Die Sünderin (1951)

Inhalt

Die „Sünderin“ Marina wächst in einer zerrütteten Familie im nationalsozialistischen Deutschland auf. Ihr Stiefvater ist durch seine Distanz zum NS-Regime ohne Arbeit, die Mutter lässt sich von fremden Männern aushalten. Als ihr Stiefbruder versucht, Marina zu verführen, geht sie darauf ein und lässt sich für ihr „Entgegenkommen“ fortan beschenken. Als der Stiefvater hinter das Verhältnis der beiden kommt, verprügelt er seinen Sohn und wirft Marina aus dem Haus. Sie hält sich mit Herrenbekanntschaften über Wasser und erlebt das Ende des Krieges in München, wo sie es zu einer Wohnung und etwas Wohlstand gebracht hat. Hier trifft sie eines Tages in ihrer Stammbar auf den Maler Alexander. Sie nimmt den Mann, der trinkt und von seiner Frau verleugnet wird, mit in ihre Wohnung, wo er ihr am nächsten Morgen erzählt, dass er einen Gehirntumor und nur noch wenige Wochen zu leben habe. Er ist entschlossen, seinem Leben mit Schlaftabletten ein Ende zu setzen, wenn er sein Augenlicht und damit seine Arbeitsgrundlage verlieren sollte. Marina respektiert diese Entscheidung, versteckt jedoch seine Schlaftabletten vor ihm. Mit Marinas Erspartem reisen sie nach Italien, Alexander beginnt wieder zu malen. Sie verbringen eine glückliche Zeit, bis Alexander von seiner Krankheit eingeholt wird. Nach der Rückkehr nach München versucht Marina, den Arzt zu finden, der eine Operartion Alexanders für möglich gehalten hatte. Das für den Eingriff nötige Geld will Marina beschaffen, indem sie sich erneut in einer Bar anbietet. Doch ihr gelingt es nicht, einen „Kavalier“ für sich zu gewinnen. Am Rande der Verzweiflung erkennt sie in einem Besucher der Bar den Gesuchten. Sie geht mit ihm in ein Hotel. Dort erkennt der Arzt in Marina Alexanders „Frau“ und veranlasst sofort die Operation. Während des Eingriffs betet Marina voller Inbrunst zu Maria und Jesus und bittet sie um Fürsprache bei Gott, an den sie sich wegen ihrer Vergangenheit glaubt nicht direkt wenden zu dürfen. Nach dem Eingriff scheint Alexander genesen und die beiden ziehen nach Wien, wo Alexander wieder zu malen beginnt, vor allen Akte Marinas. Die Bilder sind gefragt, Alexander wird als neues Talent gefeiert. Als er das Bild „Die Sünderin“ nach einem Akt Marinas beendet hat, erblindet Alexander plötzlich. Marina, die ihm für diesen Fall versprochen hatte, ihn von seinem Leiden zu erlösen, gibt ihm eine Überdosis Schlaftabletten und begeht Selbstmord.

Film in der BRD der 50er und frühen 60er Jahre

Originaltitel Die Sünderin
Produktionsland Deutschland
Originalsprache Deutsch
Erscheinungsjahr 1951
Länge 87 Minuten
Stab
Regie Willi Forst
Drehbuch Willi Forst
Georg Marischka
Gerhard Menzel
Produktion Rolf Meyer
Helmuth Volmer
Musik Theo Mackeben
Kamera Václav Vich
Schnitt Max Brenner
Besetzung
  • Hildegard Knef: Marina
  • Gustav Fröhlich: Alexander
  • Änne Bruck: Marinas Mutter
  • Wera Frydtberg: Kollegin
  • Robert Meyn: Marinas Stiefvater
  • Jochen-Wolfgang Meyn: Marinas Stiefbruder
  • Andreas Wolf: Arzt
Uraufführung: 18. Januar 1951 in Frankfurt, Turm-Palast
Neues über Film und Funk

Willi Forst über seine „Sünderin“

Die Kritiker halten einmal wieder den Atem an. Mit Willi Forsts erstem Nachkriegsfilm „Die Sünderin“ (Gemeinschaftsproduktion Deutsche Styria und Junge Film-Union im Herzog-Verleih) tritt abermals ein Film an die Öffentlichkeit, von dem man auf Grund der Namen Gerhard Menzel und Willi Forst einiges erwarten darf und von dem jeder im stillen hofft, er werde der deutschen Filmproduktion zur künstlerischen Ehre gereichen. Die Premiere wird beweisen, ob der in diesen interessanten Stoff gesetzte Optimismus begründet war oder nicht. Vorbehaltlich einer Rezension dieses Films nach seiner Uraufführung lassen wir heute einmal Willi Forst selbst zu Worte kommen.

