Primanerinnen (1951)

Inhalt

Die Schüler Ursula und Thomas verlieben sich und verbringen einen romantischen Sommer miteinander. Dann verlässt Thomas die Stadt, um zu studieren. Er verspricht, bald wiederzukommen, und Ursula wartet auf ihn. Als Thomas nach Jahren wieder in die Stadt seiner Jugend kommt, besucht er Ursula, die nun erkennt, dass ihr Wiedersehen nur zufällig ist. Und als Thomas wieder seines Weges geht, erkennt er, dass Ursula seine große Liebe war.

Regie: Rolf Thiele.
Buch: Rolf Thiele; nach der Novelle „Ursula“ von Klaus Erich Boerner.
Kamera: Georg Krause.
Bauten : Walter Haag; Assistenz : P. H. Koester.
Schnitt: Caspar van den Berg; Assistenz: Erwin
Marno.
Ton: Ernst Otto Hoppe; Assistenz: Werner Schlagge.
Musik: Hans Martin Majewski.

DarstellerInnen :

lngid Andree (Ursula),
Walter Giller (Thomas),
Christiane Jansen (Regine),
Jochen Wolfgang Meyn (Hans Rühle),
Gudrun Rabente (Veronika),
Beate Koepnick (Brigitte),
Ina Baumbach (Grete),
Hans Zesch-Ballot (Ursulas Vater),
Erich Ponto (Krautkopf),
Harald Paulsen (Unternehmer),
Ernst Waldow (Amtsrichter Birkenfeld),
Alfred Braun (Herr Lullus),
Leonore Esdar (Studienrätin),
Rose Kipper (Therese).

Produktion : Filmaufbau GmbH, Göttingen.
Produzent: Hans Abich, Rolf Thiele.
ProduktionsIeitung: Hans Abich.
Aufnahmeleitung: Willi Rother, Heinz Götze.
Drehort: Atelier Gottingen, Behelfsatelier
Hersleld;
Außenaufiuhmenr Hersfeld und Umgebung.
Länge: 95 min, 2606 m
Format: 35 mm, s/w, I : L33.
Uraufführung: 30.11.1951, Hannover (Weltspiele).

„Die widerstreitenden Auffassungen sämtlicher Beteiligter‘ kreisen (unausgesprochen) um dasselbe Problem: Inwieweit bildet ein Film, zumal einer, der mit seinem Titel entsprechende Erwartungen provoziert, Realität ab? Über die Frage, ob er dies kann, herrscht stillschweigende Einigkeit, an dem Problem, ob er dies tut und tun will, scheiden sich die Geister.“ (S. Fuhrmann)

 

Ingrid Andree
(Foto: Filminstitut Hannover)

„Ursula“ und die PRIMANERINNEN

Die Geschichte der „Ursula“, die als Stoffvorlage für den Film dient, hat Klaus E. Boerner Mitte der dreißiger Jahre geschrieben und darin – nur wenig getarnt – Erinnerungen an die eigene Schulzeit und die erste Liebe in Bad Hersfeld verarbeitet. Während des Krieges erreichte die Novelle als Feldpostausgabe eine Auflagen von mehr als 400.000. 1949 tritt Otto Ensslin, Kaufmann und Student der Wirtschaftswissenschaften in Göttingen, an die Filmaufbau heran mit dem Vorschlag, die beliebte Erzählung des bei Stalingrad gefallenen Boerner zu verfilmen. Die bitter-süße Liebesgeschichte, die mit dem Selbstmord der unglücklich liebenden Ursula endet findet wohl nicht sofort die begeisterte Zustimmung der Produzenten Hans Abich und Rof Thiele. Jedenfalls dauert es fast zwei Jahre, bis sie sich zurRealisierung des Stoffes entschließen, und Abich kommentiert diese Entscheidung später mit der vielsagenden Feststellung, daß sich „schlechte literatur immer noch leichter verfilmen läßt als gute. Und außerdem gibt es ja kaum gute.“(4) Thiele verfaßt das Drehbuch und bemüht sich von Anfang an um die „Trockenlegung der tränenreichen Novelle“. (5)

