Gestaltung der City (1880 – 1914/18)

Eine geschlossene Bebauung der Georgstraße wurde erst um 1880 erreicht, denn die Grundstücke waren zunächst für private Bauherren nicht sehr attraktiv. (1) Die in der ersten
Hälfte des 19. Jahrhunderts entstandenen öffentlichen Bauten wurden später wieder
abgebrochen und durch wirtschaftlich zu nutzende Neubauten ersetzt. „Für die in der
besten Geschäftsgegend gelegene und dementsprechend theure Baustelle…, war eine
möglichst vollkommene Ausnutzung zur Erzielung einer guten Verzinsung erste
Bedingung“. (2) Die Georgstraße entwickelte sich ab 1880/90 nun zum Geschäfts-, Banken- und Bürozentrum. Lediglich die oberen Stockwerke boten noch Wohnraum,
wobei mit höherer Geschoßzahl ein soziales Gefälle einherging. Auf großzügige,
„herrschaftliche“ Wohnungen folgten kleinere für das weniger wohlhabende Bürgertum. (3)
Eine besondere Bedeutung erlangten die Bankniederlassungen. Mode- und Kaufhäuser charakterisierten ebenfalls die City-Bildung.

Der schon damals „stark pulsierende Verkehr“ war Anlass für verschiedene städtebauliche Maßnahmen, mit denen versucht werden sollte, das rege Geschäftsleben zur Altstadt hin auszudehnen. Zwischen 1878 und 1892 entstand in Verlängerung der Bahnhofstraße der Durchbruch der Karmarschstraße, die sich „zu einer bevorzugten Geschäftsstraße in Hannover“ entwickeln sollte. Dem Durchbruch fielen das Ständehaus und eine Reihe ansehnlicher Bürgerhäuser zum Opfer.

„Der damals aus Karmarsch-, Grupen- und Mühlenstraße bestehende Straßenzug brachte neues Leben in die Altstadt, vor allem in die alten Hauptstraßen, die durch ihre ungünstige Lage zum Bahnhof inzwischen den Charakter von unbedeutenden Nebenstraßen erhalten hatten“(4)

Im Jahr 1879 wurde dann zwischen der Oster- und der Schillerstraße als eine weitere Verbindung zur Altstadt die Limburgstraße angelegt. (5) Die Ernst-August-Stadt expandierte also in das alte Wohn- und Kleingewerbegebiet der Altstadt. Damit wurde ein Teil dieses Viertels, in dem auch ärmere Bevölkerungsgruppen wohnten, durch neu hinzukommende Geschäfte umgestaltet.(6)

Trotz dieses ersten Zugriffs auf die Altstadt blieb das „Großstadtleben“ Hannovers in jener Zeit vornehmlich auf die Georgstraße und deren Umgebung konzentriert. Nachdem 1903 die Hannoversche Bank ihr Stammhaus an der Ecke zur Schillerstraße verlassen hatte und in den Neubau am Georgsplatz umgezogen war, entstand an dieser Stelle das erste große Warenhaus der Stadt, erbaut von der Firma Karstadt. Schräg gegenüber lockte seit 1901 die Georgspassage mit einer blinkenden Glaskuppel, moderner Reklame, attraktiven Geschäften sowie einem Automaten-Restaurant. (7)

Adelheid von Saldern (1991)

 

Das linke Bild ist etwa um 1870, das rechte etwa um 1895 entstanden, die beiden Aufnahmen trennen also nur 25 Jahre. Die offensichtlichen Veränderungen verdeutlichen den in diesem Zeitraum eingetretenen Wandel des westlichen Teils der Georgstraße zum Einkaufszentrum  Hannovers während gleichzeitig die Altstadt mehr und mehr verkam.

Um 1870 steht bereits das von Edwin Oppler 1863 erbaute Geschäftshaus an der Ecke zur Bahnhofstraße, auf auf der gegenüberliegenden Seite befinden sich aber noch zahlreiche private Wohnhäuser direkt gegenüber steht noch der Bau der Militärbekleidungskommission.

25 Jahre später war der Durchbruch der heutigen Karmarschstraße bereits vollzogen. Die Photographie zeigt das l871 vom Architekten Hubert Stier für den Teppichfabrikanten Brakebusch erbaute Eckhaus Karmarsch-/Georgstraße. Was der Architekt über dieses renommierte Bauprojekt schrieb, galt im Grunde für alle in den folgenden Jahren in der City entstandenen Neubauten.

