Das ‚Hohe Ufer‘ und das Leibnizufer – „Alt“ und „Neu“ zusammenfügen

Das ‚hohe Ufer‘ sollte in den Wiederaufbauplänen entsprechend berücksichtigt werden. ‚Alt‘ und ‚Neu‘ sollten zu einem harmonischen Ganzen zusammengefügt werden. Demzufolge war der geplante Ausbau des Leibnizufers zu einer Radialstraße, die den Nord-Süd-Durchgangsverkehr am Stadtzentrum vorbeileiten sollte, für Hillebrecht eine besondere Herausforderung. Der Straßenverlauf führte unmittelbar durch das ehemals historisch bebaute Gebiet der Altstadt. Damit der Straßenausbau zu keinem Fremdkörper in dem historisch gewachsenen Stadtteil werden sollte, wurde das Leibnizufer als repräsentative Uferstraße entlang der Leine geplant. Für Hillebrecht bot das Leibnizufer einen besonderen Erlebniswert, da dieser Straßenzug im mittleren Abschnitt einige Meter tiefer gelegen war als des ‚Hohe Ufer‘ und somit Autofahrer einen Blick auf die historischen Bauten der Altstadt ermöglichen sollte.

Mit dem Bau des Leibnizufers wurde zugleich eine seit Generationen erwünschte Verbindung zwischen Herrenhausen und Maschsee geschaffen.  Die Straße Leibnizufer war bereits zur Zeit des Nationalsozialismus ab 1938 durch den hannoverschen Stadtplaner Karl Elkart projektiert, um den Fernverkehr aus dem Stadtzentrum herauszunehmen. Die heutige Fläche der Straße war zu dieser Zeit eng mit Fachwerkhäusern der Calenberger Neustadt bestanden. Auch gab es dort eine bebaute Insel, die die Leine mit einem Leinearm bildete. Es galt als „verruchtes Rotlichtviertel“. Durch die Luftangriffe auf Hannover im Zweiten Weltkrieg kam es zu großen Zerstörungen in der Altbausubstanz. Die Rest dieser Altbebauung inklusive der  Leininsel fielen dem Bau des Leibnisufers zum Opfer.2)

Ausgangslage: Die zerstörte Stadt

Stadtplanung nach dem Zweiten Weltkrieg

Zukunftsorientiertes Verkehrskonzept

Neues Regierungsviertel

Umgang mit historischer Bausubstanz

Neugestaltung des City-Bereichs

Innerstädtischer Wohnungsbau

Wohnquartiere in den Stadtteilen

Krankenhäuser und Gebäude der Gesundheitsfürsorge

Schulen, Kultureinrichtungen und Sportanlagen

Denkmalgeschützte Verwaltungsgebäude und Geschäftshäuser

Hannover Messe

Bundesgartenschau 1951

Visionen

Architekten des Wieder-/Neuaufbaus

Stimmen zur Stadtentwicklung

Der Neuaufbau im Spiegel zeitgenössischer Dokumentarfilme

Literatur

Das neue Leibnizufer 3)

Die großzügige Gestaltung des Leineufers, d.h. „bis zu 100 Meter breiten grünen Uferstreifen zu Leine hin…, (ist) zu einer Grünverbindung der beiden großen Erholungsgebiete geworden.“ 1) Der Fußgänger von heute ist allerdings gut beraten, auf seinem Weg Richtung Maschsee, direkt am ‚Hohen Ufer‘ entlang zu flanieren, da der Fußgängerbereich des Leibnizufers – im Gegensatz zu der prophezeiten Entwicklung – aufgrund des gewaltigen Verkehrsaufkommens als unwirtlich bezeichnet werden muß. In den 50er und 60er Jahren genoß der Autoverkehr eine hohe Wertschätzung. Heutzutage hingegen werden die ehemaligen Errungenschaften im Verkehrswesen eher kritisch betrachtet. Teile der Radialstraßen und der Cityring werden von vielen Bürgern mittlerweile als störende Barrieren empfunden, die Geschäftsstadt und Wohnstadt trennen.