Erzählt wird die Geschichte einer Jugendliebe: Thomas und Ursula verleben gemeinsam einen glücklichen Sommer im kleinstädtischen Bad Hersfeld. Als Ursulas Vater (6) beschließt, die Verwaltung eines weit entfernt liegenden Gutes zu übernehmen, bedeutet dies die Trennung für Thomas und Ursula. Sie schwören sich ewige Liebe und Treue – auch über die Entfernung hinweg. Aber als Thomas nach dem Abitur zum Studium nach Hamburg geht, ist Ursula bald vergessen. Er hat Regine wiedergetroffen, die ein Jahr vor ihm ihr Abitur gemacht hatte und zunächst zum Studium nach Frankfurt gegangen war. Mit der Entdeckung, daß sie in Zukunft beide in Hamburg leben und studieren werden, beginnt ihre Liebesbeziehung. Nach zwei Jahren kehrt Thomas nach Hersfeld zurück. Ein Zufall hat ihn hergeführt, und als er erfährt, daß Ursula wieder in der Nähe der Kleinstadt lebt, besucht er sie. Für Ursula bedeutet dieses Wiedersehen zunächst die Einlösung des einmal gegebenen Treue-Versprechens. Sie hat während der zurückliegenden Zeit nur auf Thomas gewartet, muß aber bald erkennen, daß er sie und ihre Liebe längst vergessen hat und sie seinen Besuch nur einer Autopanne verdankt. Sie ist enttäuscht, weist ihn zuück, als er plötzlich entdeckt, „was für ein Narr“ er doch gewesen ist. Der Film endet ungewiß: Thomas reist ab, Ursula bleibt weinend zurück. Es wird nicht ganz deutlich, ob diese Trennung endgültig ist oder ob Thomas zurückkehren wird, wenn er „alles klar gemacht hat mit Regine“.

Otto Ensslin, der mit dem „Ursula“-Film die Absicht verfolgt hat, „eine Kriegsjugend für den Frieden sprechen zu lassen“ (7), zeigt sich wenig angetan von Thieles „Modernisierung“ der Boernerschen Novelle, die nicht nur im veränderten Schluß deutlich wird. Sein Kommentar zum Film: „Amerikanisierter Blödsinn!“ (8) Auch die einstige Braut und Erbin Boerners, die der Filmaufbau die Film-Rechte für „Ursula“ auf Vermittlung Ensslins hin im Frühjahr 1951 verkauft hat, geht bald auf Distanz zu der Arbeit der Produzenten. (9)


Auszug aus: Susanne Fuhrmann: „Der Traum aller jungen Mädchen“. Filmstar-Suche 1951 – Der Film  PRIMANERINNEN und sein Publikum. In: Lichtspielträume. Kino in Hannover 1896-1991, hrsg. von der Gesellschaft für Filmstudien, Hannover 1991, S. 71-85 (Anmerkungen siehe in diesem Text)

Finanzierung und Auswahl des Regisseurs

Der Filmaufbau GmbH gelang es während der gesamten Bürgschaftsphase, jede ihrer Produktionen auf diesem Wege finanziell abzusichern. Der erste Film, dessen Finanzierung so ermöglicht wurde, war Rolf Thieles Regie-Debüt PRIMANERINNEN nach der Novelle „Ursula“ von Klaus E. Boerner.

Bei der Wahl dieser Literaturvortage, die während des Krieges als Feldpostausgabe eine Auflage von mehr als 4000.000 Stück erreichte, versuchten die Produzenten deutlicher als bisher, den zeitgenössischen Publikumsgeschmack zu treffen. Hans Abich kommentierte die Stoffentscheidung mit der vielsagenden Feststellung, daß sich „schlechte Literatur immer noch leichter verfilmen läßt als gute. Und außerdem gibt es ja kaum gute.“ (20)

Für die Regie hatte man zunächst Erich EngeI verpflichtet, kam aber bald zu dem Schluß, daß Regisseur und Produzenten “sehr unterschiedliche Auffassungen von der Stoffdurchführung und Gestaltung entwickelt“ hatten (21). Man trennte sich und nahm, “in beiderseitigem Einvernehmen“ in Aussicht, daß Engel der Filmaufbau GmbH „bei einem späteren Filmvorhaben zur Verfügung“ stehen sollte.“ (22) Alfred Braun, der anschließend als Regisseur engagiert worden war, leitete nur die Probeaufnahmen zu PRIMANERINNEN, danach übernahm Rolf Thiele selbst die Regie. (23)