„Für die in der besten Geschäftsgegend gelegene und dementsprechen theure Baustelle … war eine möglichst vollkommene Ausnutzung zur Erzielung einer guten Verzinsung erste Bedingung. Das Gebäude erhielt daher ein zum Teil doppeltes Kellergeschoß, ein Erdgeschoß mit Zwischengeschoß und drei obere Stockwerke.“

Neben einem Restaurant im Keller, den Läden und Kontoren im Zwischengeschoß, hat das Haus im l. und 2. Obergeschoß aber auch je eine „herrschaftliche Wohnung“ von 6 Front- und 3 Hinterzimmern nebst Küche, Speisekammer und Badeziimmer sowie im 3. Stock zwei kleinere Wohnungen und ein Photoatelier. (1)

Richard Birkefeld (1991)

 

Das soziale und wirtschaftliche Gefälle von der Ernst-August-Stadt zur Altstadt entwickelte sich zu einem Problem für das Funktionieren des Stadtorganismus, besonders für den immer stärker aufkommenden Verkehr. Da die Streckenführung der Eisenbahn den nördlichen Teil des neuen Zentrums wie eine Mauer von den dahinter liegenden Stadtteilen abschirmte, begann sich das expandierende Geschäftsleben der
Ernst-August-Stadt südwestlich in Richtung Altstadt auszudehnen. Dieses Wachstum wurde aber durch die relativ breiten nordwest-südöstlich verlaufenden historischen Straßenzüge der Altstadt eingeschränkt

Nach langen stürmischen Verhandlungen wurde von 1878 bis l881 der von Ferdinand Wallbrecht betriebene Durchbruch der heutigen Karmarschstraße durch die Innenstadt in Angriff genommen. Das erste Teilstück der direkten Verbindung vom Bahnhof nach Linden war damit geschaffen. Das Werbeblatt für den Druchbruch der Karmarschstraße teilte im Dezember 1879 u.a. mit:

„Durch die Eröffnung dieser, dem Verkehr der Altstadt mit dem Bahnhof und den neuen Stadtteilen entsprechend breit angelegten
Hauptverkehrsader werden die jetzt vorhandenen engen Verbindungsstraßen entlastet, und wird damit eine Verschiebung des Geschäftsverkehrs stattfinden, der bekanntlich stets die Stätten aufsucht, die ihm den regsten Verkehr des Publikums und außerdem
Licht, Luft und breite stattliche Geschäftsräume bieten. – Es ist nunmehr nur noch eine Frage der Zeit, daß mit den fortschreitenden Anforderungen der Käufer an die Übersichtlichkeit und den Glanz der äußeren Erscheinung der Geschäfte diese neue Straße Hannovers sich mit solchen stattlichen Geschäftshäusern füllen wird, und bietet sich hier für solide Geschäfte Gelegenheit, Plätze und Häuser an der besten l,age der Stadt zu erwerben.“

Die Straßendurchbrüche zur Markt-, Köbelinger- und Leinstraße öffneten zwar die Altstadt für das expandierende Geschäftsleben der Ernst-August-Stadt, schufen aber gleichzeitig einen Verdrängungswettbewerb, dem teilweise die altstädtische Kleingewerbestruktur unterlag. Das Einzige, was der wirtschaftlich schwachen Altstadt mit ihren Handwerkem und Einzelhändlem als nennenswerle Versorgungseinrichtung der
Gesamtstadt noch verblieb, war der Markt. Doch dessen ausufernde und nunmehr verkehrsbehindernde Entwicklung wurde 1892 in der an der Durchbruchsstraße erbauten Markthalle zentralisiert und an das Straßennetz Hannovers angeschlossen, so daß das Geschäftsleben der Altstadt noch weiterhin einigermaßen von den zahlreichen auswärtigen Händlern und Kunden partizipieren konnte, die nach Marktschluß ihre Einkäufe in der Stadt tätigten und dabei hauptsächlich den Läden der Altstadt treu blieben.

Aber trotz dieses ersten Zugriffs des modemen Gcschäftslebens und der Verkehrsplanung auf die Altstadt, trotz der attraktiven, täglich geöffneten und stark frequentierten Markthalle, blieb das „Großstadtleben“ Hannovers immr noch vornehmlich auf die Georgstraße und deren Umgebmg konzentrierl. Das Foto oben zeigt die Situation in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts. Die Bebauung der relativ schmalen Parzellen erfolgte durch Wallbrecht und andere hannoversche Ärchitekten: viergeschossige Häuser mit Haustein- oder Backsteinfassade reihten sich mit durchgehender Traufenhöhe aneinander und erzeugten eine wandhafte Geschlossenheit. Zu der knapp zwanzig Meter breiten Straße plante Wallbrecht noch zwei abzweigende überdachte Ladenpassagen, von der aber nur die zur Marktstraße ausgeführt wurde.

