Die Ehe der Maria Braun (1978)

Inhalt

Die Ehe der Maria Braun dauerte nur „einen halben Tag und eine ganze Nacht“. Hermann (Klaus Löwitsch), der Ehemann, mußte zurück an die Front. Nach Kriegsende: Maria (Hanna Schygulla) schlägt sich durch, sie arbeitet in einer Bar, in der nur amerikanische Soldaten verkehren. Der Schwarze Bill (George Byrd) wird ihr Liebhaber, sie er­wartet ein Kind von ihm. Als Hermann eines Abends wiederkommt, prügelt er auf Maria ein, die mit Bill im Bett liegt. Maria schlägt Bill, der sie verteidigen will, eine Flasche Über den Kopf, er stirbt. Vor Ge­richt nimmt Hermann die Schuld auf sich. Maria besucht ihn im Zucht­haus, sie will arbeiten „und mit dem Leben fangen wir an, wenn wir wieder zusammen sind“. Nach einer Fehlgeburt lernt Maria den Textilfa-brikanten Karl Oswald (Ivan Desny) kennen. Er erfährt die Geschichte von Hermann. Sie wird Sekretärin, Assistentin, Vertraute und Geliebte von Oswald, der ihr und Hermann nach seinem Tod sein Vermögen vererbt. Als Hermann aus dem Zuchthaus entlassen wird, verpaßt ihn Maria nur knapp. In einem Brief teilt er ihr mit, daß er erst sein eigenes Le­ben schaffen muß, bevor er zu ihr zurückkehrt. Als Hermann Jahre spä­ter zu Maria kommt und mit ihr ein neues Leben anfangen will, erbittet sie sich Bedenkzeit. Sie will sich einen Kaffee kochen, als sie eine Zigarette anzündet, explodiert das ausströmende Gas, eine Explosion jagt alles in die Luft.


Produktionsland Deutschland
Originalsprache Deutsch
Erscheinungsjahr 1979
Länge 115 Minuten
Altersfreigabe FSK 12
Stab
Regie Rainer Werner Fassbinder
Drehbuch Peter Märthesheimer,
Pea Fröhlich
Produktion Albatros / WDR
Musik Peer Raben
Kamera Michael Ballhaus
Schnitt Rainer Werner Fassbinder (als Franz Walsch),
Juliane Lorenz

DarstellerInnen

  • Hanna Schygulla: Maria Braun
  • Klaus Löwitsch: Hermann Braun
  • Ivan Desny: Karl Oswald
  • Gisela Uhlen: Mutter
  • Elisabeth Trissenaar: Betti Klenze
  • Gottfried John: Willi Klenze
  • Hark Bohm: Senkenberg
  • George Byrd: Bill
  • Günter Lamprecht: Hans Wetzel
  • Lilo Pempeit: Frau Ehmke
  • Claus Holm: Arzt
  • Horst-Dieter Klock: Mann mit Auto

Maria – eine Kinofigur, die in sich sehr komprimiert Wünsche, Eigenschaften und Sehnsüchte von Zuschauern verkörpert

Die Maria ist sicherlich keine realistische Figur, sondern etwas, was man gemeinhin eine Kinofigur nennt. Darunter verstehe ich eine Figur, die in sich sehr komprimiert Wünsche, Eigenschaften und Sehnsüchte von Zuschauern verkörpert. Man kann sagen, sie ist mutig und zielstrebig, sie ist eine, die sich voll auf ihre -Gefühle verläßt, und die dabei keine Transuse ist, sondern eine hochhandlungsfähige, schlaue, geschickte und realitätsbewusste Person, die trotz alledem an ihren Gefühlen festhält. Am Schluß kehrt die Kinofigur sozusagen auf den Boden dieser Erde zurück. Und da merkt sie, daß am Himmel nicht nur Schäfchenwolken sind, daß die Sonne ebenfalls trübe verhangen scheint, daß die Erde ziemlich krumm und bucklig ist. Da sagt sie sich: Wenn das so ist dann mach ich Schluß mit dieser Welt. Sie sagt das sehr pathetisch. Was hat si sonst an Möglichkeiten, nachdem sie so hoch balanciert hat? Im Drehbuch hat sie einen realistischen Autounfall selbst herbeigeführt, im Film einen Gasunfall. Das Pathos in dem Maria neunzig Minuten lang gelebt hat, wird in diesem Augenblick den realen Umständen konfrontiert. Nun finde ich wichtig, daß die Person Maria trotz alledem Recht hat; daß sie auch noch Recht hat, wenn sie sich auf diese Weise von der Welt verabschiedet. Aber sie hat auch Recht mit der Art und Weise gehabt, wie sie ihr Leben geführt hat. Sie verweigert es, leicht zu leben«

(Aus dem Presseheft zum Film)

Den zeitgenössischen Kritikern war schon – unabhängig von Differenzen im Detail – zur Uraufführung bei der Berlinale klar, dass man es mit einem großen und populären Film zu tun hatte.