Auszug aus: Susanne Fuhrmann: Zur Geschichte der Filmaufbau GmbH Göttingen. In: Katalog zur Ausstellung „Wir Wunderkinder. 100 Jahre Filmproduktion in Niedersachsen“ Hannover 1995, S. 49-64 (Anmerkungen siehe in diesem Text)


Dreharbeiten in Bad Hersfeld

Zwei Wochen später [im August 1951] können endlich die Dreharbeiten in Bad Hersfeld beginnen. Eigentlich sollen nach der ursprünglichen Planung um diese Zeit bereits alle Aufnahmen „im Kasten“ sein. Aber nicht nur die „Ursula“-Suche hat zu Verzögerungen geführt, sondern es hat auch einige Unstimmigkeiten gegeben zwischen dem zunächst vorgesehenen Regisseur Erich Engel und den Göttinger Produzenten über die Behandlung des Stoffes. (15) Nach Engels Rüc

ktritt von dem Projekt verpflichtet man Alfred Braun, der auch noch die Probeaufnahmen im Juli leitet. Nach den ersten Drehtagen übernimmt dann Drehbuchautor Thiele selbst die Regie. Alfred Braun ist aber während der gesamten Drehzeit anwesend. (16) Probleme hat es zudem mit dem Ankündigungstitel „Die Primanerin“ (später geändert in PRIMANERINNEN) gegeben, den der Verleih, die Deutsche London Film, nach Rücksprache mit „maßgeblichen Theaterbesitzern“ als den „weitaus zugkräftigeren“ favorisiert, während  die Produzenten den Buchtitel „Ursula“ für geeigneter halten. (17)


Auszug aus: Susanne Fuhrmann: „Der Traum aller jungen Mädchen“. Filmstar-Suche 1951 – Der Film  PRIMANERINNEN und sein Publikum. In: Lichtspielträume. Kino in Hannover 1896-1991, hrsg. von der Gesellschaft für Filmstudien, Hannover 1991, S. 71-85 (Anmerkungen siehe in diesem Text)

 


„Der Traum aller jungen Mädchen“

Filmstar-Suche 1951 – Der Film PRIMANERINNEN  und sein Publikum

Am 30. November 1951, 1815 Uhr: festliche Uraufführung in den Weltspielen, Hannovers wichtigstem Premierentheater. Gezeigt wird der vierte Film der Göttinger Filmaufbau GmbH: PRIMANERINNEN nach der Novelle „Ursula“ von Klaus Erich Boerner.

Neben dem Komponisten der Filmmusik, Hans Martin Majewski, und den Hauptdarstellern Ingrid Andree, Walter Giller, Christiane Jansen und Jochen Wolfgang Meyn ist auch Rolf Thiele anwesend. Der Initiator und Mitbegründer der Filmaufbau GmbH gibt mit PRIMANERINNEN sein Debüt als Drehbuchautor und Regisseur. (1) Im Winter 1951/52 ist dieser Film eine Art „Kino-Ereignis“. Der „Film der Jugend“ (Werbetext) wird von „seinem Publikum“ heftig diskutiert. Fast überall, wo er anläuft, beschäftigt sich die lokale und regionale Presse mit dem „Streitobjekt PRIMANERINNEN“. (2)

Doch schon vor dem Kino-Start, genau genommen bereits vor Beginn der Dreharbeiten sorgt der Film für einigen Wirbel. In wochenlangen Suchaktionen mit großem Medieneinsatz fahnden die Produzenten nach der weiblichen Hauptdarstellerin, einer „jungen Dame, die von Haus aus wahrscheinlich nicht die Absicht hatte, Schauspielerin zu werden“. (3)

Über 1500 Bewerbungen gehen innerhalb von drei Monaten bei der Filmaufbau ein – doch die Hauptrolle übernimmt schließlich keine filmunerfahrene „Primanerin von heute „, sondern die hamburger Nachwuchsschauspielerin Ingrid Andree, die gerade ihr erstes Engagement am Thalia-Theater erhalten und als Statistin auch schon vor der Kamera gestanden hat (in dem Rolf Meyer-Film PROFESSOR NACHTFALTER der Junge Film-Union. Hamburg – allerdings unter ihrem bürgerlichen Namen Ingrid Unverhau).


