Die Besetzung und die ersten Wochen unter alliierter Besatzung

Der Krieg endete für viele Menschen im heutigen Niedersachsen bereits im Laufe des Monats April 1945. Mit den vorrückenden Truppen und der Besetzung der jeweiligen Städte und Regionen endeten die Kampfhandlungen und die Zeit der Besatzung begann. Die Menschen erlebten diese Tage sehr unterschiedlich: Faschisten befürchteten, für ihre Taten bestraft zu werden. Soldaten erlebten diese Tage als Niederlage. Die große Zahl der  sich jetzt als unpolitisch bezeichnenden Mitläufer waren unsicher, was mit ihnen geschehen würde. Die wenigen überlebenden Widerstandskämpfer und die Menschen in den Gefängnissen und Konzentrationslagern erlebten diese Tage als Befreiung. Eine Stunde Null war es für niemand und mit der Zukunft wurden gleichermaßen Hoffnungen wie Ängst verbunden.

Der Film NIEDERSACHSEN ’45 zeigt exemplarisch zu Beginn Bilder vom Vormarsch der allierten Truppen im April 1945 und von der Besetzung Hildesheims und Hanovers. Außerdem zeigt er im weiteren Verlauf die Kapitulationsverhandlungen in der Lüneburger Heide sowie die Bekanntmachung der Kapitulation in Lüneburg und erste Maßnahmen der Reorganisation der Verwaltung.

In diesem Bereich bieten wir Dokumente und Beiträge zur historischen Einordnung dieser Bilder an. Zum Einstieg veröffentlichen wir exemplarisch zwei kurze Beiträge. Zunächst unmittelbar mit Bezug zu den Filmbildern, den Bericht eines Offiziers aus dem Stabd des Kampfkommandanten von Hannover über die innermilitärischen Diskussionen vor der Besetzung der Stadt und dann zum Vergleich die Vorgängen um die Besetzung Wolfenbüttels, einer weitgehend unzerstörten Stadt im östlichen Niedersachsen. Begleitend dazu dokumentieren Auszüge aus dem Tagebuch eines Wolfenbütteler Lehrers die Erfahrungen eines Zivilbürgers.


Bericht eines Offiziers aus dem Stab des Kampfkommandanten von Hannover über das Kriegsende in Hannover (9./10.04.1945)

Als Kampfkommandant für Hannover war der Stadtkommandant General L eingesetzt.

Sein Stab befand sich im Friederikenschlößchen. Da aber dieses im Falle eines Beschusses von hannover nicht genügend Schutz bot, wurde mir am 6.4.45 vormittags der Befehl erteilt, den Gaubefehlsstand zu beschlagnahmen. Der Beschlagnahme widersetzte sich der Stab des Gauleiters erfolglos. Am Abend hielt noch der Gauleiter die Ansprache, jeder Stein und jede Ruine müßte verteidigt werden. Daraufhin floh er im Kraftwagen in den Harz. Gleich darauf versuchten Hitler-Jungen die gesamte Einrichtung zu zerstören, was zum größten Teil durch mein persönliches Eingreifen und  durch auf meinen Befehl eingesetzte Wehrmachtsangehörige verhindert werden konnte.

Als ich am 9. April vormittags die Nachricht erhielt, daß durch den Volkssturm die Schleuse Anderten und die Fabriken Ahrberg und Harry beim Einmarsch der Amerikaner gesprengt werden sollten – auf Befehl des Gauleiters – habe ich sofort auf eigene Veranlassung die erforderlichen Gegenmaßnahmen getroffen und so die Schleuse und die Fabriken vor der Zerstörung gerettet und dadurch unübersehbares Unheil verhindert.

In den Abendstunden des 9.4.45 erschienen beim Kampfkommandanten L. Oberbürgermeister B., Regierungspräsident B. und Polizeipräsident D. und baten um kampflose >Übergabe der Stadt, zumal schon in Linden Plünderungen eingesetzt haben sollten. Es wurde den Herren bedeutet, daß Hannover – General L., T. und ich hatten schon vorher die kampflose Übergabe beschlossen – kampflos übergeben werde. Da die Herren aber noch selbst mit dem Generalkommando sprechen wollten, wurde telefonisch Verbindung – das Generalkommando war bereits am 6.4.45 in Richtung Celle ausgewichen – hergestellt und ihm der Wunsch der drei Herren vorgetragen. Ebenso wurde auch mit dem Oberkommando West Verbindung aufgenommen. Beide Dienststellen lehnten es ab, mit den 3 Herren persönlich zu sprechen und bedeuteten dem Kampfstab, daß er vor ein Kriegsgericht gestellt würde, wenn Hannover kampflos übergeben würde.

