich kritisch mit der sozialen Wirklichkeit und dem Arbeiteralltag in der Weimarer Republik auseinandersetzten, waren gegenüber dem Massenangebot des Unterhaltungskinos zahlenmäßig in der Minderzahl. Das lag zum einen an den eingeschränkten Produktionsmöglichkeiten, denn im Rahmen der Filmindustrie konnten nur mit großen Schwierigkeiten Filme   realisiert werden, die deutlich demokratische Positionen formulierten und/oder soziale Probleme thematisierten, geschweige denn die die bestehenden Verhältnisse in Frage stellten.

Als klassisches Beispiel massiver Versuche seitens der Filmindustrie, auf den Inhalt eines Films Einfluss zu nehmen, kann die Verfilmung der „Dreigroschenoper“ von Brecht/Weil gelten. Brecht hat diese Vorgänge wegen ihres prinzipiellen Charakters in einer Dokumentation verarbeitet. Aber auch Filme wie Die freudlose Gasse“,  „Berlin-„Alexanderplatz“ oder „Die Abenteuer eines Zehnmarkscheins“ von B. Viertel kamen nicht ungeschoren davon

„Die wenigen sozialkritischen Werke der zwanziger Jahre knüpften entweder weitgehend an veraltete Vermittlungsformen an oder sie hoben den eigenen kritischen Ansatz durch die Art und Weise der Vermittlung wieder im Genre aus…“ (1)

Die proletarische Filmpraxis ging darüber hinaus. Ihre Ziele waren die Darstellung gesellschaftlicher Realität, die Aufdeckung gesellschaftlicher Zusammenhänge und das Aufzeigen von Alternativen für die Arbeiterklasse. Damit stand der proletarische Film in einem direkten Bezug zur politischen Praxis der Organisationen der Arbeiterbewegung.

Im Gegensatz zur bürgerlichen, industriellen Filmproduktion entwickelte sich die proletarische Filmkultur entwickelte sich nur zögerlich. Fünf Gründe waren dafür ausschlaggebend: 1)

  1. Die politischen und kulturellen Möglichkeiten, die eine Filmproduktion boten, wurden lange unterschätzt;
  2. Dir Produktion von Filmen erforderte erhebliche finanzielle und organisatorische Aufwendungen, nicht zuletzt auch wegen der hohen Qualität der konkurrierenden bürgerlichen Filmindustrie;
  3. Die Konzentration der Kinos in den Händen großer Filmkonzerne behinderte die Verbreitungsmöglichkeit proletarischer Filme erheblich;
  4. Die staatliche Filmzensur als Mittel des politischen Kampfes behinderte die Produktionstätigkeit von Beginn an;
  5. Und nicht zuletzt schwächte der erbitterte Kampf zwischen den Arbeiterorganisationen KPD und SPD ihre organisatorischen Kräfte.
    1.  

Dazu formulierte Willi Münzenberg:

,Wie so oft sind es die Arbeiterorganisationen, die zuletzt und am zaghaftesten den Versuch wagen, diese technisch wichtige Neuerung in ihren Dienst zu stellen. Ja, die Zeit liegt noch nicht so fern, da von sozialistischen Führern, wie übrigens auch von ldeologen der bürgerlichen Gesellschaft, in allem Ernst der Vorschlag gemacht wurde, den Film grundsätzlich zu verwerfen und zu bekämpfen, weil man in den anfangs ja oft noch unzulänglichen Verfilmungen literarischer Erzeugnisse eine Gefahr der Verkitschung der künstlerischen Darbietung, eine Verflachung des Geschmacks sah sowie im Film eine Konkurrenz für das Theater fürchtete (. . . ) Erst noch dem Krieg zeigen sich innerhalb der Arbeiterbewegung schüchterne Anfänge, die darauf abzielen, den Film in den Dienst der Arbeiterpropaganda zu stellen.“

 

Erste Schritte zur Realisation dieser filmpolitischen Forderungen unternahm die IAH (Internationale Arbeiterhilfe, gegr. 1921). lm Rahmen der internationalen Hilfskampagne gegen die Hungerkatastrophe in der Sowjetunion setzte sie den Film als propagandistisches Mittel ein und begann 1922 den Aufbau eines internationalen Verleihsystems mit vorwiegend russischen Dokumentarfilmen, die die internationale Solidarität mit der Sowjetunion fördern sowie die Arbeit der IAH dokumentieren sollten.