Richard Birkefeld (1991)

 

Ferdinand Wallbrechts Durchbruchspolitik führte dazu, daß sich nicht nur in der Kamrarsch- und Grupenstraße das neue Geschäftsleben bis zur Altstadt ausdehnte, sondem auch in den Parallelstraßen vollzog sich eine ähnliche Entwicklung. De Große Packhof- und die Seilwinderstraße wuden ebenfalls, trotz ihrer geringen Breite, zu „Schauplätzen stärksten gesellschaftlichen Verkehrs.“ Auch in diesen Straßen wich die alte unscheinbare Bausubstanz in nur wenigen Jahren modernen Geschäftshäusem.

Die Festschrift zur Einweihung des Rathauses 1913 beschreibt die Entwicklung dieser Straßenzüge und verdeutlicht damit den ständigen Expansionsdrang des Geschäftslebens, das von der Ernst-August-Stadt, insbesondere der Georgstraße ausgehend, weitere anliegende Straßenzüge zu okkupieren sucht:

„Die Firmen Bormaß, Sternheim und Emanuel, Elsbach und Frank, Molling, Sältzer und andere ließen hier ihre vorwiegend aus Eisenbeton rmd Glas konstruierten Häuser aufbauen, deren z. T. sehr eigenartige und materialgerechte Fassaden, unter denen die Leistungen (der Architekten) Friedrichs und Mackensen hervorstechen, bei dem sich drängelnden und geschäftseifrigen Publikum leider nur wenig zur Geltung kommen.“ (1)

Die Photographie zeigt das geschäftige Treiben in der Großen Packhofstraße Richtung Georgstraße um 1910. De endlosen Schaufensterreihen sind ebensogut zu erkennen wie die zahlreichen Beleuchtungskörper und Reklameschilder vor den Geschäften.

Bürgerlich gekleidete Frauen verweilen vor den Auslagen, Denst- und Kindermädchen machen ihre Besorgungen, der Mann im Vordergrund hat vollbepackt seine Besorgungen erledigt.

Warenhäuser, Geschäftsläden und reger Publikumsverkehr prägen nunmehr das Gesicht der Einkaufszeile Packhofstraße, deren buntes Treiben sich auffällig von dem Leben in den hauptsächlich von Anwohnem frequentierten und noch aus traditioneller Mischkultur, wie Wohnungen, Kleingewerbe und Einzelhandel, bestehenden Altstadtgassen unterscheidet.

Aber das rege Stadtlebcn in den neuen Geschäftsstraßen wurde von einem ständigen regen Publikumsverkehr bestimmt – von flanierenden und einkaufenden Passanten; von stark fluktuierenden großen Menschenmassen also, die in diesem Bereich der Stadt ihren Geschäften nachgingen und ihre wie auch immer gearteten Einkäufe tätigten.

Richard Birkefeld (1991)

 

Ab 1821 hatte der Hof den Ausbau der Georgstraße forciert. Die Stadt als Eigentümerin des ehemaligen Wallgeländes verkaufte an die neuen Besitzer die Fläche, auf der das geplante Haus zu stehen kam, verzichtete aber, um den Bauanreiz zu erhöhen, für l0 Jahre auf den dafür anfallenden Pachtzins und lieferte außerdem jedem Bauherren 1.000 Ziegel aus der städtischen Ziegelei. So entstanden in den folgenden Jahren einige zweieinhalbgeschossige großbürgerliche Wohnbauten an der Georgstraße.

Doch je mehr sich das städtische Zcntrum in die Ernst-August-Stadt beziehungsweise in die Georgstraße verlegte, umso teurer wurden die Bauplätze. Bereits in den 50er und 60er Jahren des 19. Jahrhunderts fanden die ersten Besitzerwechsel statt. Das wohlhabende Bürgertum zog sich in die landschaftlich schönsten Außenbezirke zurück und veräußerte seine innerstädtischen Häuser und Grundstücke an Geschäftsleute. So wurde beispielsweise das Haus Ecke Georg-/Windmtihlenstraße l850 verkauft und das Gebäude 1856 völlig umgebaut. Es wurde durch Einbeziehen der seitlichen Anbauten erweitert und durch ein zweites Vollgeschoß aufgestockt. Im Erdgeschoß wurden Geschäftsläden eingerichtet, die beiden oberen Stockwerke gehörten zum Hotel Victoria. 1905/06 wurde das Haus abgebrochen und durch ein neues höheres Geschäftshaus ersetzt. Die beste Geschäftsgegend der Stadt erforderte die wirtschaftlich rentabelste Ausnutzung der teuren Grundstücke.