Trotzdem erklärte General L. den genannten Herren: „Gehen sie ruhig nach Hause, Hannover wird nicht verteidigt.“

In der Nacht vom 9./10. April wurde der einzigen bei Pattensen im Kampf stehenden Panzerabwehrkompanie und einer aus 50 Hannoverschen Schutzleuten bestehenden Polizeitruppe durch Krad melder der Schutzpolizei, die der Polizeipräsident zur Verfügung gestellt hatte, der Befehl gegeben: Die Panzerabwehrkompanie setzt sich vom Feinde in  Richtung Celle, die Polizeitruppe auf Hannover, ab.

Am 10.4.45 um 7.30 Uhr befahl Geberal L., die offiziere und übrigen Wehrmachtsangehörigen zum letzten Appell antreten zu lassen. Bei diesem sagte General L.: „Der weitere Kampf ist nutzlos und erfordere nur Blutvergießen. Wer nach Hause gehen will, soll das tun, wer aber trotzdem noch kämpfen will, schlage sich in Richtung celle durch.“ Daraufhin verbschiedeter er sich von Ihnen. Mit Herrn vn T. und mir fuhr General L. zum Tiefbunker des Generalkommandos. Hier wurde die letzte Verbindung mit dem generalkommando aufgenommen und berichtet: In Hannover toben schwere Straßenkämpfe, wir können uns nicht halten und ziehen uns auf Cellezurück, Dann trennten wir uns. General L. und T. fuhren in ihre Wohnungen – General L. hat sich dann später freiwillig den Amerikanern gestellt. Ich selbst begab mich wegen eines Magengeschwürs in dasLazarett Steuerndieb.

Um 9.30 Uhr besetzten die Amerikaner kampflos die Stadt Hannover.

Tatsächlich ist gegen General L., T. und mich einkriegsgerichtliches Verfahren eingeleitet, aber nicht mehr zur Durchführung gekommen, weil das Generalkommando inzwischen in Gefangenschaft geraten war.

(Dieser Bericht wurde im August 1949 verfasst und befindet sich in der Zeitgeschichtlichen Sammlung beim Hauptstaatsarchiv Hannover, Nr. 6 – zitiert nach: Ullrich Schneider/Irmgard Wilharm: Niedersachsen ’45. Hrsg von der Niedersächsischen Landeszentrale für politische Bildung, Hannover 1983, S. 15/16)


Vgl. ausführlich: Klaus Mlynek: Die letzten Tage des Krieges. In: Geschichte der Stadt Hannover, Bd. 2: Vom Beginn des 19. Jahrhunderts bis in die Gegenwart, hrsg. von Waldemar R. Röhrbein und Klaus Mlynek, Hannover 1994


Aus den Tagebuchaufzeichnungen eines Wolfenbüttler Lehrers

Ο Voralarm (oder Vorentwarnung) ⊕ Alarm (oder Entwarnung)

01. April 1945, Ostern
Die alliiierten Marburg, Kassel, Fulda, Münster
Ο 8:30 Uhr – 9:30 Uhr

02. April 1945, Montag
Ο 22:04 Uhr   ⊕ 22:30 Uhr –  23:30 Uhr 
⊕ 23:50 Uhr – 24:40 Uhr
⊕ 01.20 Uhr

(…)

04. April, Mittwoch
Ο 09:05 Uhr  ⊕ 09:35 Uhr – 10:55 Uhr
⊕ 11:20 Uhr – 11:40 Uhr
Man stelle sich vor, wie unter solchen Verhältnissen der Unterricht verläuft, der bei „Luftwarnung“ geschlossen und eine Viertelstunde nach Vollentwarnung wieder aufgenommen wird.
Und wie geht das Geschäftsleben?
Ο 18:45 – 19:25
Ο 22:00 Uhr  ⊕ 22:15 – 23:30 Uhr
⊕ 01:30 Uhr – 02:00 Uhr, danach ?

(…)

09. April, Montag

Besetzung Wolfenbüttels im April 1945

Am 11. April 1945 gegen 10:30 Uhr rollten die Panzer der 9. US-Armee in wolfenbüttel ein. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte der größte Teil der nationalsozialistischen Parteigrößen die Stadt verlassen und sein heil in der Flucht gesucht. Bürgermeister Fritz Ramien war geblieben, und er erklärte vor dem Rathaus die Übergabe der Stadt. Für Wolfenbüttel war damit der Krieg zu Ende.

