Diskussion im „Film-Echo“ um „Demontage der Traumfabrik“ im Jahr 1947

Demontage der Traumfabrik (1)

Helmut Käutner – Film-Echo, Nr. 5, Juni 1947

Der Neubeginn einer deutschen Filmproduk­tion sah sich nach dem Zusammenbruch des Jah­res 1945 den gleichen Schwierigkeiten gegen­über wie jeder Aufbau wirtschaft­licher oder geistiger Natur in un­seren Tagen. Was bisher in allen Zonen gesche­hen ist, ist kaum mehr als die ersten unsiche­ren Geh­versuche und mehr dazu ange­tan, die Schwierigkeiten deut­lich zu machen und die Grenzen erkennen zu las­sen, innerhalb der sich ein Neuaufbau vollziehen kann, als Veran­lassung zu einem ir­gendwie gearteten Optimismus zu geben. Die meisten der ent­scheidenden Hilfsquel­len, sei es Militärre­gierungen, Kulturver­tretungen, Or­ganisatio­nen, Wirtschafts­ämter und dergleichen ha­ben im Rahmen ihrer be­scheidenen Mög­lichkei­ten al­les getan, zu helfen. Die Künstler und ihre techni­schen Helfer haben jede Art von Entbeh­rung und Not auf sich genommen, um das ihre zu tun. Ein ent­scheidender Helfer aber steht noch abseits: das deutsche Publikum.

Die   w i r t s c h a f t l i c h e   H i l f e ,   die von dort kommt, ist zwar bedeutend, denn niemals ist der Besuch der Lichtspieltheater so groß gewesen wie heute, die   w e s e n t l i c h e   H i l f e   aber, das wirkliche echte Inte­resse an der geistigen Neuformung des deutschen Films, ist bisher ausgeblieben.

Die meisten deutschen Filmschaffenden sind sich darüber klar, daß es nicht mög­lich oder gar erstrebenswert ist, an den geschehenen Dingen und ihren Folgen vorbeizulügen. Sie sind der Meinung, daß man die Traumfabriken endgültig demon­tieren muß. Die Probleme des deutschen Gestern, des deutschen Heute und des deutschen Morgen, soweit sie sich schon abzeichnen, müssen Hauptthema unserer Arbeit werden.

Es sind verschiedentlich Versuche dieser Art gemacht worden. Das deutsche Publi­kum hat bisher nicht darauf reagiert. Es wendet sich ostentativ von jeder Zeit­bezüglichkeit ab, die sie aufgrund einer schlechten Angewohnheit für Tendenz oder Propaganda hält. Es will Entspannung, Konflikte statt Probleme, äußere Handlungen statt Erleben, und es will immer wieder eine Welt dargestellt sehen, deren angenehme Seiten ebenso endgültig der Vergangenheit angehören, wie die unangenehmen ihr angehören sollten. Die Zeit zwischen dem 1. Weltkrieg und Hit­ler, die noch vor kurzem so vielen als die „verabscheuungswürdige, gottverfluch­te Systemzeit“ erschienen war, ist wiederzugewinnen plötzlich Wunschziel der meisten. Die Reste des falschen Nationalismus haben in dieser Welt ebenso ihren festen Platz wie die alte Ordnung von Arm und Reich, und da in der heutigen Welt

für solche Dinge einfach kein Platz mehr ist oder sein kann, ist die Flucht in die letztbekannte Form eines normalen Gestern, menschlich absolut verständlich.

Aber wir sollten diese Flucht nicht unterstützen. Die einmalige Chance und viel­leicht die einzige dieses Zusammenbruchs gilt es zu nutzen: Wir haben durch Opfer unvorstellbarer Ausdehnung eins gewonnen, eine neue Basis, darauf zu ste­hen, zu gehen und zu bauen sich lohnt. Unser Feld ist wieder frei. Aber der Boden hat schwer gelitten, und er hat durch Leid und Erleben eine so entschei­dend andere Zusammensetzung erfahren, daß wir nicht von ihm aus Trägheit und Gedankenlosigkeit die gleichen Pflanzen, Blüten und Früchte wie gestern erwarten dürfen. Es wird manches Unkraut auf ihm wachsen. Wir haben nicht immer das Werk­zeug zur Hand, es zu jäten. Es wird auch noch manches mit Zähneknirschen zu ernten sein, was gestern gesäht wurde und heute erst aufgeht. Aber ich glaube, wir dürfen dennoch die Gewißheit haben, daß dazwischen und dahinter, und mehr und mehr allmählich vorherrschend etwas Vernünftiges, Anständiges, vielleicht sogar Edles wächst, sicherlich aber etwas Neuartiges.