Obwohl der City-Bereich Hannovers erheblich vergrößert wurde, sollten Hochhäuser und neue, als Verkehrserzeuger geltende Verwaltungsgebäude aus der Geschäftsstadt herausgehalten und an die Peripherie verlegt werden. Der Friedrichswall und Waterlooplatz waren ohnehin bereits als traditionelle Verwaltungsstandorte bekannt. Hinzu kam in den 50er Jahren das Leibnizufer als neuer zentraler Standort für Verwaltungsbauten. Neben dem Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten entstanden Anfang der 50er Jahre mehrere architektonisch signifikante, sechs- bis dreizehngeschossigen Verwaltungsgebäude.  1951 wurde das Arbeitsamt (im Hintergrund des Bildes) von dem Architekten Dieter Oesterlen errichtet. Der linke Bildausschnitt zeigt die Konzernzentrale der Preussag von Gerhard Graubner kurz vor ihrer Fertigstellung 1953. Diese mehrteiligen kubistischen Solitärbauten setzten ebenso wie die 1953 errichtete Konzernzentrale der Conti am Königsworther Platz einprägsame Akzente in dem Verwaltungsbaustil der 50er Jahre.  Mit dieser Bauweise, die das Einzelbauwerk als selbständiges, plastisches Werk begriff, wurde zugleich das neue städteplanerische Verständnis dokumentiert. „Einordnung selbständiger Bauwerke in einen großen Zusammenhang, nicht Zurücktreten und Aufgehen des einzelnen in der Reihe…, sondern Gruppierung und lockere Reihung.“ 4)

Den Übergang zum Waterlooplatz leistete hingegen ein historisches Gebäude: Das Staatsarchivs, das in den Jahren 1949 bis 1952 wieder instandgesetzt wurde.

Während die ersten Bauten am Leibnizufer fertiggestellt wurden, konnte auch am 26.08.1952 der erste 9 Meter breite Fahrbahnabschnitt des Leibnizufers für den Verkehr freigegeben werden. Drei Jahre später wurde diese Fahrbahn zu einer 28 Meter breiten, zweigeteilten Straße erweitert. „Ein schwieriges Problem blieb die Kreuzung mit der Goethestraße. Geplant wird, das Leibnizufer später, wenn der Verkehr es erfordert, unter der Goethestraße hindurchzuführen, ein Vorhaben, das durch die notwendige Überquerung der schon am Clevertor nach Westen abbiegenden Leine zwar erschwert, aber nicht unmöglich gemacht wird.“ 5)

Ein Bauvorhaben, das offensichtlich später an Bedeutung verlor, da es trotz enormen Verkehrszuwachses bis heute nicht realisiert wurde.

Der neu entstandene Stadtraum und die Gebäudearchitektur wurden in der zeitgenössichen Architekturkritik z.T. euphorisch gefeiert:

Wolfgang Rauda (1956)

Hervorragendes Beispiel einer neuzeitlichen Gestaltung im Sinne des frei rhythmischen Ordnungsprinzips. In einem bewegt geführten Grünzug werden die einzelnen Neubauten freikörperlich aufgestellt und in einer einheitlichen Komposition zueinandergefügt. Nicht nur die Baukörperstellung und Reihung, sondern auch die architektonische Einzelgestaltung der Baukörper folgt den Gesetzmäßigkeiten von Rhythmus und Asymmetrie. 7) j

Heinrich Henning (1953)

Der neue Straßenzug am Leibnizufer ist komsequenterweise nicht mit durch-gehender Randbebauung verbaut worden, es reihen sich vielmehr Einzelbau-werke, selbständig ein jedes für sich dastehend als plastisches Werk, in vorbestimmter Ordnung und dokumentiert das, was der neue Städtebau will: Einordnung selbständiger Bauwerke in einen großen Zusammenhang, nicht Zurücktreten und Aufgaben des einzelnen in der Reihe… sondern Gruppierung und lockere Reihung…“  8)

Anmerkungen

  1. Lauenroth, (1962): Vom Plan zu Wirklichkeit. Vier Jahre Ratsarbeit Hannover, Hannover 1962, S. 120
  2. Lindau, Friedrich (1998): Planen und Bauen der fünfziger Jahre in Hannover. Schlütersche, Hannover 1998, S. 15, 21 u.ö.; Vorschau über Google-Bücher
  3. Hillebrecht, Rudolf (1952): Das ‚Leibnizufer`. Eine neue Hauptstraße der Landeshauptstadt Hannover. In: Jahrbuch der Technischen Hochschule Hannover 1952, S. 59ff
  4. Adrian (1990): Ideen, die überlebten. In: Berichte zur Denkmalpflege in Niedersachsen 2/1990, S. 51
  5. Lauenroth (1962): Vom Plan zu Wirklichkeit. Vier Jahre Ratsarbeit Hannover, Hannover 1962, S. 88
  6. Rauda, Wolfgang (1996): Raumprobleme im europäischen Städtebau. München 1956 (zitiert nach: Adrian, H.: a.a.O., S. 25
  7. Henning, Heinrich (1953): Das Hochhaus der Continental Gummiwerke AG Hannover, in: Die neue Stadt, Heft 11-12/1953 (zitiert nach Adrian, H.: a.a.O., S. 25

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