Eine ähnliche Entwicklung vollzog sich mit dem Haus Jasper, Georgstraße 26. Das 1826 entstandene fünfachsige Wohnhaus wurde 1855 an den Kunsthändler Oppermann verkauft, der es wiederum 1856 an den Juwelier Lameyer weiterveräußerte. Nun wurde auch dieses Haus für gewerbliche Zwecke umgebaut. Links neben dem Gebäude entstand ein dreistöckiger Anbau mit halbrundem Erker im ersten Obergeschoß, der Dreiecksgiebel wich einem neuen Vollgeschoß, und im Erdgeschoß wurden das Ladengeschäft und die Werkstätten des Juweliers und Goldschmiedes Lameyer eingerichtet. (Dessen Ausstellungsraum aus der Mitte der 20er Jahre ist hier zu sehen). In diesen zu Geschäftshäusern umgebauten, erweiterten und aufgestockten Gebäuden verblieb häufig nur noch in den oberen Stockwerken Wohnraum. Das hatte zur Folge, daß sich die Anwohnerzahl der Ernst-August-Stadt ständig verkleinerte. Die Menschen zogen in die eingemeindeten neuen Außenbezirke Hannovers.

Richard Birkefeld (1991)

Ein Beispiel der Art, wie die Häuser wohlhabender Bürger damals außerhalb der alten Mauern in der grünen Landschaft errichtet wurden, gibt dieses Bild. Das Haus in der Prinzentraße entspricht in seinem eher „schlicht-noblen Stil“ mit den beiden symmetrisch angeordneten Einfahrten dem Lebensrhythmus der damaligen Zeit.

Im Vordergrund fließt der Schiffgraben, jener Wasserlauf, den die Stadt hatte anlegen lassen, um den Torf des Warmbüchener Moores zur Stadt heranzuschaffen.

 

Das Profil der Georgstraße veränderte sich seit Mitte des 19. Jahrhrmderts häufig. Die Wohnhäuser wurden vergrößert, aufgestockt und zu gewerblichen Zwecken genutzt. Auch wurden viele bis ca. l85o entstandene öffentliche Bauten später wieder abgerissen und durch wirtschaftlich zu nutzende Neubauten ersetzt, weil diese eine höhere Rendite versprachen. So wurde auch das dreigeschossige Wohnhaus in der Georgstraße 23 abgerissen und 19l3 von einem fünfgeschossigen Geschäftshaus abgelöst – dem „Georgspalast“.

Dieses Gebäude ist ein Musterbeispiel für ein im Stadtzentrum errichtetes Geschäftshaus, hinter dessen Fassade man einen städtischen Mikrokosmos vorfinden konnte, der in kleinerem Maßstab die kulturellen und geschäftlichen Angebote der City widerspiegelte. Im Erdgeschoß standen dem Kunden die unterschiedlichsten Verkaufsläden zur Verfügung. Büroräume des Dienstleistungsgewerbes verteilten sich neben Anwaltskanzleien und Arzpraxen über die Stockwerke. Fortbildungseinrichtungen wie die Berlitz School hatten hier ebenso ihre Räumlichkeiten gefunden, wie Hannovers bekanntester Restaurations- und Vergnügungsbetieb „GOP“.

Richard Birkefeld (1991)

 

Die schnelle Aufwärtsenentwicklung des städtischen Wirtschaftslebens nach 1870 führte im Georgstraßenbereich dazu, daß die Bebauung um 1880 geschlossen war und viele vor der Jahrhundertmitte errichtete Bauten, wie Kaserne, Hannoversche Bank, Polytechnikum, Ober- und Schwurgericht, entweder abgebrochen, durch wirtschaftlich zu nutzende Neubauten ersetzt oder entsprechend umgebaut wurden. Viele Häuser aus der Zeit der Erstbebauung hatten nur eine Lebensdauer von fünf bis sechs Jahrzehnten. Dennoch behielt die Georgstraße, vor allem in ihrem „vornehmen“ Bereich zwischen Kröpcke, Oper und Aegi, viel von dem ihr einst zugedachten Promenadencharakter, nicht zuletzt dank der ausgedehnten Grünanlagen, die sie in diesem Abschniu begleiteten.

Die Grünanlagen am Aegidientor, Georgs- und Theaterplatz gehörten zu den ersten Gestaltungen des städtischen Gartenamtes, das 1880 eingerichtet worden war. Diese Schmuckplätze entlang der Georgstraße glichen kleinen Parkanlagen, die mit ihren exotischen Pflanzen, Zierstrauchgruppen, klar gegliederten Blumenbeeten, gepflegten Rasenflächen und ihren zum Verweilen einladenden Bänken den Promenadencharakter der Georgstraße unterstützten und zum Flanieren des städtischen Publikums geradezu animierten.