Der letzte Appell – dann setzte sich Gauleiter Lauterbacher ab

Dieser kampflosen Übergabe war in den Tagen vorher eine Reihe von Gesprächen vorausgegangen, in denen Persönlichkeitend der Stadt versuchten, die deutsche Militärführung zu überzeugen, keinen sinnlosen Widerstand mehr zu leisten. Dies wurde jedoch vom Standortältesten bis zum letzten Tag abgelehnt>: „Befehl ist befehl!“ Auch die ersten Maßnahmen, die kurze Zeit vorher errichteten Panzersperren zu beseitigen, ließ Major Viehoff rückgängig machen. Noch am frühen Morgen des 11. April fand eine Unterredung zwischen Vertretern der Stadt und Offizieren der Wehrmacht statt. Die Offiziere drohten Ramien und einigen anderen, sie wegen ihres Vorhabens, die Stadt kampflos zu übergeben, vor ein Standgericht zu stellen und das Urteil auf dem Hagenmarkt in Braunschweig vollstrecken zu lassen. Schließlich brachen sie aber die Unterredung begründungslos ab und zogen in Richtung Elm ab.

Die „Verteidigung“  Wolfenbüttels fand nicht statt, auch wenn ein in der früheren Samsonschule einquartiertes Nachrichten-Versuchskommando der Marine glaubte, sich noch auf einen Kugelwechsel beim Lechlumer Holz einlassen zu müssen – glücklicherweise ohneschwerwiegende Folgen. Die Panzersperren in der Stadt waren innerhalb kürzester Zeit won Wolfenbüttler Bürgern demontiert, zumal das Holz, aus denen sie errichtet waren, wegen der Versorgungsschwierigkeiten wertvoller Rohstoff war. Diese Art „Selbstversorgung“ gab es auch andernorts. So wurden viele Lagerbestände an Lebensmitteln noch bis kurz vor Eintreffen der amerikanischen Panzer ausgeräumt – und fehlten späte bei der Verteilung.

Mit dem Einmarsch der Amerikaner änderte sich das Leben der Menschen in der Stadt: die ständigen Bombenalarme waren endlich vorbei und auch die Angst, durch Kriegseinwirkungen das Leben zu verlieren. Und die Bedrohung durch fanatische Nationalsozialisten gehörte ebenfalls der Vergangenheit an.

Jetzt regelten die Befehle und Anordungen der Besatzungsmacht das alltägliche Leben. Zunächst wurde  jedes Haus nach Waffen und versteckten Soldaten durchsucht und zahlreiche Gebäude – manche für viele Jahre – für Zwecke der Milittärregierung beschlagnahmt. Eine weitere Maßnahme war die Freilassung der ehemaligen Zwangsarbeiter, die ihrem Hass zunächst freien Lauf ließen. Ihren Plünderungen schlossen sich allerdings auch viele Deutsche an.

Auf den Straßen Wolfenbüttels bestimmten die amerikanischen Militärfahrzeuge das Bild, der deutsche Zivilverkehr ruhte. Es gab keinen Postverkehr mehr und die Zeitungen hatten ihr Erscheinen eingestellt.

Die Bevölkerung erhielt ihre Informationen über Anschlagzettel und Bekanntmachungen. Auf diesen teilte die Militärregierung bzw. die von ihr eingesetzte deutsche Verwaltung mit, was zu tun und zu lassen sei.

Zuerst: Ausgangssperre! Ab 18 Uhr hatte man auf den Straßen nichts mehr zu suchen, außer man besaß eine Ausnahmeerlaubnis. Aber die wurde, trotz der schnell einsetzenden Flut von Anträgen, zunächst nur sehr zurückhaltend ausgegeben. Und wer während der Sperrzeiten angetroffen wurde, mußte die Nacht über im Rathaus eingesperrt verbringen und riskierte eine Bestrafung.

Desweiteren war zu lesen. „Wer deutsche Soldaten versteckt oder ihnen Unterschlupf gewährt wird mit dem Tode bestraft“ Diese Strafe konnte auch den treffen, der mit Waffen angetroffen wurde.

Vielerlei Gegenstände, z.B. Fotoapparate, wurden von den Amerikanern eingefordert.

Aber die Sieger griffen nicht nur tief in das Privatleben der Bevölkerung ein, indem sie ihre Befehle erteileten, sie gingen auch sofort daran, dieVerwaltung der Stadt zu reorganisieren und vor allem die Versorgung der Menschen sicherzustellen. Dabei bedienten sie sich derHilfe zahlreicher, möglichst politisch unbelasteter Deutscher.

(…)


aus: Detlef Endeward/Fritz Mauss/Jochaim Schlüchtermann: Wolfenbüttel nach ’45. Eine Stadt erzählt ihre Nachkriegsgeschichte. Hrsg. von der Niedersächsischen Landeszentrale für politische Bildung, Hannover 1986, S. 27/28

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