Das Publikum sollte die Geduld haben, diese Entwicklung abzuwarten und durch ihr Interesse denen zu helfen, die sie zu beschleunigen sich anschicken. Es sollte sich von oberflächliches Formulierungen, wie „Trümmmerfilm“, hüten, die das Bestreben der deutschen Filmkunst lächerlich machen, sich endlich einmal mit der Wirklichkeit auseinanderzusetzen. Es sollte mit Verachtung alle jenen Versuche strafen, aus Geschäftsinteresse seiner Bequemlichkeit entgegenzukommen. Die deut­sche Kritik zeigt überall Ansätze zur Zusammenarbeit in diesem Sinne, das deut­sche Publikum aber, von wenigen Ausnahmen abgesehen, steht noch abseits – .


Filmtheater kein Forum Academicum

Gustav Zimmermann, Geschäftsführender Direktor des Landesverbandes Hessischer Filmtheater – Film-Echo, Nr. 7, Juli 1947

Auf den Artikel, den Helmut Käutner in Nr. 5 des „Film-Echo“ unter der Zeile „Demontage der Traumfabrik“ für uns schrieb, hat die Schriftleitung aus allen Teilen der Zone zustimmende und ablehnende Zuschriften bekommen. Aufgrund der journalistischen Geflogenheiten lassen wir nachstehend eine der ablehnenden Stimmen zu Worte kommen.

Die Schriftleitung

Als Leiter einer Filmtheater-Organisation und Kenner des Filmtheaters, vom Standpunkt des Filmtheater-Besitzers aus gesehen, erlaube ich mir zu dem Thema „Demontage der Traumfabrik“ einige kritische Bemerkungen zu machen:

Persönlich bekenne ich mich   f a s t   zu der Auffassung des Herrn   K ä u t n e r ,   weil ich nach meinem Erleben und meiner Veranlagung nach ein auf „Moll“ abgestimmtes Individuum bin und die „50“ bereits überschritten habe. Ich würde aber sehr bedauern, wenn der von uns ersehnte neue deutsche Film sich uns fortgesetzt als problematisch und zeitnahe entbieten würde. Wir leben seit Jah­ren in den Trümmern unserer einst so schönen und sauberen Städte als Über­lebende eines Kriegsgeschehens, wie es noch keine menschliche Generation bisher zu erle­ben hatte. Ich bin überzeugt, daß die breite Masse unserer Volkes durch das persönliche Erleben all des Schauerlichen und Schrecklichen den Krieg als die Ursache all unserer Not und des Elends endlich erkannt hat und die jetzt lebenden Generationen ihn daher hassen werden und auch die Schul­digen erkannt haben.

Es bedarf daher durchaus nicht ständiger Filmwerke, um uns griffeste Tatsachen immer wieder vor Augen zu führen.

„Der Mörder ist unter uns!“ oder „In jenen Tagen“ sind aktuelle Zeitfilme und daher zu begrüßen, weil sie uns klar und eindringlich ein Bild abrunden, das sich der Einzelne nicht in solcher Vollendung ausmalen kann.

Der Film soll aber in Zukunft nicht   ü b e r w i e g e n d   darauf abgestellt sein. Zeitproblme zu erörtern oder uns ewig nach den Ursachen und Schuldigen raten oder suchen zu lassen.

Warum sollen wir unserer Jugend zu all ihrem Unglück auch noch das Lachen ver­wehren? Warum sollen wir ihr nicht wenigstens auf der Bildwand einen Wunschtraum erfüllen? Ist es vielleicht heute anstößig, Bilder zu zeigen und Musik und Spra­che dazu zu liefern, die in Sinnenrausch und Leidenschaft schwelgen, oder uns Idylle tiefster menschlicher Glückseligkeit vortäuschen? Warum glaubt man, uns nicht Lustspiele, Romanfilme, Schwänke, historische oder utopische Filme bieten zu dürfen?

Vielfältig, wie in der Buchwelt, muß uns auch unsere Filmwelt erhalten bleiben. Für   a l l e   muß das Groß der Filme im Sujet abgestimmt sein. Das schließt nicht aus, daß es auch einen Zeitfilm, politischen Film, Dokumentarfilm, Sport­film, Kulturfilm usw. geben soll und muß.