Aber es gab noch weitere Sehenswürdigkeiten, die die Prachtstraße auszeichneten. Gleich neben der Harmoverschen Bank stand an der äußersten Spitze des Theaterplatzes ein seltsamer Pavillon, der aufgrund seines maurisch-byzantinischen Stiles auf den ersten Blick etwas fremdartig wirkte. Er stammte von der Pariser Weltausstellung des Jahres 1867 und diente, von den Hannoveranern „Mongolentempel“ genannt, sechs Jahrzehnte als Verkaufslokal für Topf- und Schnittblumen. 1928 wurde der „Tempel“ von einem modernen Blumenpavillon mit kupfergedecktem spitzturm abgelöst. Dieser wurde dann 15 Jahre später in den Bombennächien des 2. Weltkrieges zerstört.

Richard Birkefeld (1991)

Der gesellschaftliche Höhepunkt war der traditionelle, seit Jahrzehnten statfindende, vom bürgerlichen Publikum bevorzugte „Schorsenbummel“, zu dem man sich an den Sommersonntagen um 12 Uhr vor dem Hoftheater zum Promenieren einfand. Unter den flotten Klängen der auf der Freitreppe des Theaters postierten Kapelle bummelte man vor dem Hoftheater zwischen Ständehaus und Windmühlenstraße auf und ab:

„Die blühende Jugend in lockenden Batistblusen und mit schiefgesetzten Schülermützen, die reiferen Jahrgänge im eleganten Sonntagsstaat. Froh und sorgenfrei ließ man sich im gemächlichen Menschenkarussell treiben; man lächelte, grüßte, wechselte belanglose Worte, tauschte scheue, neugierige oder manchmal auch-gewagte Blicke und flirtete sogar. (1)

Der Trivialliterat Meyer-Förster beschreibt den „Schorsenbummel“ in seinem Roman
„Heidenstamm“ von l90l:

„Auf der Georgstraße, die mit ihren breiten Parkanlagen, ihren monumentalen Gebäuden und dem großstädtischen Verkehr vielleicht die schönste deutsche Straße ist, flanierte um diese Mittagsstunde die ganze elegante Welt. Man sieht da die bunten Offiziersuniformen aller preußischen Kavallerieregimenter, dazwischen immer wieder das vornehme Weiß-Blau der hannoverschen Königsulanen … Man sieht die Studenten der Hochschule in bunten Mützen, hübsche Jungen mit zerprügelten Gesichtern, und man sieht die eleganten Damen dieser reichen Industrie- und Beamten- und Offiziersstadt, die alle auf der rechten Seite der Straße auf und ab wandeln und der Regimentsmusik lauschen, die vor dem Königlichen Theater konzertiert.“(2)

Dieser bis in die Sommer der dreißiger Jahre regelmäßig wiederkehrende Rummel auf der Georgsnaße gewann für seine Besucher durch die ständig gewachsene Präsenz. der Nobelgeschäfte mit ihren reichhaltig dekorierten Schaufenstem auf der Häuserseite des Boulevards eine zusätzliche Attraktivität. Das bürgerlich-städtische Kultur-, Konsumr- und Kommerzbedürfnis kulminierte im „Schorsenbummel“ zu einem konzertanten Ritual mit Breitenwirkung, in dem sich die Urbanisienurgstendenzen der Modeme und die Urbanisiemngsakzeptanz der Hannoveraner manifestierte. De Georgstraße wurde zur Quintessenz des hannoveranisch-städtischen Lebens; hier dokumentierte sich die
höchstrnögliche Kauf- und Wirtschaftskraft der Bewohner, hier fand die Leistungsbilanz des Handels und Gewerbes ihre sichtbarste Ausprägung, hier fand die Stadt ihren gesellschaftlichen Treff- und Mittelpunkt, ihren mondänsten „Marktplatz“ mit einer reichen Angebotspalette, hier wurde der Schaufensterbummel zum Abschreiten der exklusivsten Produkte einer aufkommenden Konsumgesellschaft, hier verschmolzen Kultur und Konsumption zu einer Symbiose, die wesentlich zur Entwicklung der City-Bildung beizutragen half.

Richard Birkefeld (1991)

 

Die Anziehungshaft der City bestand nicht nur für die Hannoveraner in den vielfältigen Warenangeboten der Kaufhäuser und Geschäfte, die sich in diesem Teil der Stadt konzentriert hatten, sondern auch in der ebenfalls ständig gewachsenen Anzahl von Restaurants, Vergnügungsstätten und Cafés, wobei unter letzteren dem Café Kröpcke der erste Platz gebührt.

1869 wuede der ungewöhnlich konstruierte Caféhaus-Pavillon von Otto Goetze errichtet und nannte sich nach seinem damaligen Besitzer „Café Robby“. 1876 verpachtete Robby das Café an Wilhelm Gierke und neun Jahre später an Wilhelm Kröpcke, der auch Pächter blieb, als Gierkes Erben das Grundstück an den Magistrat verkauften.