Ich bin in den vergangenen Jahren oft gefragt worden: Warum machen Sie nichts? Wann machen Sie etwas? Was machen Sie denn nun?, daß ich selbst ein wenig erstaunt war, als wir endlich mit der „Sünderin“ begannen. Aber erst bei der Arbeit spürte ich, wie gut eine so lange Filmpause, eine so gründliche Vorbereitung tut. Ich glaube, dies Gefühl der gründlichen Arbeit, des Durch-und-durch-Gedachten und des Durch-und-durch-Gestalteten wird sich auch auf den völlig unvoreingenommenen Zuschauer übertragen.

Verstehen Sie mich nicht falsch! Der Film, hier also die „Sünderin“, darf deshalb nicht schwer und mühsam wirken. Im Gegenteil, diese in jeder einzelnen Szene delikate, ja gewagte Handlung, diese bis ins kleinste ausgewogene filmische Schilderung einer „großen Liebe“, die es im Leben doch häufiger gibt, als wir anzunehmen bereit sind, muß bis ins letzte hinein frei und gelöst wirken.

Seit Wochen erschienen Artikel über mich. die „Willi Forst auf neuen Wegen“ oder so ähnlich betitelt waren. Das sind bestimmt verlockende Überschriften, aber sie zielen doch ein wenig am Kern der Sache vorbei. Ich glaube nicht, daß ein Regisseur so einfach mir nichts dir nichts seinen alten Weg verlassen und einen neuen einschlagen kann. Ich möchte vielmehr behaupten, daß jeder – und man lege bitte in diese Worte kein falsches Pathos -, daß jeder seinen eigenen Weg finden und ihn dann gehen muß. Das hat nichts mit irgendeinem übertriebenen Schicksalsglauben zu tun. Im Gegenteil. Darin bestätigt sich nur eine gewisse Einsicht, daß man genau weiß, was man sich selbst wann zumuten darf. Und in diesem Zusammenhang möchte ich auch für mich in Anspruch nehmen, daß zwischen der „Sünderin“ und meinen früheren Filmen ein sehr gerader Zusammenhäng besteht. Worin er liegt, werden gewitzte Kritiker sicher herausfinden. Ich möchte Ihnen da nicht vorgreifen.

Nur in einem Punkt gebe ich den Journalisten, die mehr von mir zu wissen scheinen als ich selbst, gern recht: Je schärfer die Filmkonkurrenz wird, je schwerer sich die wirtschaftlichen Verhältnisse gerade für den deutschsprachigen Film gestalten – und ich gehöre nicht zu den Optimisten, die annehmen, der Druck des Auslandes und vor allem Amerikas werde über Nacht nachlassen -, je mehr kommt es darauf an, profilierte Filme zu schaffen – also Werke, die sich irgendwie aus dem grauen Durchschnitt herausheben, die etwas Besonderes zu sagen haben, ganz gleichgültig, wie sie es sagen.

„Die Sünderin“ war doch ein Wagnis, ein größeres als ich je annahm. Ich habe mich ehrlich mit ihr herumgeplagt. Und solange man sich plagt, spricht man nicht gern.

Aus: Westfälische Rundschau 12.1.1951

Günther Matern, kaufmännischer Direktor von Rolf Meyers JFU, sah sich im Drehbuch um und griff sofort zu. Nicht ohne mit Köpfchen, Köpfchen, die Münchner Kalkulation von 1,5 Millionen auf etwas mehr als die Hälfte gedrückt zu haben. Und man ist damit auch ausgekommen.

Die Finanzierung ging glatt auf: mit dem größten Anteil stieg der Herzog-Verleih ein, den Rest besorgten JFU und die österreichische „Styria“. Der Name Willi Forst zog wie ein gutgehender, eingeführter Markenname. Forst bekam seine 50 000 für die Regie und 50 Prozent Gewinnbeteiligung und dazu l0 000 DM extra zugesprochen. (…)

Außer Hildegard Knef und Fröhlich holte Forst sich keine geläufigen Filmgesichter vor die Kamera. Der Grund: „Das hält ja keiner mehr aus! Wenn der Florath kommt, weiß man, jetzt wird’s gemütlich, beim Oskar Sima wirds schurkig-geschäftig, und mit Schafheitlin kommt fast immer die Kriminalpolizei.“

Der Film hatte ursprünglich nicht „Die Sünderin“ heißen, sondern den weit weniger an- und aufregenden Titel „Monolog“ haben sollen.

