Filmischer Expressionismus

Wolfgang Staudte versucht 1946 in seinem Film DIE MÖRDER SIND UNTER UNS sich in der Anlehnung an den expressionistischen Filmstil der Filmästhetik des Faschismus zu verweigern – es gibt Ausnahmen: vor allem über die Rolle und Inszenierung von Susanne Wallner: „Es ist hundertmal gesagt worden: 1945 war es normal, dass der deutsche Film beim Expressionismus wieder anknüpfte. Das bewies nur die sterilisierende Wirkung der Hitlerzeit. Und irgendwo musste ja wieder angefangen werden.“

Der Rückgriff auf den Expressionismus beweist nun nicht nur die sterilisierende Wirkung der Hitlerzeit, sondern bedeutet auch, dass nach dem Ende der nationalsozialistischen Herrschaft in Deutschland die Formen der Kunst, die der Faschismus gebraucht oder missbraucht hatte, nicht bruchlos weiter geführt werden konnten – oder besser, dass es so nicht sein sollte/müsste; denn das Gros der deutschen Nachkriegsfilme beweist nichts anderes als das Gegenteil

Eine grundlegende Intention des filmischen Expressionismus war es, die innere Welt der Empfindungen und Gedanken durch äußere Entsprechungen sichtbar zu machen, vor allem elementare Gefühle wie Angst, Hass, Liebe.

Erster anerkannter expressionistischer Film ist Robert Wienes DAS KABINETT DES DR.CALIGARI aus dem Jahre 1919.59 Die Künstlichkeit der gemalten Kulissen, die indirekte Beleuchtung, das Spiel von Licht und Schatten (Detailausleuchtung, Lichtverzerrungen, Schlagschatten), extreme Bildperspektiven und Kamerastandpunkte wurden von „Caligari“ und anderen Filmen ähnlicher Art inhaltlich gerechtfertigt als Verzerrungen der äußeren Welt, die dem psychischen Zustand der Menschen entsprachen.

„Mit Hilfe einer schöpferisch vorgehenden, auserwählenden Verzerrung, so etwa erklärt Georg Marzynski in seiner ‚Methode des Expressionismus‘ vom Jahre 1921, verfügt der expressionistische Künstler über die Möglichkeit, psychische Komplexe in all ihrer Eindringlichkeit zu gestalten. Indem er diese in den Vordergrund gerückten Komplexe mit optischen verbindet, kann er das innere Leben eines Objekts, den Ausdruck seiner ‚Seele‘ wiedergeben.“

„Bei Einfühlung in Formen“, so erklärt Rudolf Kurtz in seinem Buch ‚Expressionismus und Film‘ im Jahre 1926, „entstehen entsprechende Strebungen in der Seele. Eine gerade Linie führt das Gefühl anders als schräge; verblüffende Kurven, das Rapide, Abgehackte, je Auf- und Absteigende rufen andere seelische Antworten hervor als eine Architektur mit reichen Übergängen.“

Der filmische Expressionismus war eine rein deutsche Erscheinung: Die psychologischen Dispositionen des Deutschland zu Beginn der 20er Jahre, nach einem verlorenen Weltkrieg und einer gescheiterten Revolution, korrespondierten mit dem düsteren, unheimlichbeklemmenden und depressiv-pessimistischen Erscheinungsbild des Expressionismus im Film.

Die meisten bedeutenden Regisseure des deutschen Stummfilms (wie Paul Lehni, Leopold Jessner, Lupu Pick, G. W. Papst, E. A. Dupont, Friedrich Wilhelm Murnau, Fritz Lang und eben Robert Wiene) leisteten ihren Beitrag zum Expressionismus bzw. verwandten seine Stilmittel. Doch auch der Drehbuchautor Karl Meyer sowie Maler, Architekten und Bühnenbildner Röhrig, Reimann, Warm und Herlth waren an der Entwicklung der expressionistischen Formsprache maßgeblich beteiligt.

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