Hinter dem Gebäude lag der Cafégarten, der 2.500 Menschen Platz bot. Bereits 1872 zockelte die erste Pferdebahn am neuen Café vorbei, und weitere neun Jahre später stand es, nachdem Karmarsch- und Grupenstraße die Bahnhofstraße zum Altstädter Markt geöffnet hatten, an der bedeutendsten Straßenkreuzung des modemen Hannovers.

Die Kröpcke-Uhr, die Hannovers Bürger 1885 als „Wettersäule“ gestiftet hatten, wurde zum beliebtesten Treffpunkt der Stadt. Das Caféhaus selbst wirkte in seinem leichten, orientalischen Stil anziehend und einladend zugleich, nicht nur für das vornehme, hier verkehrende Bürgertum, das die gediegene Atmosphäre zu schätzen wußte, sondern auch für Künstler und Literaten, die sich hier in angestammten Nischen und reservierten Kabinetten trafen. Hugo R. Bartels beschreibt rückblickend das Leben der Bohème im
Café Kröpcke der zwanziger Jahre:

„Damals war „Kröpcke“ Treffpunkt, Heim, Haus, Arbeitsplatz und Diskutierbude. Journalisten, Maler, Schauspieler, Schriftsteller, Architekten, Kunstkritiker, Philosophen, Tänzerinnen und Primaballerinen trafen sich hier. Sie bildeten keinen Club. Wer ihnen den Namen „Kröpcke-Indianer“ angehängt hat, ist heute nicht mehr auszumachen. Mag sein, daß er aus jener Zeit stammt, da wir beschlossen, jene runden, steifen Hüte zu tragen, die man „Bombe“ nennt. Das geschah aus Gründen der Distanzierung … So sehr wir mitten im geistigen und künstlerischen Geschehen jener Zeit waren, so abseits wollten wir sein von den anderen, die im Kröpcke saßen, den „Bürgern, denen die übrigen Räume des Cafés überlassen blieben. (…) Wir bildeten uns ein, das Café hätte etwas Pariserisches …“(1)

Richard Birkefeld (1991)

 

Der Blick vom Hauptbahnhof über den Kröpcke zur Marktkirche zeigt des geschäftige Treiben im Zentrum der Stadt. Die Kreuzung wird nunrnehr von den beiden Eckhäusern an der Karmarschstraße dominiert: links das ins Continental-Hotel verwandelte und umgebaute ehemalige Polytechnikum und rechts das Eckhaus des Tapetenfabrikanten Brakebusch.

Obwohl der motorisierte Individualverkehr 1906 noch nicht nennenswert ins Gewicht fiel, zeigt das Straßenbild bereits eine hohe Verkehrsdichte, bcstehend aus Pferdedroschken, Pferdeomnibussen, Radfahrern und Fuhrwerken. Besonders auffallend ist das ausgebaute Schienennetz der Straßenbahn, das den innerstädtischen Personen- und auch Güterverkehr strahlenformig auf den Kröpcke zentriert. Hinsichtlich des Personen- und Güternahverkehrs hatte die Eisenbahn nach der Jahrhundertwende eine gewisse Konkurrenz in der Straßenbahn erhalten. Ursprünglich nur auf die Personenbefürderung in der Stadt ausgerichtet, hatte sie ihren Betrieb 1872 mit einer Pferdebahnlinie zwischen Königsworther Platz und Döhrener Turm begonnen. Zwar verdrängte bereits 1893 der aufgenommene elektrische Oberleitungsbetrieb in wenigen Jahren die Pfedebahnen, mußte sich aber bis etwa 1906 innerhalb der dichtbebauten Innenstadtbereiche mit vorgespannten Akkumulatorenzugwagen abgeben, da man Oberleitungen für zu feuergefährlich hielt und als Verunstaltung des Stadtbildes betrachtete. Trotz dieser Behinderungen wuchs das Staßenbahnnetz unaufhörlich, verdichtete sich in der Stadt und griff, in der Regel den großen Ausfallstraßen folgend, weit ins Land hinaus bis Langenhagen, Groß-Burgwedel, Sehnde, Hildesheim, Pattensen und Barsinghausen. Hannover verfügte 1911 mit einem Streckennetz von 236,8 km über eines der längsten Überlandstraßennetze im Deutschen Reich. (1)

Die umfangreiche Verkehrserschließung der Stadtränder mit dem Zentrum war eine der wesentlichen citybildenden Voraussetzungen sowohl für die Grundnahrungsmittelversorgung der Innenstadt als auch für den Personentransport zwischen Wohnort und Arbeitsplatz oder den großen Einkaufsstraßen im Herzen der Stadt.