Mehr zur Filmstarsuche 1951: Susanne Fuhrmann: „Der Traum aller jungen Mädchen“. Filmstar-Suche 1951 – Der Film  PRIMANERINNEN und sein Publikum. In: Lichtspielträume. Kino in Hannover 1896-1991, hrsg. von der Gesellschaft für Filmstudien, Hannover 1991, S. 71-85 (Anmerkungen siehe in diesem Text)

 

(…) Der Film PRIMANERINNEN wirbelt schon bald nach der hannovers

chen Uraufführung viel Staub auf – und der Titel ist einer der wichtigsten Auslöser für die heftigen Wortgefechte, die vor allem zwischen jugendlichem Publikum und „professionellen“ Filmkritikern der älteren Generation geführt werden. Ein weiterer Stein des Anstoßes: Die Sexualität nimmt nach Auffassung vieler Kinozuschauer/innen zu großen Raum ein in den Gesprächen und Begegnungen zwischen Thomas und Ursula; vor allem eine mondbeschienene Badeszene am See und Ursulas transparentes Nachthemd, das sie bei einem Besuch in Thomas Schlafzimmer trägt, mißfallen.

Während die Kritiker, unterstützt von einigen Leserbriefschreibern, den Film als realitätsnah und modern loben und glauben, daß er „das Wesen junger Menschen glaubhaft widerspiegelt“ (18), schwankt die Jugend beiderlei Geschlechts zwischen Skepsis und heftiger Ablehnung, wobei sie sich besonders wehrt „dagegen, daß von einer Gruppe gewissenloser, oberflächlicher Menschen ein schlechtes Bild von der deutschen Jugend in der Welt veröffentlicht wird“. (19)

Die positive Aufnahme, die der Film bei vielen Kritikern findet resultiert vermutlich aus der Tatsache, daß es ihm gelungen sei. „Eros und Jugend aus der Erinnerungsrückblende des Erwachsenen (zu deuten)“, wie ein Rezensent treffend feststellt. (20) Aber nur wenige seiner Kollegen sind sich bewußt, daß sie in nostalgisch-verklärten Jugenderinnerungen schwelgen, wenn sie „ein Primanerdeutsch“ zu erkennen glauben, „das fast in jedem Ton ‚richtig‘ ist“, was – so die Annahme – „die gleichaltrige Jugend von heute (wird) bestätigen können“. (21)

Es gibt die etwas süffisante Feststellung, daß bei diesem Film hauptsächlich „der erwachsene Zuschauer auf seine Kosten (kommt). Dem an einem pikanten Liebesfilm gelegen ist“ (22), wohingegen andere glauben, daß er die Generationen verbindet (was sich schnell als Trugschluß herausstellt), denn „man fühlt das Zeitlose in ihm“. In einer Mischung aus Selbsterkenntnis und Verständnis kommt man zu der versöhnlich gemeinten Einsicht: „Wir kamen uns vor dreißig Jahren ebenso wichtig und ebenso verraten vor wie unsere Töchter und Söhne. Der Film trifft auch dieses Gemeinsame im Denken und Fühlen wie in der Erfahrung recht gut …“. (23) Gerade diese „Zeitlosigkeit“ bestreitet ein Leserbrief, dessen Verfasser feststellt: „Primanerinnen von heute sind gar nicht gemeint, und der Film hätte gut daran getan, auf das Zeigen modern an- und ausgezogener Mädchen zu verzichten“. (24) Die Schwierigkeiten, die auftauchen, wenn man eine literarische Vorlage aus den dreißiger Jahren in die fünfziger Jahre „transponiert“, bringt ein Rezensent auf die einfache Formel: „Die netten jungen Menschen sind von heute, ihr Verhalten scheint von gestern zu sein, ihre Redeweise von vorgestern“. (25)

Im übrigen sind sich – mit Ausnahme einiger „lokalpatriotisch“ motivierter Stimmen – alle darin einig, daß die Novelle von Boerner zur „zweitklassigen“ Literatur (26) gehört, und viele loben Thiele dafür, daß es ihm gelungen sei, „manches zu sentimental Geratene über Bord zu werfen“. (27) Es gibt – bei Literaturverfilmungen eher eine Seltenheit – kaum Einwände dagegen, daß der Film von seiner Vorlage abweicht. Nüchtern stellt man fest: „PRIMANERINNEN hat mit ‚Ursula‘ nicht mehr viel zu tun“. (28)

