Filmbewertung „Niedersachsen ’45“ aus dem Jahr 1983

Die Stärke des Films liegt in der Aussagekraft des auf mehrere Schwerpunkte konzentrierten Bildmaterials. Es geht nicht um die Vermittlung eines Erklärungszusammenhangs für die deutsche Nachkriegssituation, sonder Anschauung soll Erinnerung bei den älteren und Vorstellungskraft bei den Jüngeren Betrachtern ativieren.

Die Sinnlosigkeit von vereinzeltem deutschen Widerstand wird deutlich in den Anfangsbildern von der bereitwilligen Übergabe deutscher Einheiten, in Grafiken zum Frontverlauf, der auf deutscher Seite nicht mehr übersehen wurde.

Luftbilder und Nahaufnahmen zeigen den Grad der Zerstörung in Großstädten, hier Hildesheim und Hannover: zerstörte alte Stadtkerne, Wohnhäuser, Verkehrsverbindungen, Bahnhöfe, Brücken, kaum Industrieanlagen.

Die Reaktion derZivilbevölkerung (Nahaufnahmen bei der Besetzung von Hildesheim und Hannover) reichen von skeptischem Abwarten bis zu Begeisterung und Erschrecken.

Das Entsetzen der Alliierten über das Ausmaß der NS-Verbrechen und die Suche nach den Schuldigen werden dokumentiertin der Verhörszene auf dem Seelhorster Friedhof und in Bildern von der Befreiung des Lagers Bergen-Belsen.

Der Film schließt mit eindruchsvollen Sequenzen über Flüchtlingsströme und Anfänge des Wiederaufbaus.

Der gesprochene Kommentar unterstreicht die Bildwirkung und liefert zusätzliche Informationen nur im Zusammenhang der Veränderungen des Frontverlaufs und der Kapitulationsverhandlungen. Das heißt, der Film ist kein „Selbstläufer“ in dem Sinn, dass der Betrachter ein vollständiges Bild der Lage im späteren Land Niedersachsen gewinnt und sich von daher den relativ schnellen Wiederaufbau erklären könnte.

Vielmehr muss ein Erklärungszusammenhang für die Nachkriegsentwicklung mit zusätzlichem Informationsmaterial hergestellt werden. So vermittelt der Film mit Luftbildern und Nahaufnahmen sehr konkrete Eindrücke vom Zerstörungsgrad der Städte Hildesheim und Hannover. Der elativ schnelle Wiederaufbau wird aber nur verständlich, wenn man weiß, dass industrielle Produktionskapazitäten durchschnittlich nur zu etwa 11% zerstört waren, dass Kleinstädte und Dörfer als Rückzugs- und Versorgungsgebiete für die großstädtische Bevölkerung genutzt werden konnten. Die britische Einschätzung der voraussichtlichen LVerkehrsituation und Flüchtlingskonzentrationage in den zu besetzenden deutschen Gebieten vom 4.4.1945 stellt eine ausgezeichnete Prognose für die Situation in den verschiedenen deutschen Regionen dar. Zieht man die unterschiedlichen Möglichkeiten hinsichtlich Ernährung, Wohnraum, Verkehrssituation und Flüchtlingskonzentration nicht in Betracht, muss der wiederaufbau in der Tat als reines Wunder erscheinen (vgl.  das entsprechende Zitat des englischen Besatzungsoffiziers im Filmkommentar!)

Ein anderer Schwerpunkt des Films bedarf ergänzender Informationen: die Suche der Alliierten, hier der Amerikaner, nach Hauptschuldigen der NS-Verbrechen und der Umgang mi den für schuldig gehaltenen Deutschen. Die Szenen über die Befreiung des Konzentrationslagers Bergen-Belsen sprechen für sich selbst (Vgl. dazu den Beitrag vonEberhard Kolb), die Verhörszene auf dem Seelhorster Friedhof bedarf dagegen der Ergänzung.


aus: Ulrich Schneider/Irmgard Wilharm: Niedersachsen ’45. Filme zur politischen Bildung 6.1. Beschreibungen und Begleitmaterial, hrsg. von der Niedersächsischen Landeszentrale für politische Bildung, Hannover 1983, S.3/4

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