Fragen zur Arbeit mit dokumentarischen Geschichtsdarstellungen

 

Peter Stettner

Die film-dokumentarische Geschichtsdarstellung umfasst ein breites Spektrum an Gattungen und Formen: vom klassischen Unterrichtsfilm, der einem illustrierten, didaktisch klar strukturierten Lehrervortrag entspricht, über Dokumentarfilmklasssiker, etwa „Mein Kampf“ von Erwin Leiser (1960), „Hitler – eine Karriere“ von Joachim Fest (1977), „Shoah“ von Claude Lanzmann (1985) bis zu den aktuellen Geschichtsdokumentationen Guido Knopps: „Hitlers Krieger“, „Hitlers Frauen“ etc.

Zunächst muss man sich klarmachen, dass keiner der genannten Filme (und auch kein anderer) zeigt „wie es wirklich war“, auch wenn „wirkliche“ Bilder verwendet werden. Vielmehr eröffnen die Filme eine „Sicht“ auf die Thematik, die einem bestimmten Kenntnisstand entspricht, einem Interesse, einer Annäherungsweise und einer Darstellungsstrategie. Daraus ergeben sich Fragen, die eine selbständige kritische Auseinandersetzung des Betrachters mit den jeweiligen Filmen erleichtern sollen.

Wie sieht der Themenzuschnitt aus?

Kein Film kann ein historisches Thema erschöpfend behandeln. Es werden Schwerpunkte und Prioritäten gesetzt, das Thema wird unter verschiedenen Gesichtspunkten zugeschnitten. Dabei wäre zu hinterfragen, ob ein bestimmtes Darstellungsinteresse und -ziel zu erkennen ist.

Wie wird mit dem Quellenmaterial umgegangen?

Die meisten film-dokumentarischen Geschichtsdarstellungen verwenden historisches Bildmaterial (interessante Ausnahme: „Shoah“). In Bezug auf den Nationalsozialismus ist zunächst festzuhalten, dass fast alles historische „Dokumentar-Filmmaterial“ damaliges NS-Propagandamaterial war. Und die in die Bilder eingeflossene Propagandaperspektive wird auch in anderen Verwendungszusammenhängen weitertransportiert. Gibt es einen kritischen Blick auf die Filmbilder? Oder erliegt der Film der Faszination der Bilder?

Gibt es Quellennachweise?
In vielen Fällen gibt es ein „Bilder-Recycling“: Die gleichen Bilder bzw. Filmsequenzen tauchen in unterschiedlichsten Produktionen immer wieder auf und werden zu einer Art „kollektivem Gedächtnis“. Es stellt sich die Frage, ob ein Film deutlich macht, wo diese und andere Bilder eigentlich herkommen.

Wie ist das Ton – Bild- Verhältnis?

Für die Informationsaufnahme und die Wirkung eines Filmes ist das Ton – Bild – Verhältnis wichtig: Lässt der Kommentar den Filmbildern genug Raum, können die Bilder überhaupt wirken? Gelingt es dem Film, etwa über den Kommentar, die Bilder zum Sprechen zu bringen, oder wird dem Kommentar nur ein „Bilderteppich“ unterlegt? Wird das Verständnis dadurch erschwert, dass die Bildinhalte / -informationen einerseits und der gesprochene Kommentar andererseits eher auseinander gehen (Ton – Bild – Schere)?

Wie werden Zeitzeugen eingesetzt?

In neueren Dokumentationen haben Zeitzeugen eine wichtige Rolle. Dies eröffnet die Chance, die „menschliche“ Komponente (Gestalten, Erleben etc.) von Geschichte zu verdeutlichen, aber auch eine (begrenzte) Perspektive aufzuzeigen. Zu fragen ist, wie mit den Zeitzeugen umgegangen wird bzw. wie sie eingesetzt werden. Beim Einsatz von Zeitzeugen geht es nicht zuletzt um Authentizität und zumindest den Anschein einer größeren Direktheit zu den historischen Ereignissen. Der Bericht eines Zeitzeugen, sein subjektives Erleben, ist kaum kritisierbar. Wird deutlich, dass die Zeitzeugen einen oft jahrzehntelangen Verarbeitungsprozess hinter sich haben? Wird den Zeitzeugen Raum gegeben, ihre Wahrnehmungen und Erinnerungen einzubringen oder werden nur Bruchstücke von Zeitzeugenaussagen verwendet, um eine Darstellungsintention zu belegen?

Die Infragestellung der einzelnen medialen Präsentationsformen (Bilder, Töne, off-Kommentar, Zeitzeugen etc.) erleichtert es, den ersten emotionalen Gesamteindruck eines Films zu überprüfen und eine reflektierte eigene Position zu erarbeiten.

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