Diejenigen, die die Verlegung der Handlung um 15 Jahre für gelungen halten, empfinden Inszenierung und Darsteller des Films als „moderner, unbekümmerter, frischer“ im Vergleich zur Novelle. (29) Wohlwollend wird registriert, daß Thiele „alle schwülstigen Herzenstiraden ausgemerzt“ (!) hat (30) und es in dem Film weder „Leichen noch Rührseligkeiten“ gibt. (31) Nicht repräsentativ, aber sehr bemerkenswert sind die Äußerungen zweier Zeitungsleser (und Kinobesucher), die den „Tatsachenfilm“ PRIMANERINNEN als „Aufklärungsfilm … empfehlen“ und als „Beispiel, wie man es nicht machen soll“. (32) Während einerseits gelobt wird, daß der Film es „vermeidet …. an Konflikten vorbeizusehen, an denen das Leben überreich ist“ (33), kritisieren andere, daß er „am Entscheidenden, an der Wahrheit ängstlich vorbei(geht)‘, und es dem Regisseur offensichtlich „zu gewagt, zu gewaltig“ erschien, „die wirkliche sexuelle Not der heutigen Jugend“ zu diskutieren, „die in den Statistiken zur Genüge bewiesen“ ist. (34)

Ebenso interessant wie die mehr oder weniger reflektierten Äußerungen der Kritiker erscheinen die Urteile und Diskussionen der „Betroffenen“. Den Auftakt zur wochenlangen PRIMANERINNEN-Debatte geben zwei „offene Briefe“, die Hersfelder Schülerinnen und Schüler in der ortsansässigen „Volkszeitung“ veröffentlichen und in denen sie „nachdrücklich“ betonen, daß „wir uns mit den Schülertypen dieses Films… nicht identifizieren“ und der „Titel PRIMANERINNEN (als) beleidigend“ abgelehnt wird. Kritikpunkte sind vor allem die „plumpe Sinnlichkeit“, die unvereinbare „Triebhaftigkeit auf der einen und die Schüchternheit auf der anderen Seite“, und die „routinierte Art, mit der diese jungen Menschen umgehen“. Fazit: „Eine solche Menge von pubertätsgeladenem Getue, von Romantik und sexuellem Raffinement ist nicht nur unwahrscheinlich, sondern in Bezug auf den heutigen Primaner auch falsch, besonders nach den letzten Jahren.“ (35) Der große Gegensatz zwischen eigenem Lebensalltag und der Welt der „Film-Primanerinnen“ entrüstet viele: „… und so verschone man uns bitte, uns, die wir von Krieg und Nachkrieg am eigenen Leib und in unserem Umkreis genug erfahren haben, mit künstlerischem Weltschmerz, bei dem eine Träne ins Glas rollt und den ‚Bürger-oder-Mensch‘-Problemen aus der Mottenkiste, die wir aus dem Mund dieses Thomas vernehmen, wie ein altmodisches deutsches Etikett auf einer amerikanischen Konservenbüchse“. (36) Viele Äußerungen lassen den Ärger und die Enttäuschung darüber erkennen, daß der Film mit dem vielversprechenden Titel, in dem – wie eine Primanerin ihre Erwartung formuliert – „wir doch dargestellt werden sollen, in unserer Lebenswirklichkeit, mit all unseren Sorgen, Nöten und Problemen, mit unseren Schicksalen“ (37), nur einen „gleichbleibenden Höhenflug der Gefühle“ (38) thematisiert. Der Alltag der Schüler/innen, die „in der Mehrzahl zäh und intensiv arbeiten“ und „wenig Zeit (haben) für Geburtstagskaffees, Kahnfahrten und Tennisspielen (39),, sieht anders aus als die „Filmwelt“.