Menschen werden in Ideen großgezogen und müssen in der Wirklichkeit leben. Maria Braun, Fassbinders Kinoheldin, hat eine Idee von Liebe und Ehe und dem Einzigen, aber die Wirklichkeit ist Deutschland, von 1944 bis 1954.

(…)

In der modischen Woge von Fuffziger-Jahre-Devotionalien und Wirtschaftswunder — Vergangenheitsbewältigung stellt Fassbinders ebenso anteilnehmend herzliches wie analytisch kaltes Melodram einer immer wieder aufgeschobenen und schließlich explodierenden Vereinigung einen Glücksfall an filmischen Einsichten dar.

Zwar läßt sich der Film als schlüssige deutsche Parabel nachbuchstabieren, aber er ist daneben voll von Widerspruch, Lebendigkeit, Witz und Genauigkeit in der Figurenzeichnung — ein exaktes Abbild von Deutschland im Nachkriegswinter und im Wirtschaftswunderfrühling.

(…)

Vollständiger Text: Der  Spiegel vom 19.02.1979, Nr. 8

Fassbinders Film eröffnet die neunundzwanzigste Berlinale

Selten ist ein Filmfestival so glanzvoll eröffnet worden wie jetzt die 29. Berlinale. Denn statt des weltweit üblichen Brauchs, zu Beginn auf Nummer sicher zu gehen, hatte man in Berlin den Mut, auf die junge Filmproduktion des eigenen Landes zu setzen. Und man hatte Glück damit. Denn Raier werner Fassbinders „Die Ehe der Maria Braun“ ist ein hervorragender Film und sicher der beste, den er in den letzten fünf Jahren gedreht hat.
(…)
Was seine „Ehe der Maria Braun“ von so vielen künstlerischen Rekonstruktionen deutscher Nachkriegsgeschichte unterscheidet, ist die melodramatische Form. Das Heißt: Trotz aller Gedauigkeitim zeittypischen Detail – von der Balgerei um Zigarettenkippen bis hin zum Wandel der Kleidermoden und Wohnungseinrichtungen – geht es hier vor allem um Veranschaulichung von gefühlen. Fassbinders Rekonstruktion erfolgt aus historischer Distanz, da er selbst als Angehöriger des Jahrgangs 1946 die Nachkriegsjahre ja nicht mehr erlebt hat. Nur gegenüber jener Epoche, die er nicht aus eigenem Erleben kennt, hat er den Mut, die einzig entscheidende frage zu stellen, was Menschen damals wohl empfunden haben mögen, als umsie herum alles in Trümmern lag. Er hat den Mut, diese Epoche mit seinen eigenen, mit typischen Fassbinder-Menschen auszustatten, und gerade an diesen zeitlosen, weil erdichteten Figuren wird ablesbar, wieviel und wie wenig die Zeit den Menschen anhaben kann.

Sobald Fassbibder sich jedoch auf den einer Realität begibt, die er und wir zur Genüge kennen, verlieren seine Menschen zunehmend an Glaubwürdigkeit, so, als wäre unsere unmittelbare Vergangenheit noch nicht reif für eine Rekonstruktion mit poetischen Mitteln. Die Stunde Null verwandelte Deutschland in einen Dschungel, in dem die einfachen Gesetze von Gut und Böse galten und vor allem: in der es mit all den Trümmern und Schiebern, den Siegern und Opfern eine Okonographie gab, die optisch erfahrbar machte, was sich im Innern abspielte.

Die Wohlstands-Epoche hingegen ist, wie im Film bezeichnenderweise gesagt wird, „keine gute Zeit für Gefühle“…
(…)

Auszug aus: Gerhard Wiegand: Die Ehe der Maria Braun“ in: FAZ vom 21.02.1979

 

Portrait der Nachkriegsjahre

Rainer Werner Fassbinder entwirft in diesem Film ein Porträt der Nachkriegsjahre (zeitlich endet der Film mit der Übertragung des Fußballspiels um die Weltmeisterschaft 1954). Die Menschen müssen die Zukunft und das Leben auf ein Ungewisses Morgen verschieben, da das Jetzt mit Aufbau und Aufstieg ausgefüllt ist. Die Protagonistin paßt sich dieser gefühllosen Welt an, verzichtet auf Emotionalität zugun­sten materieller Werte. Fassbinder verknüpft individuelles Schicksal mit der frühen Geschichte der Bundesrepublik und weist damit schon auf Themen seiner späteren Filme hin. Gisela Uhlen als Mutter der Maria Braun und Hanna Schygulla als Maria Braun spielen die Rollen der Frauen nuanciert, weisen in ihrer Darstellung auf die Diskrepanz hin: im Kopf noch die tradierten Wertvorstellungen der weiblichen Verhal­tensweisen, in der Praxis mit der Durchsetzungskraft eines „Mannes“ überleben zu müssen.