„In Deutschland stehen wir noch ganz am Anfang einer eigenen proletarischen Filmkunst, dennes ist ungeheuer schwer, die geschlossene Front des internationalen Filmkapitals zu durchbrechen, das den deutschen Filmmarkt beherrscht. Was die proletarische Filmproduktion bisher hervorgebracht hat, zeigt eine Bilddatfel, hauptsächlich aus Bildern der ‚Prometheus-Film-Gesellschaft‘ zusammengesetzt…“ (…)


H. Lüdecke: Ein Ausstellung des Volks-Film-Verbandes. In: Film und Volk, März 1930

Mit der Gründung der ‚Maschrabpom-Russ‘ 1924 vollzog die IAH den Schritt vom Film-Verleih auch zur Film-Produktion. 1926 wurde ‚Meschrabpom‘ in eine Aktiengesellschaft umgewandelt.

Die „Meschrabpom“ fungierte vor allem als Bindegöied zwischen derSowjetunion und der internationalenArbeiterbewegung. Für die IAH stand dabei Die Bedeutung des Films als wichtiges Propagandamittel im Mittelpunkt, um „eine Bresche in den Festungswall lügenhafter Meldungen und irriger Anschauungen über die Sowjetunion zu zerschlagen“.

Die ‚Prometheus‘ wurde 1925 von Emil Unfried, Willi Münzenberg und Richar Pfeiffer gegründet. Sie aus einer Vereinigung der ‚Aufbau-Industrie und Handels AG‘ (ebenfalls eine Organisation der IAH), die seit 1922 den Weltvertrieb für sowjetische Filme hatte, mit der ‚Deka-Schatz.Kompanie‘ enstanden. Die ‚Prometheus hatte die meisten der sowjetischen Spiel- und Dokumentarfilme im Verleih und produzierte auch selbständig oder in Co-Produktion mit sowjetischen Firmen Spiel- und Dokumentarfilme. Verleihfilialen existierten in Düsseldorf, Hamburg, München , Leipzig sowie in Zürich.

Infolge ihrer politischen Produktions- und Verleihtätigkeit stand die ‚Prometheus‘ immer wieder im Mittelpunkt der politischen Auseinandersetzungen: So beispielsweise  mit dem Film ‚Panzerkreuzer Potemkin‘ und dem letzten proletarischen Film ‚Kuhle Wampe‘.

Im Januar 1932 erfolgte die endgültige Auflösung der ‚Prometheus. Kreditsperren und Filmboykotte hatten diese Siztuation herbeigeführt.

 

Verleih von Spiel- und Dokumentarfilmen:

1926

Panzerkreuzer Potemkin/Sein Mahnruf/Der Sohn der Berge

1927

lwan der Schreckliche/Die Todesbarke/Zar und Dichter/Zwischen Himmel und Erde/Der Kellner aus dem Palasthotel/Demlan Durman/Erdbeben in Armenien

1928

Zehn Tage, die die Welt erschütterten/Panzerkreuzer Potemkin/Brand in Kasan/Sturm über Asien/Der Kaukasus/Eisbrecher Krassin/Jugend im Mai

1929

Der Spion von Odessa/Der Hauptgewinn/Menschenarsenal/GeneraIIinie/Kampf ums Leben/Turksib/Landstreicher/Auf den Hund gekommen/René

1930

Wer hat Robby gesehen?/Eine gute Heirat/Das Lied vom alten Markt/Der Mann, der das Gedächtnis verlor/Panzerkreuzer Potemkin (Tonfassung)/Sehnsucht/Die kleine Schraube/Der blaue

Express/Rivalen im Weltrekord/lgdenbu, der kleine Jäger

1931

Erde/Feuertransport/Münchhausens Abenteuer/Kurs Nord/Der Zigeunerjunge/Die Affen von Suchum/Die fremde Frau/Der Weg ins Leben/Eliso


Eigene Produktionen

A) Spielfilme

1926

Überflüssige Menschen/Kladd und Datsch die Pechvögel/Mirakel der Liebe

1928

Das Mädchen aus der Fremde/Kindertragödie

1929

Jenseits der Straße/Mutter Krausens Fahrt ins Glück

1932

Kuhle Wampe (nicht von der Prometheus fertiggestellt)

B) Dokumentarfilme

1927

Mitteldeutsches Treffen des RFB in Magdeburg/Die Märzkundgebung der Mitteldeutschen Arbeiter in Merseburg/Berlin am 1.Mai 1927 /Die rote Fahne marschiert/Arbeitersport

1928

Quer durch Sowjet-Rußland/Weltstadt im Grünen/Fröhliche Pfalz/Das Dokument von Shanghai

