Mosaik einer Stadt (1960)

Inhalt

Im Gegensatz zu den nahezu jährlich seit 1949/50 von Heinz Koberg gedrehten „Aufbaufilmen“ zeigt der künstlerisch ambitionierte Film nicht den gegenüber dem jeweiligen Vorjahr erzielten Fortschritt, sondern versucht einen Gesamtüberblick über den Wiederaufbau in Hannover, der auch die Schwierigkeiten und Diskussionen berücksichtigt.

Zu Beginn wird ein Auszug aus einem Brief des Jahres 1945 über den Bildern des zerstörten Hannover eingeblendet, der einen Eindruck vom Schrecken des Bombenkrieges vermittelt („ Wir schleppen uns zwischen den Menschen und ihrer Habe hindurch. Feuerfunken fliegen um unserer Köpfe, wir ziehen durch flammende Straßen, der Schrei der Verbrennenden hallt in unser Ohr. Und nie wird es vergessen, nie!“). Mittels eines fiktiven, vom Off-Sprecher gesprochenen Dialogs wird die Problemlage vermittelt: Kann man die Stadt überhaupt wieder aufbauen? Man muss doch aber irgendwo wohnen! Oder zieht man einfach woanders hin? Aber auch das Wie des Wiederaufbaus muss diskutiert werden: Eine neue Stadt neben die Trümmer der alten bauen? Das Zerstörte wieder errichten? Oder etwas Neues an seine Stelle setzen – also: die Zukunft bauen?

Diese Diskussion wird durch schnell wechselnde, antagonistische Positionen vermittelnde Kameraeinstellungen auf Schmuckreliefs und Plastiken von Dämonen an hannoverschen Bauten (etwa am Alten Rathaus, vor allem das „Luderziehen“) filmisch wiedergegeben. Aber nachdem „sie sich zusammen gefunden“ haben „angesichts ihrer toten Stadt mit den leeren Fenstern“, konnte ein Plan gemacht werden und das Werk beginnen. In der Folge sind in buntem, zuweilen heiter anmutendem Wechsel Bilder von Bauarbeiten, von Neubauten, Wiederaufgebautem und Ruinen wie auch von den sich in ihrer Stadt wieder einrichtenden und allmählich das „normale“ Leben wieder entdeckenden Hannoveranern aneinander montiert. So wird das „Mosaik“ in doppeltem Sinne zusammengesetzt: In der Realität ergänzen sich wiederaufgebautes Altes und zukunftsweisendes Neues, das filmische Mosaik der verschiedenen Impressionen vermittelt die gelungene Harmonie: Man muss sich nur zusammensetzen.

DVD „Mosaik einer Stadt“

Der Film „Alle machen mit“ ist von der GFS auf DVD mit zugehörigem Booklet herausgegeben worden und zum Preis von 6 € an folgenden Verkaufsstellen zu beziehen:

  • GFS, Hannover, Expo Plaza 12
  • Kino im Künstlerhaus, Hannover, Sophienstr. 2
  • Historisches Museum, Hannover, Pferdestraße 6
  • Antiquariat Ingeborg Becker, Hannover, Lister Meile 49
  • Schloss-Shop-Herrenhausen, Herrenhäuser Straße 5

Titel: Mosaik einer Stadt (1960)
Untertitel: Man muss sich nur zusammensetzen
Produktion: Eine Paul Zils-Produktion in der Deutschen Condor-Film
ldee, Buch, Regie: Herbert Seggelke
Musik: Karl von Feilitzsch
Kamera: Andor v. Barsy, Gerd Bonin, Werner Struck
Assistenz: Barbara Güttler, Petrus Schloemp
Sprecher: Friedrich Domin
Länge: 11:38 Min.
Originalformat: 35mm f
Neuherausgabe auf DVD 2010

 

Nr. Inhalt Länge Gesamtlänge
0 Vorspann 0:37 0:37
1 Eine Stadt in Trümmern
Vor einer Trümmerlandschaft läuft ein Briefzitat von 1945 durchs Bild; anschließender Off-Kommentar erläutert
vor Bildern realer Trümmer und Ruinen und des Modells der zerstörten Stadt Hannover die Ausgangssituation.
1:27 1:52
2 Diskussion um die Richtung des Wiederaufbaus
Diskussion um den Aufbauplan, illustriert mit Relief ,,Luderziehen“ am Alten Rathaus, anhand von Stadt-Lege-
Plan und Architektenmodellen (Stadtbaurat Hillebrecht im Gespräch mit Architekten). Schließlich Einigung, dabei Leitziele: ,,Viel Grün für den Menschen, viel Raum für den Verkehr.
1:27 3:19
3 Neu- und Wiederaufbau
Abriss- und Bauarbeiten, dargestellt an einer Reihe von lmpressionen: Sprengung, Relief an Marktkirchentür, aufgestapelte Ziegelsteine, Bauarbeiter, mit Ziegelsteinen spielendes Mädchen, Neubausiedlung etc.
2:15 5:34
4 Neues Leben
Das Erreichte – wozu auch wiedererlangte Lebensqualität gehört – wird dargestellt anhand von Neubauten (Gewerkschaftshaus, Bauamt, Kestnermuseum), sich in Grünanlagen ausruhenden Menschen etc. Ein Bildhauer
bei der Arbeit sorgt für den ,,Schmuck am Bau“; aber die restaurierte Marktkirche und Fachwerkfassaden zeigen auch: ,,Die neue Ordnung ließ Raum für das Alte“.
3:38 9:12
5 Betriebsamkeit durch lndustrie, Verkehr und Messe
Messe, Verkehr, lndustrie, aber auch Sportveranstaltungen vor vollbesetzten Tribünen zeigen die Betriebsamkeit der
wieder zum Leben erweckten Stadt, was durch die schnellere und vielfältigere Musik unterstrichen wird.
1:49 11:01
6 Fazit: ,Man muss sich nur  zusammensetzen‘ 0:38 11:39
       
