Bedingungen der Wirtschaftskrise in Deutschland

Krisen: Im Wirtschaftssystem selbst begründet – Weltwirtschaftskrise: Nicht „an der Tagesordnung“

Detlef Endeward

Die Ursachen der ökonomischen Krise liegen im Wirtschaftssystem selbst begründet, das funktional aus sich heraus immer wieder periodisch Einbrüche hervorbringt. Krisen vom Ausmaß der Weltwirtschaftskrise sind allerdings nicht „an der Tagesordnung“: Für eine derartige Tiefe und Schärfe müssen spezifische, historisch-konkrete Bedingungen existieren.

Für die Weltwirtschaftskrise lassen sich auf Deutschland bezogen zwei voneinander abhängende Bedingungsgefüge 1) analysieren: endogen entwickelte Bedingungsmomente, d.h. in der deutschen Wirtschaft selbst angelegter und exogene Bedingungsmomente, d.h. aus dem Ausland – Weltmarktzusammenhang – wirkende.

In Deutschland wurde die Krise nach der Überwindung der kriegsbedingten Umstellungs-schwierigkeiten seit der Zeit der Inflation (1923) mittelfristig „vorprogrammiert“, so dass letztlich nur noch auslösende Faktoren zum offenen Ausbrechen notwendig gewesen sind. Im Wesentlichen lassen sich diese endogen herausgebildeten Momente aus der Struktur der deutschen Wirtschaft her bestimmen:

  • Mit der Reinvestition der Inflationsgewinne beginnend setzte in der Mitte der 20er Jahre eine Rationalisierungswelle ein, 2) die im Zusammenhang mit dem schon längere Zeit ablaufenden Konzentrationsprozess zu großen Produktionskapazitäten führte. Stark gefördert wurden die Rationalisierungsinvestitionen durch die enormen Auslandskredite 3), vor allem aus den USA, die weit überwiegend in die Wirtschaft flossen.
    Diese Produktionskapazitäten trafen auf einen grundsätzlich begrenzten Markt, der schon in den Jahren 1924 bis 1929 die Wachstumsdisparitäten zwischen verschiedenen Industriesektoren nicht ausgleichen konnte; diese strukturellen Wachstumshemmungen – relative Stagnation – verschärften das Ungleichgewicht zwischen Produktionskapazität und inländischer Nachfrage wiederum.
    Zur Überproduktion trug auch der infolge der Rationalisierungen fortwährend relative hohe Grundsockel von Arbeitslosigkeit bei, wodurch Nachfragekapazitäten reduziert wurden, 4)
    Insgesamt konnte nur über den Export eine bedingte – d.h. für die auf den internationalen Märkten konkurrenzfähigen Teile der Wirtschaft wirksamer Ausgleich (Kanalisierung der Überproduktion) erreicht werden.
  • Die Monopolisierung des Binnenmarktes 5) schuf zugleich eine Erstarrung der Preisflexibilität, was sich wiederum nachteilig auf die Nachfrage auswirkte.
  • Rationalisierung und technische Innovationen ließen den Anteil der fixen Kosten an den gesamten Produktionskosten zunehmend steigen. Damit verknüpft war notwendig, dass zur rentablen Produktion ein relativ hoher Auslastungsgrad der Produktionskapazitäten notwendig wurde, der für Teile der Industrie – besonders die Schwerindustrie – schon in den 20er Jahren kaum gegeben war. Die Krisenanfälligkeit der Großkonzerne war damit enorm gewachsen.
  • Die Reparationen brachten für den Staat erhebliche Probleme mit sich (Aufbringung der Mittel und Transfer der Mittel ins Ausland), die den Finanzspielraum erheblich einschränkten. 6)

Diese negativen Strukturelemente kumulierten in der Weltwirtschaftskrise zu einer strukturellen Systemkrise. Zudem traten nun noch einige verschärfende Momente hinzu:

  • Die rasch anwachsende Zahl der Arbeitslosen 7) erhöhte die Disparität zwischen Produktionskapazitäten und Absatzmöglichkeiten noch mehr. Gleichzeitig war infolge des veränderten Entwertungsprozesses durch den hohen Anteil des fixen Kapitals die Situation gegeben, dass zunächst, trotz fehlender Nachfrage, weiterproduziert wurde, weil die geringe Auslastung der Produktionskapazitäten immer noch günstiger als Stilllegung war. Mit der bald unumgänglich werdenden Stilllegung wurde dann aber die Kluft zur erneuten Aufnahme der Produktion so groß, dass leichte Verbesserungstendenzen in der Marktlage für Neuinvestitionen und Wiederaufnahme der Produktion nicht ausreichten. Die „Selbstheilungskraft“ der Wirtschaft war nicht mehr gegeben, 8)
  • Zudem konnte die „Disziplinierung“ der Lohnarbeiter und vor allem die Lohnsenkungen für die noch beschäftigten Arbeitskräfte nicht in dem erforderlichen Ausmaß und vor allem nicht ohne Zeitverzögerung realisiert werden, um Kostenerleichterungen von dieser Seite zu erhalten 9)
  • Und zusätzlich wirkte die Brüning‘sche Wirtschaftspolitik pro-zyklisch. 10) Ihre Zielvorstellungen
    • die Sanierung der Reichsfinanzen
    • die Erhaltung der Konkurrenzfähigkeit auf dem Weltmarkt
    • die endgültige Lösung der Reparationsprobleme

trugen nicht dazu bei, einen Nachfrageausgleich zu schaffen.