Weil er einer ist: „Eine Frau – Marina: Hildegard Knef – erzählt, was sich auf der Leinwand abspielt, ihr Leben, mit ein paar „echten“ Dialogstellen dazwischen.

„Film der lauten Gedanken“ nennt Forst das.

Er hatte so etwas schon vor Jahren vor, und die Idee ließ ihn nicht los – „obwohl mittlerweile das Kommentieren und die innere Stimme zur Filmlandplage geworden sind“. (…)

Das tragen Forst und Menzel nicht in chronologischer Folge vor. Sie haben daraus ein raffiniert verschlungenes Gewebe von Imperfekt und Plusquamperfekt gemacht. Sie lassen die Geschichte kurz vor dem Ende beginnen und blenden dann in die Vergangenheit und daraus wieder in die Vorvergangenheit zurück. (…)

Es klebt überhaupt viel Schweiß an der „Sünderin“. Noch zuletzt wandte Forst vier Wochen hektischen Nachsynchronisierens, Dialogtrimmens, Herausschneidens an den Film.

Am Tonband mußten Worte weggewischt werden, der Text mußte gestrafft werden. Hildegard Knef synchronisierte ihre Sünderinnen-Erinnerungen tagelang nach.

In einer Barszene wurde der Name einer Drehbuchfigur geändert. Es handelt sich um einen Herrn, einen alten Bekannten Marinas, den sie um einige tausend Mark für Alexanders Operation angeht. Der Herr, zuerst sehr entgegenkommend, zeigt sich angesichts der hohen Summe alsbald befremdet und uninteressiert. Dieser Herr hieß im Drehbuch anfangs Baumgartner. Er wurde umgetauft, mit Rücksicht auf das MdB dieses Namens.

Die Schluß-, die Sterbeszene erwies sich als zu ausführlich. Marina und Alexander starben achtzig Meter lang. Das wurde auf 46 Meter zurückgeschnitten.

Ganz herausgenommen wurde die Szene, in der Alexander von Marina das Veronal verlangt, das sie vor ihm in Sicherheit gebracht hat. „Er würgt Marina, seiner Sinne nicht mehr mächtig“ steht im Drehbuch. „Zu brutal“, sagten die Herren vom Verleih. Sie hatten, als sie den Film zuerst ohne Ton und in ganzer Länge gesehen hatten, allerhand zu sagen. (…)

„Forst-Filme waren immer noch internationale Geschäfte“, freut Matern sich. Forst dämpft: „Abwarten“. Doch ganz pessimistisch ist er nicht. „Bei der Todesszene hat’s mich selber gewürgt. In meinem eigenen Film – ich bin mir saublöd vorgekommen.“ Das Verdienst daran schreibt er bescheidenerweise dem Komponisten Theo Mackeben zu.

 