Darüber hinaus äußern viele die Sorge, daß „das typische Ressentiment der Öffentlichkeit gegen unsere Arbeit, die nicht als Arbeit bewertet wird, … dadurch neue Nahrung“ bekäme. (40) Diejenigen, die genauer hinsehen, beurteilen „das Milieu, in dem dieser Film spielt“, nicht als das „einer modernen Schule, sondern (als das einer) im Jahre 1930“, während die Hauptpersonen „auch in der Gegenwart vorstellbar“ sind. (41) Alle sind sich darin einig, daß der Film „allzuviel gefühlige Atmosphären“ (42) besitzt und „die Liebe zwischen Ursula und Thomas … zu sehr idealisiert“ (43) wird. Auch die im Film gezeigten Lebensverhältnisse sind solche, „die man heute als ideal bezeichnen würde“. (44) „Wer hat denn heute noch so viel?„, wird gefragt. (45)

Auf einer der zahlreichen Diskussionsveranstaltungen, die der Verleih in Zusammenarbeit mit Kinobesitzern und der Presse organisiert, wird resümiert: „Von einer halbwegs realistischen, aktuellen Situationsschilderung kann in dem Film … kaum gesprochen werden. Es haftet ihm vieles von den Jugendträumen und -wünschen älterer Generationen an. Eben diese werden sich hier wiederfinden, und damit haben die Filmhersteller wohl in erster Linie gerechnet“ (46) – gut gefolgert übrigens, schließlich wirbt der Verleih nicht nur für den „Film der Jugend“, sondern auch für den „Film für alle, die im Herzen jung geblieben sind“.

Die widerstreitenden Auffassungen sämtlicher Beteiligter‘ kreisen (unausgesprochen) um dasselbe Problem: Inwieweit bildet ein Film, zumal einer, der mit seinem Titel entsprechende Erwartungen provoziert, Realität ab? Über die Frage, ob er dies kann, herrscht stillschweigende Einigkeit, an dem Problem, ob er dies tut und tun will, scheiden sich die Geister. Während die Jugendlichen – bis auf wenige Ausnahmen – im Grunde davon ausgehen, daß „Autor und Regisseur dieses Streifens den Anspruch erheben, die Probleme der reifenden und studierenden Jugend gewissermaßen allgemeinverbindlich und -gültig behandelt und filmisch ausgewertet zu haben“ (47), begreift zumindest ein Teil der (erwachsenen) Kritiker das „Streitobjekt“ als „nichts anderes als die hübsche Romanze eines Sommers, mit Wehmut und Fragezeichen am Schluß.“ (48)


Auszug aus: Susanne Fuhrmann: „Der Traum aller jungen Mädchen“. Filmstar-Suche 1951 – Der Film  PRIMANERINNEN und sein Publikum. In: Lichtspielträume. Kino in Hannover 1896-1991, hrsg. von der Gesellschaft für Filmstudien, Hannover 1991, S. 71-85 (Anmerkungen siehe in diesem Text)

Dem Spiegel war dieser Film neben einer ausführlichen Filmbesprechung  das Titelbild der Ausgabe 40/1951 wert. Das Portrait der Hauptdarstellerin Ingrid Andree wird darin mit „ETWAS ZU SINNLICHE UNTERLIPPE“ untertitelt.

Der „Film der jungen Herzen“, wie er vom Verleih angekündigt wird, sorgt speziell beim jugendlichen Publikum für Diskussionsstoff. Viele empfinden einige Szenen als zu anzüglich und zu wenig realistisch, als dass sie sich darin wiederfinden könnten. Von der Kritik wird der Film dagegen überwiegend positiv aufgenommen. Siehe zu dieser Diskussion nebenstehend das „Streitobjekt PRIMANERINNEN“

Ein seltsamer Drang

Kaum hatte der Göttinger Filmaufbau die Außenaufnahmen seines neuen Films »Primanerinnen« in Bad Hersfeld beendet, da hatte Kinobesitzer Goerke den Streifen auch schon ungesehen für die Welturaufführung in seinem Hersfelder Roxy-Palast gebucht. Ein wochenlanges Geschäft scheint ihm trotzdem sicher, denn:

»Primanerinnen« ist ein Hersfelder Stoff, die Verfilmung der Novelle »Ursula“*), die der einstige Hersfelder Primaner Klaus Erich Boerner vor fünfzehn Jahren schrieb und die seitdem in Hersfeld (und nicht nur dort) zum literarischen eisernen Bestand gehört. > weiter


In der selbe Ausgabe 40/1951 erscheint neben der Filmbesprechung auch ein auszug aus dem Drehbuch zum Film: … und wir sind doch noch so jung