1930

lm Schatten der Weltstadt/Stadt und Hafen Rotterdam, der Pulsschlag des Welthandels/Rotterdam, Wasserstraßen und Brücken/Holländische Reise/Rotterdam, Wunder der Technik

1931

Deutsches Leinen/Mit der Handkamera durch die Dolomiten

C) Co-Produktionen

1929

Salamander/Pamir

1927 soll ein Film ,,Liebe eines Brasilianers“ verliehen worden sein.1931 ein polnischer Film ,,Nach Sibirien“


Etwa ab Mitte der 20er Jahre begann die SPD mit einer kontinuierlichen kulturpolitischen Arbeit im Bereich des Films. Der Schwerpunkt der Arbeit lag auf der Verleihtätigkeit und die Durchführung von Filmveranstaltungen über den 1926 in Berlin gegründete »Film- und Lichtbilddienst«.

Darüber hinaus versuchte die SPD im Rahmen der ihr zur Verfügung stehenden sehr begrenzten finanziellen Mitteln auch um die Produktion eigener Filme. Sie engagierte dafür ihr nahestehende Filmemacher und kleinere Filmunternehmen, die wiederum bediente sich häufig der freiwilligen, unentgeltlichen Mitarbeit von SPD- oder Gewerkschaftsmitgliedern. So gelang es, die Produktionskosten möglichst niedrig zu halten. Überwiegend wurden Wahlkampffilme oder kürzere dokumentarische Filmstreifen produziert, die die Arbeit sozialdemokratischer oder gewerkschaftlicher Organisationen darstellten.

„Mit der Herstellung von Spielfilmen versuchte die Partei, ihre Forderung nach Schaffung »künstlerisch wertvoller« und »die sozialistische Weltanschauung vermittelnder« Filme selbst zu verwirklichen. So entstanden die Filme Die Schmiede (1924), Freies Volk (1926), Brüder (1929) und Lohnbuchhalter Kremke (1930). Gemeinsam ist ihnen allen das Bestreben, die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Arbeiter oder – bezogen auf Lohnbuchhalter Kremke – der kleinbürgerlichen Schichten unter kapitalistischen Verhältnissen darzustellen, vor allem aber die Notwendigkeit des gemeinsamen Handelns zur Durchsetzung der Interessen der Arbeiterbewegung, etwa die gewerkschaftliche Organisierung zu propagieren. (…) Korte., S. 97

Bei den meisten Spielfilmen der SPD-Produktion zeigten sich „Tendenzen einer politischen Indifferenz in der Aussage  (…)  Sie können im Grunde genommen als Spiegelbild jener politischen Handlungsunfähigkeit der SPD bezeichnet werden, die auf ihrer oben beschriebenen Fehleinschätzung der gesellschaftlichen Verhältnisse in der Weimarer Republik beruhte.

Darstellung nach Korte: a.a.O., S. 94-98 und Weimarer Republik: a.a.O., S. 493/94

 


Ausschnitt aus dem SPD-Film „Was wählst Du?“ (bei: gewerkschaften.de)

Zur Filmpraxis der SPD

Die Stellung der Arbeiterbewegung zum Film hat sich in den letzten Jahren geändert. Die Genossen der Vorkriegszeit kannten fast nur den Kulturfilm, der Spielfilm war in dieser Zeiten einem inhaltlich armen und äußerlich dummen Zustande. Erst der ,,Potemkin“, dieser große starke Revolutionsfilm, brachte den Film stärker in unsere Diskussionen hinein. Hier wurde ein Stück Klassenkampf gezeigt, und die Möglichkeit, mit dem Film für die Bewegung agitieren zu können, wurde spruchreif. Doch die praktische Arbeit mit dem Film wurde noch nicht weiter ausgebaut. Zwar waren andere proletarische Spielfilme erschienen (,,Die Schmiede“, „Freies Volk“), doch ihr Spielplatz war das Kino; die Kinobesitzer sahen in dieser Art Film ein Geschäft, und das veranlaßte sie, diese Filme zu spielen.

Mit der Zeit hat dann die Arbeiterbewegung selbst Filmveranstaltungen durchgeführt, und heute besitzen Partei und Gewerkschaften zahlreiche Einrichtungen für Filmvorführungen. Damit war gegeben, Filme selbst herzustellen und zu zeigen. Die Sozialdemokratische Partei hat eine eigene Filmzentrale eingerichtet, die sich „Film- und Lichtbilddienst, Berlin“ nennt. Bis jetzt wurde eine Anzahl Filme hergestellt, über die hier kurz gesprochen werden soll.