Spiegel, 17.1.1951

Filmbeschreibung aus der Illustrierten Film-Bühne Nr. 1030

Der Inhalt des Films ist die Liebesgeschichte der jungen Marina, eines Mädchens aus unseren Tagen. Außergewöhnlich schön und verführerisch scheint Marina zur Sünde geboren zu sein, bis sie den vom Tode gezeichneten Maler Alexander kennenlernt. Von diesem Augenblick an vollzieht sich in ihr die große Wandlung und Läuterung: gestern noch eine berechnende Dirne, erhebt sie sich opferbereit und in selbstloser Hingabe an einen hilfsbedürftigen Menschen aus den Niederungen ihres unsteten Lebens zum Höhenflug reiner und wahrer Liebe. Wenn ihr Vorleben an uns vorüberzieht, werden wir uns bewußt , daß wir, unabhängig von der Frage der Schuld oder Unschuld, diese Marina lieben müssen. Ihr sündhaftes Leben erscheint uns in einem anderen Licht, wenn wir erfahren, daß Elternhaus und schlechte Gesellschaft sie zu dem gemacht haben, was siw wurde: eine Gestrandete. Wir lernen sie lieben, weil sie liebt, wie im Grunde jeder Mensch geliebt werden möchte. Sie liebt den von seiner Frau verlassenen unverstandenen Alexander mit einer Inbrunst, die uns diese „Sünderin“ edel, wertvoll, reich und keusch erscheinen läßt. Wir beginnen ihre Vergangenheit zu vergessen, um ihr Leben zu bangen und ihren Weg zu verstehen. Das Schicksal Marina  umfaßt den weitgespannten Bogen von den tiefsten Tiefen eines Frauenlebens bis zu seinen höchsten Höhen. Es appelliert an das Herz, das immer früher spricht als der Verstand und kündet von der allesüberstrahlenden Kraft der LIebe und ihrer Reinheit und Schönheit. Das ist der Sinn dieses Films: Urteilt nicht zur asch über Menschen. Seht genauer hin, und ihr werdet bei jedem Menschen eine liebenswerte Seite entdecken. Horcht auf, und ihr werdet das Herz des anderen schlagen hören. Bedenkt, daß es im Leben der Menschen nicht immer so ist, wie es die meisten gern wahrhaben möchten, und daß sie der Nachsicht und Güte ihrer Mitmenschen bedürfen. – Wenn Marina ihrem Geliebtendie letzten Qualen seines Lebens erspart und ihm dann in den Tod folgt, dann ist dieser Entschluß keine Flucht aus einer Ausweglosigkeit. Ohne den geliebten gibt es kein Leben mehr für sie – es ist Erfüllung geworden. „… und wer von euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein auf sie.“


Fotografien in der Galerie: Filminstitut Hannover

„Auch das noch!“ – „Die Sünderin“ im Bundesarchiv

Zum 90. Geburtstag von Hildegard Knef (28.12.1925 – 1.2.2002) stellt das Bundesarchiv Dokumente zum Film „Die Sünderin“ vor.

bundesarchiv.de

 

Hintergrund zu den Protesten gegen den Film

Kein Film der fünfziger Jahre hat die Gemüter so erregt, wie „Die Sünderin“. Bei dieser Kooperation von JFU und der Deutschen Styria-Filmgesellschaft mbH übernahm die JFU die technische Durchführung. Für die Regie wurde Willi Forst verpflichtet, der auch die Idee für das Drehbuch geliefert hatte.
Im Hinblick auf die späteren Proteste ist es interessant, dass bereits in der Vorbereitungsphase die Brisanz des Stoffes erkannt und daher eine Einbeziehung der FSK, ebenso wie von Vertretern der evangelischen und katholischen Kirche in die Enstehung des Filmes beschlossen wurde. Ende November 1950 wurde die Rohschnittfassung dann Vertretern der beiden Kirchen vorgeführt, die sich zwar nicht begeistert von Ethik und Stoff zeigten, aber auch keine absolute Ablehnung erkennen liessen. Die FSK gab den Film ohne Auflagen, lediglich mit der Empfehlung zweier Schnitte frei und verbot nur die Aufführung vor Jugendlichen unter 16 Jahren und an stillen Feiertagen. Die empfohlenen Schnitte wurden nicht vorgenommen, der Film wie geplant am 18.1.1951 uraufgeführt.

Wenige Tage nach der Uraufführung kündigten die Vertreter der Kirche ihre Mitarbeit in der FSK auf, da sie ihre Interessen nicht mehr vertreten sahen. Im Folgenden wurden die Proteste der Kirchen und kirchennaher Kreise so massiv, dass der Film in einigen Städten sogar polizeilich verboten wurde. Trotzdem oder gerade deswegen sahen ca. fünf Millionen Menschen den Film in den ersten vier Monaten. Die höchsten Besucherzahlen verzeichnete er Anfang März auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzungen; mit dem Abebben der Skandaldiskussion im Frühsommer gingen auch die Besucherzahlen zurück. „Die Sünderin“ war also dank der Proteste und Boykottaufrufe der Kirchen ein Publikumserfolg geworden, zu dem er sich ohne diese ungewollte „Promotion“ durch seine Gegner wohl in diesem Maße nicht entwickelt hätte.

Hildegard Knef zu den Protesten

„Als ich (…) München verließ, war aus dem Erfolg Verfolgung geworden, hatte ich Namen verloren, war er mit ‚Sünderin‘ ersetzt, waren Drohbriefe, Morddrohungen, im Detail aufgeführte Anliegen zahlloser Sexualverrückter tägliche Lektüre. Von Kanzeln angegriffen und von Pfarrern zerpflückt, von Tränengas und Stinkbomben verfolgt, von Protestkundgebungen und Umzügen begleitet, war der Film dennoch oder deswegen in seinen ersten drei Wochen von zwei Millionen Deutschen gesehen worden.“
(Der geschenkte Gaul).