Was für dumme Gedanken Du hast. Ich werde Dich immer lieben …

– Einsteigen bitte –

Am 6.12.1951 urteilt ‚Die Zeit‘ über den Film:

„Der Autor des Drehbuchs Rolf Thiele hat allen unzuträglichen Ballast der Erzählung entschlossen beiseite geschoben und daraus eine moderne Geschichte einer ersten Liebe gemacht.“

Am 24.01 1952 war der Film für den Zeit-Autoren  dann „Sündiger als die ‚Sünderin‘“

„Daß diese Primanerinnen“ keine Primanerinnen sind, stellten zuerst die Primaner aus Bad Hersfeld fest. Die Figuren dieses Films – so etwas schrieben sie an den Drehbuchautor des Films Rolf Thiele – seien Schemen, beladen mit Komplexen, die nach des Filmautors Meinung Sechzehn- und Achtzehnjährige nun einmal zukommen. Es seien romantisierende Schnodderer, denen der Mut zur Romantik fehle.“

Als Statisten wirkten sie gern mit, die Primaner und Primanerinnen rund um Göttingens Tore. Nach der Uraufführung hagelten ihre Proteste. Zunächst ertönte der Schrei von der weiblichen, dann von der jungmännlichen Seite gegen das schiefe Bild der ins Bild Gestellten. Viel Lärm um eine junge Liebe, möchte man dazu sagen, Explosivstoff, der nicht zündete, weil man den

PRIMANERINNEN nur einen falschen Titel gab. Typisch für diesen Schuljahrgang ist dieser Film so wenig, wie es das Mädchen Ursula in der Novelle von Boerner, die diesen Film inspirierte, für ihre Generation war. So bleibt von dem ganzen

Streitobjekt nichts anderes als die hübsche Romanze eines Sommers, mit Wehmut und Fragezeichen am Schluß. Amüsant ist zuweilen der schnoddrige, mit jugendlicher Tiefenpsychologie gespickte Dialog. Beachtlich ist das Aufgebot an Nachwuchskräften, die ins Kreuzfeuer der Scheinwerfer und der Kritik gestellt wurden. Indgrid Andree, zwischen spröder Verhaltenheit und träumerischer Anmut sich behauptend; Christiane Jansen, sehr selbstbewußt und mit bewußtem Sex-Appeal; Walter Giller, ausgesprochen elegant gekleidet und nicht minder elegant zwischen seinen Herzensextremen hin und her pendelnd; (…)

Rolf Thiele vermied als Regisseur und Autor jedwede Rührseligkeit, vergaß aber zu erklären, daß Eros und Jugend aus der Erinnerungsrückblende des Erwachsenen gedeutet werden.

Es bleibt wohl bestehen, daß dieser Film nicht typisch das Leben der heutigen Primaner widergespiegelt hat. … Und der Protest? Und die flammende Empörung? Richtete sich nicht all das gegen den leidigen Titel des Films? Sicherlich wollte man nicht gern irgendeinen Fall aus dem Gros der deutschen Schuljugend verallgemeinert sehen. So wird es schon sein, denn die Leutchen von der Filmaufbau Göttingen sind bestimmt nicht mit dem Vorsatz ans Werk gegangen, hier mit erhobenem Zeigefinger ein denkwürdiges Mahnmal für die Situation der heutigen Jugend zu errichten. Es sollte ganz einfach ein netter Unterhaltungsfilm mit einem guten Schuß Romantik werden. … Hier sollte kein Problem gewälzt und kein Übel an der Wurzel gepackt werden. Aber… es könnte nicht schaden. sich einmal an eine derartige Aufgabe heranzumachen. Wirklich einmal von berufener Seite ein brennendes Problem unserer Jugend aufzurollen. Tatsachen, die einer einsehenden Beleuchtung bedürfen.


Wolfgang Artz: Primanerinnen – auf Zelluloid und im Leben, Neue Jugend. Internationale Zeitschrift für Völkerverständigun-e ( Duisburg). Juni/Juli 1952 (zitiert nach: Susanne Fuhrmann: „Der Traum aller jungen Mädchen“. Filmstar-Suche 1951 – Der Film  PRIMANERINNEN und sein Publikum. In: Lichtspirlträume. Kino in Hannover 1896-1991, hrsg. von der Gesellschaft für Filmstudien, Hannover 1991, S. 71-85 

 

In der filmgeschichtlichen Literatur findet der Film, trotz seiner offensichtlichen Bedeutung in der zeitgenössichenen Diskussion, kaum eine Erwähnung.