       
       

Um 1960 war der hannoversche Wiederaufbau nach dem Krieg abgeschlossen und in einer Reihe von jährlichen Film-Aufbauberichten dokumentiert worden. Zu dieser Zeit beauftragte die Stadt Hannover den in München lebenden Kulturfilmregisseur Herbert Seggelke, selbst gebürtiger Hannoveraner, mit der Herstellung eines künstlerisch ambitionierten Dokumentarfilms über die Stadt. So entstand ,,Mosaik einer Stadt“ in der zweiten Hälfte des Jahres 1960 als aufwändige 35mm-Produktion – auch mit Blick auf eine Kino-Auswertung als damals üblicher ,,Beifilm“. Ein Blick auf die Filmschaffenden zeigt die Ausnahmestellung dieses Films innerhalb der historischen Hannover-Filme: Herbert Seggelke (1905-1990), einer der bedeutendsten Kulturfilmregisseure der 1950er und 1960er Jahre in der Bundesrepublik, zeichnete für ldee, Buch und Regie des Films verantwortlich. ln seinen Filmen, die praktisch alle preisgekrönt sind, thematisierte Seggelke verschiedene Formen der bildenden und darstellenden Kunst. Er arbeitete u.a, mit Jean Cocteau, den Clowns Charlie Rivel und Grock sowie mit dem Pantomimen Marcel Marceau. ln seinen
beiden Hannover-Filmen ,,Mosaik einer Stadt“ und ,,Der Große Garten“ (1965, Oscar-nominiert), setzte er sich mit Stadt- bzw. Gartenarchitektur auseinander. Seggelke führte in seinen Filmen nie selbst die Kamera, sondern engagierte bedeutende Kameramänner. ln ,,Mosaik einer Stadt“ waren es gleich mehrere: Andor von Barsy, der bereits an dem Olympia-Film von Leni Riefenstahl mitgearbeitet und für den Experimental-Spielfilm ,,Jonas“ (1957) das Filmband in Silber erhalten hatte, außerdem Gerd Bonin, ebenfalls Filmband in Silber für den Spielfilm ,,Warum sind sie gegen uns?“ (1958) sowie der Kameramann Werner Struck. Der später bekannt gewordene Kameramann Petrus Schloemp debütierie in ,,Mosaik einer Stadt“ mit einer Assistenz. Bemerkenswert ist auch die Musik zu dem Film, komponiert von Karl von Feilitzsch. Dieser namhafte Komponist entwickelte ein auf Disharmonien basierendes Kompositronssystem in Weiterführung der klassischen
Harmonielehre von J.S. Bach als notwendiges Stilmittel, um die Anspannung in der modernen Welt musikalisch zum Ausdruck zu bringen. ln den 1950er und 1960 Jahren komponierte Feilitzsch Musik für verschiedene Kunst. und Kulturfilme, darunter auch die Seggelke-Filme ,,Achtung, Synkope“ (1957) und ,,Besuch bei Busch“ (‚1961).

,,Mosaik einer Stadt“ erhielt von der Filmbewertungsstelle Wiesbaden das Prädikat ,,besonders wertvoll“, außerdem eine Bundesfilmprämie im Jahre 1961. Der Film wurde von der Gesellschaft für Filmstudien e.V. im Jahre 2004 neu bearbeitet, für Hannover gesichert (16mm Bild- und Tonnegativ) sowie in verschiedenen Formaten vorführfähig gemacht. Die Ausgangsmaterialien für die Bearbeitung stammten aus dem Bundesarchiv-Filmarchiv, wohin Sabine Seggelke, die Witwe des Filmregisseurs, das hinterlassene Filmmaterial gegeben hatte. Als technische Vorlage für die im Jahre 2010 publizierte DVD wurde eine 2004 angefertigte BetaSP-Abtastung des Films genutzt.