Angriffe auf die Kunstfreiheit

Zu meinem großen Schmerz wird der berüchtigte Film DIE SÜNDERIN trotz aller Proteste zuständiger Stellen nun auch in Köln, in der Metropole unserer
Erzdiöse aufgeführt … Ich erwarte, daß unsere katholischen Männer und Frauen, erst recht unsere gesunde katholische Jugend in berechtigter Empörung und in christlicher Einmütigkeit die Lichtspieltheater meidet, die unter Mißbrauch des Namens der Kunst eine Aufführung bringen, die auf eine Zersetzungder sittlichen Begriffe unseres christlichen Volkes hinauskommt« So hieß es in dem Mahnwort, das Joseph Kardinal Frings, Erzbischof von Köln, am Sonntag, den 4. März 1951 von allen Kanzeln der Erzdiözese verlesen ließ. Willi Forsts erster Nachkriegsfilm DIE SÜNDERIN war der größte Skandalfall des deutschen Nachkriegsfilms. Die Kirchenvertreter zogen vorübergehend aus der FSK aus, weil sie die Freigabe des Films nicht verhindern konnten. Allerorts kam es zu wilden Demonstrationen. Geistliche warfen in Kinos Stinkbomben. Stadt- und Kreisbehörden von Bundesländern verbiten die Aufführung des Films, Kabinette von Bundesländern attestierten ihm nicht nur ‚entsittlichende Wirkung‘, sondern sogar ‚verfassungsfeindliche Tendenzen‘. Als Landes- und Oberlandesgerichte Polizeimaßnahmen gegen SÜNDERIN-Aufführungen sanktionierten, ging es schon nicht mehr um den Film selbst, sondern nur noch um die Frage, ob die Film-Freiheit  in der Bundesrepublik einer Polizei- und Staatszensur weichen würde. Es wurde von einem neuen Kulturkampf gesprochen. Aber dann entschied das Karlsruher Bundesgericht, Film falle nicht unter ‚freie Meinungsäußerung‘, sondern sei ein ‚Erzeugnis der Kunst‘. Damit war er für die Zukunft vor Polizeizensur weitgehend geschützt. Das war die letzte gute Tat der SÜNDERIN, die ja überhaupt auf der Leinwand nur gesündigt hatte, um Gutes zu tun.

aus: aus: C. Bandmann/J. Hembus: Klassiker des deutschen Tonfilms 1930-1960. München 1980, S. 164

Der Filmkrieg

Proteste, Beschimpfungen gegen die Geistlichkeit, Stinkbomben, Verletzte: Vor 60 Jahren stand Regensburg am Rande eines Bürgerkriegs. Wegen des Kinofilms „Die Sünderin“, in dem Hildegard Knef eine Prostituierte spielte.

Die Demonstranten warfen Stinkbomben, skandierten Parolen, schmähten den Bischof und die Geistlichkeit. Heute vor 60 Jahren, am 21. Februar 1951, stand Regensburg am Rande eines Bürgerkriegs. Ausgelöst wurden die Tumulte von einem Kinofilm, der die Bevölkerung in Befürworter und Gegner entzweite. „Die Sünderin“ lautete der Titel des Skandalstreifens, in dem die damals 25-jährige Hildegard Knef für wenige Sekunden ihre nackte Brust zeigte.

mehr: SZ.de, 5. Oktober 2011

Als der Würzburger Bischof gegen Knefs „Sünderin“ wetterte

Zu Beginn des Jahres 1951 sorgte der Skandalfilm „Die Sünderin“ mit Hildegard Knef für ein Zerwürfnis zwischen Zeitungsherausgeber und Julius Döpfner. Was war passiert?

mehr: Main Post, 17.01.2021 

Als „Die Sünderin“ verboten wurde

60 Jahre „Freiwillige Selbstkontrolle“ in Deutschland. Ihre Geschichte zeigt auch den Wertewandel unserer Gesellschaft.

Heute kann sich jeder Jugendliche den Film „Die Sünderin“ (Regie Willi Forst, Drehbuch Georg Marischka, Musik Theo Mackeben) ansehen. Er wird die schemenhafte Sicht auf ein bisschen Blöße der Hildegard Knef eher langweilig finden. Die Freiwillige Selbstkontrolle (FSK) der Filmwirtschaft hat „Die Sünderin“ inzwischen ab zwölf freigegeben.