 

„Das Regiedebut von Rolf Thiele, weltfremd und altmodisch und ungeheuer harmlos“. Das reicht für Bandmann/Hembus 1980, um den Film zu charkterisieren.

Und der filmdienst urteilt:

„Das unterhaltsame Regiedebüt von Rolf Thiele ist frisch inszeniert und gespielt, wobei der Film freilich einen für Thiele fast schon programmatischen Zwiespalt offenbart: einerseits ist er als bloßer Unterhaltungsfilm fast schon zu problemorientiert, als Problemfilm, der die Herzensnöte junger Menschen beschreiben und vermitteln will, läßt er es es deutlich an Tiefe mangeln.“

 

(…)
Viel Anfang ist mit dem Film verbunden, wenig Neues wird gewagt und manches Missverständnis tut sich wichtig. (…)

Die literarische Vorlage war die Erzählung „Ursula“ von Klaus Erich Boerner; das Buch war bereits 1936 erschienen und hatte sich in den Kriegsjahren zu einem Bestseller entwickelt. Taufrisch war der Stoff also nicht und auch über die Jugend erfährt man rein gar nichts. An die Adoleszenz-Krise, die Walter Giller in die schwammige Frage fasst, „ob man Bürger sein will oder Mensch“, erinnert sich Ursulas Vater mit den gleichen Worten. Diese Frage haben sich doch alle schon mal gestellt – hatte es in der Vergangenheit keine größere Sinnkrise gegeben?
Es geht auch nicht um „Primanerinnen“, sondern um einen Jugendlichen, der sich nicht zwischen zwei Mädchen entscheiden kann. Chorgesang und Tradition bremsen jeden Ansatz zur Moderne aus; die Anspielungen auf die Gegenwart –in einer Schulstunde wird der Film „Die Sünderin“ diskutiert –wirken wie nachgeschoben. Der Kameramann Georg Krause nimmt nachtschwarze Bilder auf, die einen „Film noir“ alle Ehre machen könnten. Aber Thiele kann mit ihnen nichts anfangen. Interessant sind die Innenräume; die Bürgerstuben sind so vollgestellt als wolle man mit der Menge an Möbeln jeden Freiraum ersticken. Seltsam, dass niemand aus dieser Enge ausbrechen will. Nur Regine, Thomas Freundin, huscht als junge selbständige Frau wie ein Fremdkörper durch die Handlung. Auffällig ist die Abwesenheit von Familie. Ursula wohnt mit ihrem Vater zusammen; im Wohnzimmer beherrscht das Bild der verstorbenen Mutter den Raum. Thomas und sein Freund Hans sind völlig ohne Familie.
Selbst bei den Kostümen – kurze Hosen und Nachkriegsanzug, todschickes Kostüm und biedere Kleidchen –herrscht eine groteske Konfusion an Stilrichtungen. Alles sieht aus wie Gegenwart, sagt aber nichts über sie aus. Es ist, als ob der Film  sich einfach wegduckt. Oder, um es positiv zu sagen: das ist wirklich interessant misslungen.

Im Jahr der „Sünderin“ stand jeder deutsche Film, der das Verhältnis zwischen den Geschlechtern thematisierte, im Verdacht der Unsittlichkeit. Die Primaner  aus Bad Hersfeld protestierten gegen die Vermengung von „pubertätsgeladenem Getue, von Romantik und sexuellem Raffinement“ –oha! Die katholische Filmkritik, sonst immer als erste mit der Moralkeule in der Hand, war diesmal verständig. „Ein Film, der Halbheiten und Kompromisse in der Liebe ablehnt. Deshalb auch für reifere Jugend geeignet.“  Das sahen die evangelischen Moralisten aber ganz anders. Überall lauerte doch der Teufel der Unsittlichkeit: „Wir halten diesen Film für gefährlich und geeignet, unserer Jugend eine völlig falsche Vorstellung über das Verhältnis der Geschlechter zu geben.“  Trotzdem war der Film nur ein Achtungserfolg.

new Filmkritik, 20.05.2013

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