Das Publikum darf keinesfalls gerügt werden, weil es abseits steht und von „Trümmerfilmen“ spricht, sondern, wenn es beharrlich abseits stehen bliebe, müßte der Film bzw.   s e i n e   H e r s t e l l e r   gerügt werden, denn der Film soll dem Wunsch der Filmtheaterbesucher, in der Masse gesehen, weitgehendst entsprechen und nicht umgekehrt, denn schließlich ist ein Filmtheater eine doch mehr der Unterhaltung und Entspannung dienende Kulturstätte und kein „Forum Academicum“.


Im Westen nichts Neues

Karl Sabel – Film-Echo, Nr. 8, Juli 1947

„Ein entscheidender Helfer aber steht noch abseits: Das deutsche Publikum, … Das wirklich echte Interesse an der geistigen Neufassung des deutschen Films ist bisher ausgeblieben.“ So schrieb Helmut Käutner in der „Demonatage der Traumfa­brik“ (Film-Echo Nr. 5).

Es ist eine Lanze zu brechen – für das Publikum, das so gern Helmut Käutner applaudiert und es weiter tun wird, wenn es dazu Gelegenheit erhält. Und es wird auch für den neuen deutschen Film Interesse zeigen, indes kann dies nur gesche­hen, wenn man ihm diese Filme vorführt. In Wahrheit zeiht Käutner das Publikum einer Sünde wider den Geist des Films, obwohl es die Sünde gar nicht gegehen konnte, denn es kennt den neuen deutschen Film nicht. Käutner sagt so allgemein „Publikum“ und meint nur Hamburg und Berlin mit ihren satten Programmen. Ganz gewiß kann er das Ruhrgebiet nicht meinen, obwohl hier ein wunderbares Filmland liegt, sechs bis sieben Millionen Menschen, die viel Geld bringen, mit dem viele Filme gemacht werden.

Aber das Ruhrgebiet ist heute wieder tiefste „Provinz“. Es gibt keine franzö­sischen Filme, keine amerikanischen, keine russischen, die ausländische Produk­tion ist lediglich durch die englische vertreten, und daneben zieht der Reigen des deutschen Vorgestern vorüber von „Frasquita“ bis „Nachtfalter“. Im Westen nichts Neues! Das ist die Lage. Der Westen lebt filmisch von der Zeit zwischen 1933 und 1945. Er erntet immer noch „was gestern gesäht“ wurde. Die Offenbarun­gen der Traumfabrik von gestern werden ihm aufgedrängt, die Traumfabrik wird eher remontiert, als demontiert. Und da gerade eine Generation neuer Filmgänger her­aufgekommen ist, findet die Magie der Wunschträume jungfräuliche Herzen.

Ein leichter Sieg. Der Lebensstil dieser Welt ohne Trümmer und Probleme ist bezaubernd, und weil der Mensch aufs Innigste sich wünscht, was er nicht be­sitzt, und weil Sehnsucht ein elementarer Antrieb ist, so sind wir tüchtig am Werk, den Jungen das Gestern als ein Lebensideal von morgen erstrebenswert zu machen. Welch betäubende Propaganda für die „Trägheit und Gedankenlosigkeit“, die Herrn Käutner so traurig stimmt.

Der neue deutsche Film – wo ist er? Für das Ruhrgebiet existiert er nicht. Wir wollen vom einzigen uns bekanntgewordenen Novum schweigen, von dem „sagen wir die Wahrheit“, bloß zu vermerken wäre, daß es von den anachronistischen Reprisen des gleichen Genres sich nur unterscheidet, indem es schlechter ist als sie.

Die Millionen Filmbesucher im Ruhrgebiet warten noch auf die Begegnung mit den „Trümmerfilmen“ „jenen Tagen“. Ihren guten Willen „en bloc“ zu diskreditieren, sollte Käutner nicht unternehmen, da er noch gar nicht weiß, was sie sagen wer­den, Aber wissen muß er, daß die Remontage der Traumfabrik die einzige Montage ist, die derzeit hier vor sich geht, und daß dies beklagenswerte Übel von denen gefördert wird, deren so vortrefflicher Vertreter, Helmut Käutner, das Fort­wuchern des trägen Geistes lebhaft beklagt, nämlich von der Filmwirtschaft selbst. Der Pfeil flog falsch – das Publikum in „Abseitsstellung“ retourniert ihn. Und erwartet statt Anklagen – Filme.

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