Aus: Zentrale Filmografie Politische Bildung. Hrsg. vom Institut Jugend Film Fernsehen, München, Band V: 1990, S. 36

Die Ehe der Maria Baraun  – Lola – Die Sehnsucht der Veronika Voss

(…) Mit Die Händler der vier Jahreszeiten beginnt auch  Fassbinders Auseinandersetzung mit der Gesellschaft der jungen Bundesrepublik, die er einige Jahre später in seiner Trilogie der Nachkriegszeit und der Adenauer-Ära forführt: es entstehen Die Ehe der Maria Baraun (1979), Lola (1981) und Die Sehnsucht der Veronika Voss (1982). Diese drei Filme ergeben zusammen mit Effie Briest (1974), Berlin Alexanderplatz (1980) und Lili Marleen (1981) eine filmische Geschichtsschreibung, die die deutsch gesellschaftliche Entwicklung in ihrer politischen Kontinuität aufzeigt und bloßlegt.

Geschichte und Gefühle, Geschichten der großen Gefühle und deren notwendiges Scheitern in einer neureichen, kapitzalistischen Gesellschaft mit autoritärer Tradition, werden von Fassbinder radikal subjektiv inszeniert.

(…)

In seiner Trilogie der Nachkriegszeit stellt Fassbinder – wie so oft in seinen Filmen – die Frauen in den Mittelpunkt und zeigt an deren Geschichte die bundesdeutsche Gesellschaft des Wiederaufbaus und des Wirtschaftswunders in ihrer Restauration und faschistischen Kontinuität. Auf die Frage, warum er so oft Frauen als Protagonistinnen wähle, antwortete er in einem Interview:

„Über Frauen lassen sich alle Sachen besser erzählen. Männer verhalten sich meist so, wie es die Gesellschaft von ihnen erwartet. Frauen schwimmen eher gegen die Normen. Sie sind konswquenter, transparenter. Männer spielen immer ihre Rollen.“

Maria, „die Trümmerfrau“, setzt allesaufs Spiel für ihre große Liebe, ihren Mann Hermann. Er sitzt im gefängnis, sie macht für ihn Karriere in einem privaten Wirtschaftsunternehmen und glaubt, ihre Liebe aufsparen zu können, indem sie viel Geld verdient, um endlich das richtige Leben mit Hermann nach dessen Entlassung zu beginnen. Maria merkt nicht, daß sie,immer erfolgreicher im Beruf, gerade das verspielt, verliert, was ihr Ziel war: ihre Liebe. Aber nicht nur die liebende AMria verändert sich und stirbt, sonder auch die tüchtige Geschäftsfrau Maria muß sterben, denn 1958 [gemeint ist 1954] erstarkt die junge Bundesrepublik erneut in ihrem Nationalgefühl. Deutschland wird Fußballweltmeister, die Männer haben wieder das Sagen. Ein Typ wie Maria muß verschwinden.


aus: Ursula Bessen: Trümmer und Träume. Nachkriegszeit und fünfziger Jahre auf Zelluloid. Deutsche Spielfilme als Zeugnisse ihrer Zeit. Bochum 1989, S. 380ff

Während die zugrundeliegende Story durchaus interessant ist, wartet Die Ehe der Maria Braun eigentlich nur mit zwei Szenen auf, die so richtig lange im Gedächtnis bleiben werden: Zum einen die sehr pfiffige Antwort der Maria auf die Frage eines Amerikaners im Zug (Günther Kaufmann), wo sie denn so gut Englisch gelernt hätte; zum anderen die letzten zehn Minuten, insbesondere das bedeutungsschwangere Ende: Operation Weltmeisterschaft gelungen, Patientin tot. Wir sind wieder wer als Nation, während die einzelnen Existenzen gescheitert sind. Der restliche Film hingegen zieht sich hier und da ein wenig, auch wenn das langsame Pacing sicher im Sinne des Erfinders war und nicht etwa auf Inkompetenz zurückzuführen ist. Punkten kann Die Ehe der Maria Braun allerdings mit dem energischen Schauspiel der Schygulla sowie den beinahe dokumentarisch angehauchten Trümmerbildern von Michael Ballhaus.

aus: Jaschar Marktanner: film-rezensionen.de – Dienstag, 19. September 2017

Geschichten von Hoffnungen und Wünschen, von Illusionen und zerstörten Gefühlen

Filmvergleich 1: UND ÜBER UNS DER HIMMEL  und UNSER TÄGLICH BROT
Suchende Männer – verbindliche Werte und Perspektiven für das Leben

Filmvergleich 2: DIE EHE DER MARIA BRAUN und RAMA DAMA
Starke Frauen – Sehnsüchte und Illusionen des Alltags

Filmvergleich 3:
Geschichte ist Gegenwart, Gegenwart wird Geschichte.


Hier der vollständige Text
Detlef Endeward: Geschichten von Hoffnungen und Wünschen, von Illusionen und zerstörten Gefühlen. Nachkriegsgesellschaft als Gegenwart und Geschichte im Film. Ursprünglich in: FWU Magazin 1-2/1995, S. 21-28
als Word und pdf

Hier der vollständige Text
Detlef Endeward: Geschichten von Hoffnungen und Wünschen, von Illusionen und zerstörten Gefühlen. Nachkriegsgesellschaft als Gegenwart und Geschichte im Film. Ursprünglich in: FWU Magazin 1-2/1995, S. 21-28
als Word und pdf

 

 

 

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