Kino in Hannover 1938 – 1945

Veit Harlans antisemitischer Film Jud Süß, der am 1. Oktober 1940 im Ufa-Palast und in den Ufa-Weltspielen in Hannover gleichzeitig anlief, zog in fünf Wochen über 100.000 Besucher an und wurde in einem Kommentar der Wochenendausgabe des Hannoverschen Anzeigers am 5./6. Oktober 1940 ausführlich „gewürdigt“. Im Mittelpunkt des Films, der den Antisemitismus des NS-Zeit in das 18. Jahrhundert rückprojiziert, stehen Süß Oppenheimer, Finanzminister am Württembergischen Hof, und seine Liebesaffäre mit einer deutschen Frau. Der Film wurde als „Auflehnung gegen alles Niedere und Gemeine des Judentums“ propagiert und dem „deutschen Idealismus“ wurde die „jüdische Gewinnsucht“ entgegengesetzt. Die Liebesgeschichte des Süß Oppenheimer wird dem Zuschauer des Films als mahnende Aufforderung nahegebracht, die „eigene Art rein von ihren verderblichen Einflüssen zu halten“. Im Gegensatz zu Jud Süß mit seinem historischen Sujet, das dem Antisemitismus „nicht als Propaganda, sondern als Wahrheit“ zeigen sollte, war der sich dokumentarisch gebende, antisemitische Hetzfilm Der ewige Jude (Idee: E. Taubert; Gestaltung: Fritz Hippler; Konzeption: Joseph Goebbels) in Hannover – wie offenbar überall – kein Erfolg.

Besonders erfolgreich war dann im Frühjahr 1942 der erste deutsche (Agfacolor-)Farbfilm, Georg Jacobys Frauen sind doch bessere Diplomaten zu dem am 12. Mai 1942 die 200.000. Besucherin begrüßt werden konnte. Ob allerdings die Handlung des Films – eine Melange aus militärischer Historie und Revue mit den Ufa-Stars Marika Rökk und Willy Fritsch in den Hauptrollen – die Hannoveraner anzog oder die neue Attraktion der Farbe, bleibt dahingestellt. Doch sah sich der Filmkurier angesichts des Erfolges in Hannover dazu veranlasst, neben den „Interesse am Neuen“ ausdrücklich die Bedeutung des „rein Filmischen“ hervorzuheben. Bei der Aufführung des Jacoby-Films wurde auf eine in jenen Jahren beliebte Werbemaßnahme zurückgegriffen: der Auftritt eines bekannten Gastes. So hielt in diesem Fall Ewald Gerlicher vom Schauspielhaus Hannover bei der Begrüßung der 200.000. Besucherin einen Vortrag über die Bedeutung des Farbfilms.

Ein Experte als Publikumsattraktion trat zur Erstaufführung des Expeditionsfilm Geheimnis Tibet (1942, Regie Hans A. Lettow, Dr. Ernst Schäfer) auf. Der Leiter der 1938/39 in Hannover gestarteten Tibet-Expedition, Dr. Schäfer, hielt im Ufa-Palast im Februar 1942 den einleitenden Vortrag. Die Zahl von 11.000 Besuchern in den ersten fünf Tagen veranlasste den Hannoverschen Anzeiger zu folgender Wertung: „Dieser Film, der uns zum erstenmal die verbotene Stadt Lhasa zeigt, ist eine Schilderung vieler packender Szenen und märchenhaft schöner Bilder. Ein einzigartiges, kulturell außerordentlich bedeutsames Dokument.“

Auch die Anwesenheit lokaler Schauspielgrößen, die in einer in Hannover aufgeführten Produktion mitwirkten, sollte sie Zuschauer motivieren, bestimmte Filmpremieren zu besuchen. Am 22. Mai 1942 hatte Harald Brauns Regie-Debüt Zwischen Himmel und Erde seine hannoversche Erstaufführung. Einer der Hauptdarsteller, Wolfgang Lukschy, ehemals Schauspieler am städtischen Schauspielhaus Hannover, war anwesend, und der Ufa-Palast meldete „schon lange vorher ausverkaufte Vorstellungen“.

Weitere Kinoerfolge in Hannover waren z. B. Wunschkonzert (1940, Regie Eduard von Borsody, 133.000 Besucher), Die große Liebe (1942, Regie Rolf Hansen, nahezu 150.000 Beuscher), Wiener Blut (1942, Regie Willi Forst, 130.000 Besucher) und Der große König (1942, Regie Veit Harlan, ca. 100.000 Besucher), letzterer war eine Forstsetzung der Fridericus-Filme aus den 30er Jahren.