In der Krise wurden zusätzlich noch die exogenen Bedingungsmomente voll wirksam:

  • Die deutsche Kapitalabhängigkeit hatte sich schon als ein auslösendes Moment der Krise erwiesen. Die zunehmenden Rückforderungen ab 1930 11) verschärften den Krisenprozess zusätzlich. Sie führten schließlich auch 1931 zum Zusammenbruch des deutschen Bankensystems, das nur durch massive direkte staatliche Intervention gerettet werden konnte. 12)
  • Bedeutender war aber, dass die Krise weltweites Ausmaß 13) hatte. Mit dem Zusammenbruch des Weltmarktsystems im Verlauf des Jahres 1931 war auch die auf Exportforcierung setzende Krisenlösungspolitik nicht mehr möglich und die Krise wurde verlängert.

Insgesamt offenbarte die Wirtschaftskrise, dass sie ohne massive politische Eingriffe nicht zu beheben war.


Synopse der Krisenbedingungen

  1. zur Gesamtproblematik: E. Varga: Die Krise des Kapitalismus und ihre politischen Folgen, Frankfurt/M. 1974, S. 88ff; C. Bettelheim, Die deutsche Wirtschaft unter dem Nationalsozialismus, München 1974, S, 20ff ; Weimarer Republik, Hrsg. von Kulturamt Kreuzberg, S. 168ff. Siehe auch den Aufsatz von >E. Altvater u.a.: Entwicklungstendenzen des Kapitalismus in Westdeutschland,2. Teil, in: Prokla 16, 1974, S. 55ff.
  2. D. Stegmann, Kapitalismus und Faschismus in Deutschland 1929-1934, in: Gesellschaft, Beiträge zur Marxschen Theorie 6, S, 21ff
  3. Insgesamt flossen von Ende 1923 bis 1929 21 Mrd. RM nach Deutschland. Vgl. F.H. Henning, a.a.O., S. 86
  4. Die Arbeitslosenzahlen waren nur im Sommer 1925 mit etwa 500.000 gemeldeten Arbeitslosen relativ niedrig. Meist überschritten sie die Millionengrenze erheblich. Vgl. J. Kuczynski: Darstellung der Lage der Arbeiter in Deutschland vom 1917/18 bis 1932/33, Berlin/Ost 1966, s. 196ff
  5. Anteil der Monopole an der deutschen Wirtschaft (Stand vom 31.10. 1927)

    Bankwesen

    76,,1%

    Metallurgie

    83,0%

    Steinkohle

    94,7%

    Farbenindustrie

    90,0%

    Braunkohle

    95,8%

    Schifffahrt

    84,5%

    Kalibergbau

    100,0%

    Elektrotechnik

    87,8%

    Nach: Geschichte: Weimarer Republik, Frankfurt/M. 1973, S. 159

  6. zur Reparationsproblematik: F.W. Henning, a.a.O., S. 72ff und S. 121ff
  7. Bis auf weit über 6 Millionen 1932 (= ca. 45%). Dazu kamen noch über 3 Millionen Kurzarbeiter (ca. 23%) Vgl. J. Kuczynski, a.a.O., S. 196ff
  8. zu dieser Problematik: A. Sohn-Rethel , a.a.O., S. 41ff und E. Altvater u.a. a.a.O., S. 65f
  9. E. Altvater u.a., a.a.O., S. 67f und J. Kuczynski, a.a.O., S. 208ff
  10. Weimarer Republik, a.a.O., S. 336 und F.W. Henning, a.a.O., S. 121ff
  11. Allein im September/Oktober 1930 mussten die Berliner Großbanken 700 Mill. RM zurückzahlen. Vgl. Weimarer Republik, a.a.O., S. 340
  12. zur Bankkrise: F.H. Henning, a.a.O., S. 97ff und Weimarer Republik, a.a.O., S. 340 Die Banken hatten kurzfristig zugewiesene Kredite häufig als langfristige Kredite weitervergeben und gerieten in erhebliche Zahlungsschwierigkeiten, als die ihnen gegeben Kredite zurückgefordert wurden.
  13. hierzu besonders E. Varga, a.a.O., S. 219ff

 

Bedingungen der Wirtschaftskrise in Deutschland

  • Monopolisierung
  • Rationalisierung
  • Lohnniveau und Arbeitslosigkeit
  • Finanzprobleme des Staates

Der Charakter der Krise 1929 bis 1933: eine Systemkrise

Zur wirtschaftlichen Interessenlage der verschiedenen Klassen

Politik und Ökonomie in der Endphase der Weimarer Republik

Der Charakter der faschistischen Krisenlösung

Literatur

Produktionsentwicklung

aus: Weimarer Republik, a.a.O., S. 179

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