Der erste große und – um es vorweg zu sagen – gelungene Film der SPD, für Presseausstellung in Köln bestimmt, ist: „lm Anfang war das Wort“. Die Entwicklung der Sozialdemokratie und ihrer Presse in 80 Jahren wird hier gezeigt. Max Barthel schrieb das Manuskript, knapp, sachlich, sich nicht ins Kleine verlierend. Die Regie führte Ernö Metzner, der dem Film Tempo gab und glücklich im Schnitt arbeitete. Ihn unterstützte E. v. Borsody. Die kurzen Spielszenen wurden von Schauspielern gestaltet, unter denen Fritz Kortner als ausgewiesener Arbeiter am stärksten wirkt.

,,Freie Fahrt“. Diesen Titel führt der zweite Großfilm der SPD. Er ist im Umfang größer, doch nicht so schön wie der erstere. Was bei diesem so imponierte, war das Tempo, das Knappe, Sachliche. ,“Freie Fahrt“ verliert sich zu viel in kleine Episoden, die selbst der Titel nicht zusammenfassen kann. Ein Großfilm bekommt Wirkungskraft durch geschickten Aufbau, durch Verblüffendes, Unerwartetes; wo sich der Film einer Spielhandlung bemächtigt, müssen die Begebenheiten sich nacheinander innerlich aufbauen. In diesem Film spielen: Alexander Granach, Sybille Schmitz, lmre Roday, Eva Schmidt-Kaiser. Ohne Zweifel sind das alles gute Kräfte, doch können sie sich durch den Aufbau des Filmes nicht ausspielen. Regie führte originell und reich an Einfällen Ernö Metzner, für die saubere Photographie zeichnet wieder E. v. Borsody.

Den ersten großen Spielfilm, den der Fiuli (Film- und Lichtbilddienst) in Verleih genommen hat, heißt: „Brüder“. Er baut sich auf authentischem Material auf und schildert eine Episode aus dem Hafenarbeiterstreik 1896/97. Die Zensurenkarte des Filmes (der für Jugendliche freigegeben ist) vermerkt: Dieser Bildstreifen ist ein Versuch, mit einfachen Mitteln einen deutschen proletarischen Film zu schaffen. Die Darsteller sind Hafenarbeiter und Arbeiterfrauen, Kinder und andere Menschen aus dem Volke. Alle Mitwirkenden standen zum ersten Male vor der Filmkamera. – Dieser Versuch ist geglückt. Die Kamera hat so herrlich Köpfe und Gestalten ausgehungerter Hafenarbeiter, leidender Frauen und ängstlicher Kinder eingefangen! Selbst die gespielten Rollen der Schutzleute, Unternehmer und Werkführer sind so gut durchgearbeitet, daß sie die Grausamkeit der herrschenden Klasse wirklich demonstrieren. Die Regie führte Werner Hochbaum, an der Kamera stand Gustav Berger. Beide haben eine saubere Arbeit geliefert.

Neben diesen drei Hauptfilmen gibt es im Fiuli noch Filme von Tagungen und Treffen der sozialistischen Arbeiterbewegung: Kinderfreunderepublik Seekamp (Zeltlager der Kinderfreunde), Rote Falken (gleichfalls ein Kinderfreunde-Zeltlagerfilm). Rote Jugend auf roter Erde (Jugendtag der SAJ in Dortmund), Wiener Jugendtag, dann Filme vom Parteitag in Magdeburg und von der Feier der Berliner Arbeiterschaft zum 50jährigen „Jubiläum“ des Sozialistengesetzes. Der filmisch beste dieser Produktion ist der Film „Rote Falken“.


Kulturwille, Jg. 1930, Heft 7/8, S. 132 (zitiert nach: Weimarer Republik: a.a.O., S: 493

  • Bock, Hans-Michael (1982): „Brüder zum Licht!“. Kino, Film und Arbeiterbewegung. In: S. 297-316
  • Korte, Helmut (Hrsg.) (1978) : Film und Realität in der Weimarer Republik
  • Korte, Helmut:
  • Leonard, Yvonne (1977): Die doppelte Illusion. Der proletarische Film zwischen Traumfabrik und Wirklichkeit. In: S. 525-543
  • Münzenberg, Willi (1925): Erobert den Film. In: Propaganda als Waffe
  • Stoss, Toni (1977): Erobert den Film! Oder „Prometheus“ gegen „UFA“ & Co. Zur Geschichte des proletarischen Films in der Weimarer Republik. In: S. 482-524
  • Der Film in der Weimarer Republik (1977). In:

 

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