Im Februar 1943 wurde gegenüber dem Hauptbahnhof das Central-Theater in ein „Soldatenkino“ umfunktioniert, das durchreisenden Soldaten in der Zeit von 21 bis 4 Uhr morgens Filme und Wochenschauen zeigte, um ihnen „die nächtlichen Wartestunden (zu) verkürzen“. Ablenkung und Entspannung sollte auch Verwundeten und Rüstungsarbeitern zuteil werden, die am 17. Oktober 1942 von der Gaupropagandaleitung Südhannover-Braunschweig zur Erstaufführung des Liebeneiner-Films Die Entlassung eingeladen wurden. Ein „mit den Symbolen des Reiches und Blumen reichlich geschmückter Raum schuf neben einer musikalischen Einleitung den festlichen Charakter“ dieser Aufführung einer Bismarck Apologie. Ob damals der Inhalt der Filme für die Hannoveraner der primäre Anreiz zum Kinobesuch war, muss bezweifelt werden. In jener Zeit, in der durch Rüstungsproduktion, Wahrenkontingentierung und Markenausgabe die freiverkäufliche Güter überaus knapp waren, für die man sein Geld hätte ausgeben können, war die Kinokarte ein Gut, mit dem man „überzähliges“ Geld ausgeben konnte. Dieses Phänomen, das in Notzeiten die Menschen leichter den unterhaltenden Künsten zusprechen, stellte auch der Filmkurier fest, als er 21. Dezember 1942 für Hannover einen Zusammenhang zwischen „verknappten Ware(n)“ und dem Andrang an den Kinokassen vermutete.

Mit dem sich in die Länge ziehenden Krieg wurde auch die Wochenschau für die Menschen in Hannover wichtiger. Der Leiter eines hannoverschen Filmtheaters konstatierte am 28. Mai 1942 im Hannoverschen Anzeiger, dass häufig nur ein Kinobesuch nur stattfindet, „um … die Wochenschau zu sehen, die für viele Besucher Hauptanreiz ist.“

Ende Januar / Anfang Februar 1943 war das Bild der siegreichen Wehrmacht vollständig zerschlagen und die nationalsozialistische Führung sah sich zu einem Eingeständnis der offenkundigen Niederlage der sechsten Armee im Kessel von Stalingrad gezwungen. Hatte der Hannoversche Anzeiger auf Seite eins seiner Ausgabe vom 4. Februar 1943 in Bezug auf die sechste Armee vom „Heldenepos deutscher Unsterblichkeit“ geschwärmt so wurde auf Seite fünf, ganz unten versteckt, den Lesern verschämt mitgeteilt, dass alle Theater, Filmtheater und Varietes aufgrund der Niederlage vom 3. Februar bis 6. Februar 1943 geschlossen zu halten sein. Ab September/Oktober 1943 mussten sich die Hannoveraner häufiger an geschlossene Kinos gewöhnen. Nach schweren Luftangriffen, besonders am 22. September, 9. und 18. Oktober 1943 wurde fast die gesamt Innenstadt Hannovers zerstört und mit ihr auch die Kinos, vornehmlich die großen Erstaufführungshäuser, die dann bis zum Kriegsende geschlossen blieben. Lediglich die Nachspielkinos in den äußeren Stadtteilen (z. B. Ufa-Theater in Vahrenwald; Kronprinzen Limmer) führten noch Filme auf, die allerdings größtenteils Wiederholungen waren.

Zerstörtes Hannover, Hildesheimerstraße 45 (im Jahre1943). Zerstörtes Kino Gloria-Palast, nach 8./9.10.1943. Kino-Werbung für den Film „Der dunkle Tag“. © Bildarchiv HMH

Während sich die Zahl der Kinos und die der vorhandenen Plätze zwischen 1939 und 1942 nur unwesentlich veränderte, verzeichnete das Jahr 1943 einen drastischen Einbruch: Von 31 Kinos waren nach den Luftangriffen nur noch zwölf übriggeblieben, und die Zahl der vorhandenen Plätze reduzierte sich dadurch auf 5700 gegenüber 18.300 im Jahre 1942. Da die Luftangriffe im Herbst stattfanden, verringerte sich die Gesamt-Besucherzahl 1943 lediglich auf 811.300 gegenüber 937.100 im Jahre 1942. In den Jahren 1944 und 1945 gingen dann auch hier die Zahlen noch weiter zurück. Die Besucherzahlen halbierten sich nahezu von Jahr zu Jahr.

Um die desolate Kinosituation in Hannover ein wenig auszubessern, nahm das Reichspropagandaamt Hannover im Frühjahr 1944 eine Anregung von Propagandaminister Goebbels auf und eröffnete ein Freilicht-Filmtheater mit 550 Sitzplätzen (vermutlich in der Friesenstraße). „Technische Schwierigkeiten waren zu überwinden, damit Rücksicht auf die Helligkeit des Bildes ein mit Zeltplan verdunkelter Raum geschaffen und der Helle Boden mit Kohlenruß abgedunkelt werden mußte.“ Bei Regen mussten die Vorstellungen abgebrochen werden und die Vorführungen blieben aufgrund der spartanischen Ausstattung auf die Sommermonate beschränkt. Eine andere Möglichkeit, Ausgleich für zerstörte Kinos zu schaffen, bestand in der Verlegung von Kinoprogrammen zerstörter Häuser in andere, unversehrt gebliebene Häuser. So wurde das Programm des zerstörten Kurzfilm-Theaters in der Schillerstraße verlegt in das Capitol am Schwarzen Bären, um an „diejenigen Volksgenossen (zu denken), deren Freizeit zum Besuch eines längeren Filmprogramms nicht ausreicht.“

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