Richard Birkefeld (1991)

 

Die rasante Bebauung zu beiden Seiten der westlichen Georgstraße mit zahlreichen Geschäfts- und Warenhäusern führte diesem Teil der Straße nicht nur die stärkste Publikumsfrequnz der Stadt zu, sondem schuf auch den städtebaulichen Anschluß zum Steintorviertel, das sich in den vorangegangenen Jahren ebenfalls in einen modernen großstädtischen Stadtteil entwickelt und sich bis weit in die Goethestraße und in andere umliegende Straßen ausgedehnt hatte.

Gegenüber ihrem repräsentativen Charakter vom Kröpcke zum Aegi zeigte die Georgstraße vom Kröpcke zum Steintor mehr ihr Alltagsgesicht. Es waren nicht nur die Warenhäuser mit ihren verbilligten Massenangeboten, die ein vielschichtiges Publikum anzogen, sondern auch die ständig steigende Zahl von Vergnügungsstätten, Kneipen, Cafés und Attraktionen, die in der übrigen Stadt in solch
breiter Angebotspalette nicht zu finden waren. Hier boten Blumenfrauen ihre Waren, Kinder in der Weihnachtszeit Hampelmänner zum Kauf an, hier führten ambulante Händler neueste Kuriositäten vor, hier mischte sich die Demimonde unter die Passanten. Bereits im Jahre 1880 wußte der „Hannoversche Courier“ von Skandalszenen vor der „Ewigen Lampe“ an der Packhofstraßenecke zu berichten. „Wie üblich“ waren Dirnen in den Tumult verwickelt, „welche gerade hier, in der belebtesten Gegend der Stadt, unbehelligt ihr Wesen treiben.“ (1) Aber sonst war der westliche Teil der Georgstraße durchaus honorig.

Die Photographie zeigt den Blick von der Nordmannstraße in die Georgstraße Richtung Kröpcke. Halblinks deutet das Karstadt-Eckhaus die Einfahrt zur Schillerstraße an. Rechts gegenüber steht das mit architektonischem Zierrat herausgeputzte Geschäftshaus der „Georgspassage“, eine jener damals in Mode gekommenen überdachten Einkaufszeilen. Im Jahre 1910 verzeichnete das Adreßbuch für die „Georgspassage“ zahlreiche Firmen und Namen, darunter Bodes Geldschrankfabrik, die Zigarrenhändler Fremy und Schütte und die Lederwarenfabrik Horstmann und Sander.

Richard Birkefeld (1991)

 

An dieser Stelle teilte sich auch der Verkehrsfluß der Georgstraße. In Richtung Linden und Herrenhausen ging es bis zur Goethestraße und Langen Laube weiter die Georgstraße entlang. Der Verkehr nach Hainholz und Vahrenwald folgte seit 1876 der Nordmannstraße, die Ferdinand Wallbrecht quer über den Hof der teils abgebrochenen, teils zu Wohnungen umgebauten Arlilleriekaseme geführt hatte. Hier im Steintorviertel präsentierte sich die nüchterne Großstadt. Bei der Anlegung ihrer nicht gerade breiten Straßen wie beim Bau ihrer hohen Häuser hatten ausschließlich Zwcckmäßikeit und Ertragsberechnung Pate gestanden. So waren nach 1880 auch in Hannover die ersten Straßenschluchten entstanden, in die selbst die hochstehende Sommersonne nur knapp hineinschien. (1)

Die City hatte sich also weit ins Steintorviertel ausgedehnt, fand aber immer noch in der Georgstraße ihre repräsentativste, großzügigste und attraktivste Ausprägung und nach wie vor ihren geschäf1tigsten, belebtesten und verkehrstechnischen Mittelpunkt.

Richard Birkefeld (1991)

 

An der Ecke Schiller-/Georgstraße stand seit 1857 die Hannoversche Bank. Die Hannoversche Bank war als eine der ersten Aktienbanken im Königreich Hannover gegründet worden und war mit dem Recht ausgestattet, eigene Banknoten auszugeben. Dieses Notenbankprivileg übte sie bis 1889 aus. Danach war sie als reine Geschäftsbank täitig. 1920 wurde sie mit der Deutschen Bank vereinigt.