Die FSK ist jetzt 60 Jahre alt geworden. In ihrer Geschichte spiegelt sich die Prüderie, aber auch die wachsende Freizügigkeit der deutschen Gesellschaft eins zu eins wider. 1951, als „Die Sünderin“ mit einer Freigabe ab 18 Jahren in die Kinos kam, war ein Skandal fällig. In Regensburg ließ der CSU-OB Georg Zitzler die Vorstellungen in den heute nicht mehr existierenden Kammerlichtspielen verbieten.

weiter: Harald Raab in: Mittelbayerische Zeitung 28.09.2009 [20.11.2023]

 

 

Sünderin
Achtzig Meter lang gestorben

Laster und Liebe, Schuld und Sühne“ formulierte werbetüchtig Pressechef Ritter vom Herzog-Verleih. Einen Superlativ setzte er noch oben drauf: „Der ungewöhnlichste Film des Jahres“.

Zur Rede stand: „Die Sünderin“, Willi Forsts erster Film nach sechs regiefernen Jahren. Am Donnerstag ist Premiere, knapp ein Jahr, nachdem Forst anfing, in drei Reichenhaller Arbeitsmonaten zusammen mit Gerhard Menzel seine Geschichte von der Sünderin Marina ins Reine des Drehbuchs zu schreiben.

Weder neu noch originell

Gedanken zum Forstfilm „Die Sünderin“

Wir haben Willi Forsts ersten in Deutschland gedrehten Nachkriegsfilm mit Spannung erwartet. Wir erhofften uns von einem der besten Filmregisseure Europas einen Streifen, der die verlorengegangenen Maßstäbe wieder aufrichten könnte. Vielleicht waren solche Erwartungen von vornherein zu hochgespannt.

Das Thema des Films ist weder neu noch originell durchgeführt: von einem Doppelselbstmord aus wird zurückblendend die Geschichte eben jener „Sünderin“ Marina erzählt, die früh und unverschuldet eine Dirne wird, an der Seite eines todkranken Mannes die wirkliche Liebe erlebt und schließlich gemeinsam mit ihm Veronal nimmt, „weil es nicht mehr weitergeht“. Wir haben ähnliches – auch nach dem Krieg – schon öfter exemplifiziert bekommen; daß dieser Film dennoch den Durchschnitt der deutschen Nachkriegsproduktion überragt, verdankt er einzig und allein deren Niveaulosigkeit.

Westfälische Rundschau 2.2.1951

„[Der Film] ist künstlerisch belanglos und in der Wirkung verderblich, ja er ist geradezu ein Schulbeispiel für jene Einstellung, bei der sich Gewinnsucht hinter gespielter Ernsthaftigkeit verbirgt.“
Aus: Theo Fürstenau: „Der Reigen“ und „Die Sünderin“, in: Westfälische Nachrichten(Ahaus), 3. Februar 1951, nach Jürgen Kniep: Keine Jugendfreigabe!, S. 62–63.

Kein Film der fünfziger Jahre hat die Gemüter so erregt, wie „Die Sünderin“. Bei dieser Kooperation von JFU und der Deutschen Styria-Filmgesellschaft mbH übernahm die JFU die technische Durchführung. Für die Regie wurde Willi Forst verpflichtet, der auch die Idee für das Drehbuch geliefert hatte.

Und der „Skandal“ interessiert auch heute noch mehr als der Film selbst.

„Die Sittenwächter waren außer sich, die Kirchen riefen zum Boykott auf. In manchen Kinos flogen gar Stinkbomben. Aber „Die Sünderin“ hatte auch Folgen für die Hauptdarstellerin: Hildegard Knef galt für viele als verrucht und hatte Schwierigkeiten, Rollen zu finden.“

„Die Biographie einer Dirne – als effektvolles ‚Zeitschicksal‘ in Szene gesetzt und mit jener kommerziellen Gefühligkeit ausgestattet, die keine wirkliche Tragik zulässt. In so verlogener Zubereitung muß ein derartiger Stoff auch dann anstößig wirken, wenn die Regie auf den lasziven Anstrich einiger Szenen verzichtet hätte. Abzulehnen wegen hinnehmender Darstellung der Prostitution und der Tötung auf Verlangen sowie der romantischen Verklärung des Selbstmordes. (Spätere Schnitte vermochten den negativen Gesamteindruck nicht aufzuheben.)“ – 6000 Filme. Kritische Notizen aus den Kinojahren 1945 bis 1958. Handbuch V der katholischen Filmkritik, 3. Auflage, Verlag Haus Altenberg, Düsseldorf 1963, S. 419.