 

Die 1950er Jahre in Hannover standen im Zeichen des Wieder- bzw. Neuaufbaus der Stadt nach den starken Zerstörungen, die im Zuge des 2. Weltkrieges entstanden waren. Die Verheerungen des Luftkriegs gegen die damalige Gauhauptstadt Hannover begannen mit dem bis dahin größten Angriff der Royal Air Force auf eine deutsche Großstadt in der Nacht des 10. Februar 1941 . Etwa hundert Menschen fielen dem Angriff zum Opfer; eine vergleichsweise geringe Zahl verglichen mit den ungleich heftigeren Luftangriffen, die in der zweiten Jahreshälfte 1943 einsetzen sollten. Nachdem bereits durch den Tagesangriff vom 26. Juni 1943 u.a. Leineschloss, Opernhaus und Marktkirche schwer beschädigt worden waren, entfesselte der Nachtangriff vom B. auf den 9. Oktober 1943 einen Feuersturm, der 1245 Menschen das Leben kostete. Eine Woche später wurde das Herrenhäuser Schloss vernichtet.

Die Bilanz des Bombenkriegs in Hannover belief sich auf die Zerstörung von 90 % der Gebäudesubstanz in der Innenstadt. 51 % aller Wohnungen waren zerstört oder schwer beschädigt, 44 % mitlel oder leicht beschädigt. ln den ersten Nachkriegsjahren, in denen auch von der britischen Besatzung eine allgemeine ,,Lähmung“ der Zivilbevölkerung konstatiert wurde, behalf man sich mit Trümmerräumung und lmprovisation, und erst ab 1949 konkretisierte sich die zukünftige Gestaltung der zerstörten Stadt in städtischen Aufbauplänen. Zur zentralen Figur des hannoverschen Aufbaus wurde Rudolf Hillebrecht, Stadtbaurat von 1948 bis 1975, der selbst weniger das Konzept eines Wieder-, sondern vielmehr eines Neuaufbaus Hannovers bei Beibehaltung wesentlicher Traditionszentren in der lnnenstadt vertrat.

Priorität (wie in allen zerstörten Großstädten) genoss der Wohnungsbau, der sich an der Tradition des ,,Neuen Bauens“ der Weimarer Republik orientierte; architektonische Kennzeichen waren Zweckmäßig- und Sparsamkeit. Daneben konzentrierten sich die Planer auf eine städtebauliche Modernisierung mit innovativer Verkehrsplanung: Ziel war eine autogerechte Straßenführung, die Optimierung von Verkehrsanlagen, der Bau von Umgehungsstraßen. Bedeutendes Element des von Hillebrecht neugeordneten Verkehrswesens
waren die lnnen- und Außentangenten, die die lnnenstadt umschlossen und damit den Durchgangsverkehr von ihr ableiten sollten. Hillebrechts Verdienst bestand somit darin, Hannover für ein Verkehrsaufkommen tauglich gemacht zu haben, das Ende der 40er Jahre vielerorts noch für utopisch gehalten wurde, das sich aber in Folge des Wirtschaftswunders bald einstellen sollte.

Tatsächlich erwies sich das hannoversche Modell dem Verkehrsaufkommen bis in die 70er Jahre hinein gewachsen. Weitere Aufbaumaßnahmen betrafen die
Vergrößerung der Geschäftsstadt, die Auflockerung des Stadtbildes mittels ,,Durchgrünung“, also Eingliederung von Grünflächen, und die Umgestaltung und Neubebauung des Leibnizufers, die aber letztlich nicht konsequent durchgeführt wurde. Der Wiederaufbau der durch den Krieg zerstörten Baudenkmäler begann mit Opernhaus, Marktkirche und Leineschloss; die Ruine
der Aegidienkirche, bewusst vom Wiederaufbau ausgenommen, wurde zur Gedächtnisstätte für die Opfer des Krieges. Der effiziente Aufbau der zerstörten Landeshauptstadt hatte Signalwirkung und Vorbildcharakter für andere Städte und wurde in einer Schlagzeile des ,,Spiegels“ 1959 als das ,,Wunder von Hannover“ gefeiert. 1964 wurde Hillebrecht für diese Leistung mit dem Orden ,,Pour le mérite für Wissenschaften und Künste“ ausgezeichnet. Angelastet wird ihm dagegen bis heute der Abriss von (zum Teil nur leicht) kriegsbeschädigten Baudenkmälern noch Ende der
60er und Anfang der 70er Jahre an Stellen, an denen sie sich nicht in seine Stadtplanung einfügen ließen: Dies betraf Fachwerkhäuser, die nicht zu der ,,Traditionsinsel“ in derAltstadt zählten, das 1817 erbaute Palais des Generals Carl von Alten (sog. Friederikenschlösschen), die Wasserkunst am Leineschloss, die Garnisonskirche am Goethekreisel und die ,,Tränenburg“ genannte Villa Willmer.

 

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