Der Bau der Bank an dieser Stelle hatte sicher Signalwirkung für eine regere Bautätigkeit. In den 80er Jahren war die Schillerstraße bis zum Bahnhof lückenlos bebaut. Als die Bank 1903 ihren Neubau am Geogsplatz bezog, riß die Firma Karstadt das Gebäude ab und baute an seiner Stelle das cerste große Warenhaus der Stadt. Der Bau des Kaufhauses machte gleich zwei Trends sichtbar, die sich schon seit geraumer Zeit angedeutet hatten: Zum einen, gewarnn damit das zunehmende Alltagsgesicht der Georgstraße an Profil und zum anderen wurde auch der Konzentrationsprozeß der Geschäftshäuser immer deutlicher, der sich im Verkehrsmittelpunkt der Stadt vollzog. Damit bestand die Georgstraße nicht nur aus der repräsentativen Promenade‘, dem Hoftheater und Caféhaus und den Nobelgeschdften zwischen Kröpcke und
Aegidientorplatz. Zwischen Kröpcke und Steintor füllte sich die Georgsstraße mit Waren- und Großkaufhäusern, die mit Schaufenstern und moderner Reklamemalerei auf ihre vielfätigen Verkaufssortimente hinwiesen. In diesem Bereich war die Georgstraße eher geschäftig als vornehm.

 

Dass die Warenhäuser in ihrer Blütezeit vor dem Ersten Weltkrieg zu Symbolen der Massengesellschaft schlechthin wurden, haben sie vor allem den Architekten zu verdanken. Die Entwicklung führte von der Wohnhausform der Anfangsjahre zu monumentalen Zweckbauten mit repräsentativem Charakter. So lässt sich in der deutschen Warenhausarchitektur, auch in Hannover, bis zum Ersten Weltkrieg eine fortschreitende Monumentalisierung feststellen. In ihren Anfängen hatten sich die Warenhäuser auf Billigwaren und eine weniger kaufkräftige, aber zahlreiche Kundschaft eingerichtet. Gerade die Konfektionsprodukte boten den weniger betuchten Käufern eine preiswerte Möglichkeit, Oberbekleidung von der „Stange“, zu kaufen, ohne weiterhin die bis dato übliche und teure Maßanfertigung der Schneiderstuben in Anspruch nehmen zu müssen. Nun musste das Sortiment in Richtung auf Waren besserer Qualität erweitert werden. Dazu brauchte man Kunden aus den gehobeneren Schichten – Leute, die es bisher nicht schicklich gefunden hatten, sich in diesen Kaufstätten sehen zu lassen. Das Warenhaus konnte, wie Salman Schocken 1913 schrieb, „sich diese Möglichkeit (…) nun dadurch schaffen, daß es anstelle seiner bescheidenen, einfachen Verkaufsräume große, repräsentative Warenpaläste aufrichten ließ, die schon ihrer ganzen Ausstattung und Einrichtung nach eine Sehenswürdigkeit des Ortes wurden, die als prächtige Ausstellungshallen dem Warenhaus den Zulauf auch der Käufer für bessere und teurere Stücke brachten.“

Bedingt durch die Erweiterung des Verkehrsnetzes veränderte sich die Haltung der Käufer der Provinz und auf dem flachen Lande. Der persönliche Einkauf in den Geschäften der Großstadt machte besonders für die Damen den Einkauf zu einem Vergnügen. Regelmäßige Reisen in die Großstadt wurden zur selbstverständlichen Lebensbedingung für die Oberschichten der Provinzialbevölkerung. Für die Geschäfte der Großstadt wurden die Geschäfte der auswärtigen Besucher bald wichtige Faktoren, besonders für die teuren und wertvollen Waren. Durch die so vollzogene Aufwertung der Kaufhäuser konnte auch die örtliche Oberschicht allmählich als Käufer gewonnen werden. (1) Die Demokratisierung des Konsums setzte nicht nur Menschen- und Warenströme frei, die im modernen Zentrum aufeinandertrafen, sondern transformierte auch die bisherige profane Einkaufsnotwendigkeit zu einem unter Umstünden bedürfnisunabhängigen Erlebniseinkauf.

Diese Entwicklung ist dem Kaufhaus Molling, das bis zu seiner Zerstörung im Zweiten Weltkrieg Ecke Seilwinder-/Osterstaße stand, fast auf den Leib geschrieben. Seit der Firmengründung 1862 erweiterte sich das Weißwaren- und Wäschegeschäft ständig. Nach und nach wurden die Nachbargrundstücke erworben, bis das neue, nur aus Eisen und Glas erbaute, vierstöckige Geschäftshaus entstand. Unter Anteilnahme der Kaufmannschaft und der Bevölkerung Hannovers – der Neubau galt damals als Sehenswürdigkeit und Sensation – wurde das Damenmodekaufhaus 1904 eröffnet. 180 Angestellte bedienten die stetig wachsende Kundschaft auf einer 3.000 qm großen Verkaufsfläche. Neben den vielfältigen Vergnügungsstätten bildeten die großen attraktiven Warenhäuser, die Kathedralen des Konsums, einen wesentlichen Faktor in der City-Bildung Hannovers.

 

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