Das war die letzte gute Tat der SÜNDERIN, die ja überhaupt auf der Leinwand nur gesündigt hatte, um Gutes tun zu können. Wir haben das Wort ihres Erzeugers dafür. Noch vor der Premiere im Januar 1951 erklärte Willi Forst seinen Film so: »Das Hohelied einer Frau beweist uns durch die alles  überstrahlende Kraft der Liebe, daß es dicht neben Schmutz und Finsternis auch Reinheit, Helligkeit und  Schönheit geben kann.« Es wäre ein bißchen zu leicht, ihn beim Wort zu nehmen und das als das letzte, vernichtende Urteil über DIE SÜNDERIN stehen zu lassen. In Wirklichkeit ist DIE SÜNDERIN der interessanteste schlechte deutsche Film aus einer Zeit, da es fast nur schlechte deutsche Filme gab. Heillos interessant ist es zum Beispiel, wie Forst die allegorischen Trickspielereien aus seinen Wiener Operetten-Filmen mit makabrer Note, aber ganz ernstgemeint in die Hintertreppen-Geschichte übernimmt: Alexander malt seinen Arzt, auf dem Bild verwandelt sich der Kopf des Arztes in den Kopf eines Todesengels. Sehr eindrucksvoll auch die Forstsche Metaphorik: Martina (eine ausgezeichnete Leistung von Hildegard
Knef) geht wieder auf den Strich, um Geld für Alexanders Operation zu verdienen, nächtlich steigt sie durch Schmutz und Trümmer, und damit mans
auch glaubt, sagt sie im Off-Kommentar: »Wieder mußte ich durch Schmutz und Trümmer steigen . . .« Der Film hat nämlich einen Kommentar, oder vielmehr: er besteht aus einem endlosen, bebilderten Monolog Martinas, die vor dem Griff nach dem Veronal noch mit ihren Gedanken in der Vergangenheit herumspringt. Bei besserer Verarbeitung des Sujets und etwas mehr Kunstverstand hätte der Film eine kühne Vorwegnahme heutiger filmischer Erzählstrukturen werden können. Wie die Dinge liegen, wirkt er mehr wie ein nachträglich mit Ton versehener Stummfilm, der einem verwirrten Cutter in die Hände gefallen ist. Aber er hat die Faszination aller
heillos chaotischen und wüst verkitschten Filme.

aus: C. Bandmann/J. Hembus: Klassiker des deutschen Tonfilms 1930-1960. München 1980, S. 164/65

„Kolportagehaftes Nachkriegsdrama; der Doppelselbstmord und eine Nacktszene der Knef machten den Film damals zum großen skandalträchtigen Kassenschlager.“ (Wertung: 2 Sterne = durchschnittlich) – Adolf Heinzlmeier und Berndt Schulz in Lexikon „Filme im Fernsehen“ (Erweiterte Neuausgabe). Rasch und Röhring, Hamburg 1990

 

 

Die Sünderin [2014]

Rekordbesuch, Kirchenproteste, Stinkbomben und Tränengas

Wieder einmal gibt es in Frankfurt großen Starrummel. Zur deutschen Erstaufführung des Films Die Sünderin im Turmpalast erscheinen der Regisseur Willi Forst sowie die Hauptdarsteller Hildegard Knef und Gustav Fröhlich. Alle drei verneigen sich artig vor einen Beifall klatschenden Publikum, doch bei den Pressegesprächen kommt auch reichlich Frust auf. Vor allem Forst gibt sich pikiert, weil sein Werk bei der Freiwilligen Filmkontrolle in Wiesbaden zunächst durchgefallen ist.

Willi Forst bittet die Journalisten eindringlich darum, ihn in der Wirrnis des deutschen Nachkriegsfilms nun „nicht im Stich zu lassen”. Täte man dies, dann würde es in Zukunft wohl nur noch „Das Dritte Schwarzwaldmädel von rechts” geben. Der Verdruss des Regisseurs ist durchaus verständlich. Der Österreicher hat schon bei den Vorbereitungen der Dreharbeiten erfahren müssen, dass das Thema seines Films nicht überall wohlgelitten ist. Forst will den Film ursprünglich in München realisieren, muss jedoch kurzfristig in die Studios der Jungen Filmunion nach Bendestorf  bei Hamburg ausweichen, da ihm in Bayern aufgrund des strittigen Filmthemas kein Atelier zur Verfügung gestellt wird. Weil in der Lüneburger Heide die Dreharbeiten dann ohne größere Aufmerksamkeit verlaufen, ahnt er nicht, dass sein Film bald Schlagzeilen in Deutschland verursachen wird. Die Aufregung um den melodramatischen Streifen beginnt drei Tage vor der geplanten Premiere am 18. Januar.

weiterlesen bei: DamalsKino (Erich Stör) 18. Januar 2014

Es war 1951 der perfekte Skandal, der wochenlang durch die Medien geisterte und große Protestwellen auslöste – und auch wenn man das heute gerne dem blanken Busen von Hildegard Knef in die Schuhe schiebt, der hier für einen ganz kurzen Moment zu sehen ist, so griff die Empörung über DIE SÜNDERIN doch wesentlich tiefer: Es ist weniger diese kleine Szene, die die Kirchenvertreter damals dazu brachte, aus dem Gremium der FSK auszutreten, weil diese den Film mit einer Altersfreigabe versah. Es ist die Geschichte selbst, die von Prostitution über Suizid bis hin zur Sterbehilfe eine ganze Reihe heikler Themen aufgriff – und das in einer Weise, die ganz entgegen des Titels die Geschehnisse nie verdammt. ⇒ weiter

„Die Sünderin“ sorgte für den Kinoskandal der Nachkriegszeit

„Sündiger“ Klassiker: „Die Sünderin“ feierte vor 70 Jahren Premiere. Die Nation war damals erschüttert.

Koblenz. Die Nation war erschüttert, wochenlang gab es in den Medien kaum noch ein anderes Thema als „Die Sünderin“. Dabei war nicht der kurz aufblitzende blanke Busen der Knef Auslöser von Proteststürmen. „Die Annahme, dass die Kirchen gegen die wenige Sekunden lang zu sehenden Brüste der Schauspielerin zu Felde gezogen seien, ist zwar aus dem heutigen Mythos ‚Sünderin‘ nicht wegzudenken, entbehrt aber jeder Grundlage“, erklärt Jürgen Kniep in seinem Buch „Keine Jugendfreigabe! Filmzensur in Westdeutschland 1949 – 1990“. Vielmehr schlugen die Empörungswellen so hoch, weil der Film aus damaliger Sicht gleich mehrere Tabus thematisierte: Prostitution, Tötung auf Verlangen und Suizid.

Um „ein gesundes, deutsches Ehrgefühl“ zu verteidigen, verteilten Sittenwächter vor den Lichtspielhäusern Flugblätter; Geistliche warfen in Kinos mit Stinkbomben und streuten Niespulver. Nicht nur der katholische Filmdienst rief zum Boykott auf. „Die Sünderin“ sei ein Faustschlag ins Gesicht jeder anständigen deutschen Frau. „Sollten Hurerei und Selbstmord die Ideale eines Volkes sein?“, fragten aufgebrachte Moralprediger. Der Kölner Erzbischof Kardinal Josef Frings geißelte das Leinwanddrama als „Zersetzung sittlicher Begriffe“ und forderte: „Ich erwarte, dass (…) unsere gesunde katholische Jugend in Empörung und in christlicher Einmütigkeit die Lichtspieltheater meidet.“

> mehr: Michael Ossenkop in: Rhein-Neckar-Zeitung, 17.01.2021

Melodram um eine Hure

 
Skandal, Aufstand, Irritation – die Knef lässt sich nackt im Garten filmen! Der Kölner Kardinal Frings wetterte gegen diesen Film und die „Zersetzung der sittlichen Begriffe“ – Willi Forst konnte sich über ein lebhaftes Echo zu seinem ersten Nachkriegsfilm nicht beklagen. Nicht nur die katholische Kirche wusste, dass das Wort „Sünde“ unwiderstehlich lockt. Die Kinos waren voll. Der angebliche Skandal war der beste Reklameagent. Hildegard Knef gehörte nicht zu den Angepassten in der Filmbranche. Sie war etwas Besonderes. Sie wagte es, sich für ihr Publikum auszuziehen. (Unvorstellbar, dass eine Ruth Leuwerik diese Rolle übernommen hätte…) > weiter
 
 

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